# taz.de -- Verleihung der Goethe-Medaille in Weimar: Der Politik wieder Raum geben
       
       > Bei der Verleihung der diesjährigen Goethe-Medaille für Verdienste um den
       > internationalen Kulturaustausch diskutierten die Preisträger John le
       > Carré und Adam Michnik über die EU.
       
 (IMG) Bild: John le Carré und der polnische Publizist Adam Michnik in Weimar, beide ausgezeichnet mit der Goethe-Medaille durch das Goethe-Institut.
       
       In Weimar regnete es Bindfäden und die Stadt wimmelte vor
       schwarzuniformierten Bundespolizisten, die (vergeblich) auf einen Aufmarsch
       der Neonazis warteten. Kein einladendes Ambiente für das Symposion, das am
       letzten Samstag zu Ehren der drei diesjährigen Gewinner der Goethe-Medaille
       veranstaltet wurde. Aber in der Weimarhalle, dem Ort der Veranstaltung,
       waren Temperatur und Stimmung wohltuend warm.
       
       Es gibt viele Goethe-Preise, das Goethe-Institut verleiht seine Medaille an
       Persönlichkeiten, die sich für Völkerverständigung eingesetzt und dabei
       auch auf Deutschland und seine Nachbarn ein Auge geworfen haben. Die
       Medaille hat Ordensstatus,und es geht bei ihr um die schiere Ehre, denn für
       ein Preisgeld reicht der Etat des Goethe-Instituts nicht.
       
       Die Jury für diese Jahr bewies einen erstaunlichen Sinn für Originalität.
       Sie zeichnete den Krimiautor John le Carré aus, dessen Krimis eine enge
       Vertrautheit mit der deutschen Zeitgeschichte beweisen, dazu die
       Regisseurin Ariane Mnouchkine, in vielen Kulturen zu Hause und unentwegte
       Kämpferin für die Menschenrechte, und schließlich Adam Michnik, Veteran der
       demokratischen Bewegung in Polen und Herausgeber der Zeitung Gazeta
       Wyborcza.
       
       An die Stelle der verhinderten Mnouchkine trat Etienne François vom
       Berliner Marc-Bloch-Zentrum, die Moderation hatte die Berliner Philosophin
       Christina von Braun inne, die auch stellvertretende Leiterin des
       Goethe-Instituts ist. Thema war Europa, genauer die EU. Es wurde ein ebenso
       instruktiver wie kontroverser Vormittag.
       
       Was macht die EU aus, was könnte ihr gemeinsamer Nenner sein? Für Etienne
       François ist es der Bruch mit dem Krieg als Mittel der Politik, ein
       ständiger Prozess des Aushandelns und der Kompromiss, offene Grenzen
       innerhalb der EU, der Wohlfahrtsstaat als gemeinsamer Bezugspunkt - dies im
       Gegensatz zum Denken und zur praktischen Politik in den USA.
       
       Adam Michnik sieht einen gemeinsamen Bezugsrahmen in den demokratischen
       Revolutionen von 1989. Sie haben dem Einsatz der Bürger für Freiheit und
       Menschenrechte in Europa zu einer neuen Bedeutung verholfen. Deshalb gebe
       es heute in Europa einen "antitotalitären Konsens". Michnik kritisierte den
       Philosophen Jürgen Habermas. Er sieht bei ihm eine Abgrenzung von den USA,
       die seiner Meinung nach die gemeinsam geteilten Grundwerte verwischt.
       
       Gegenüber Michnik nahm le Carré eine scharfe kritische Position ein. Die EU
       und der europäische Gedanke befänden sich in einer schrecklichen Lage. Die
       EU-Institutionen hätten sich vollständig vom Denken und von den
       Bedürfnissen der Menschen gelöst. Die Welt der Politik und die der Finanzen
       drifteten auseinander. Die Politiker hechelten der Krisenentwicklung
       hinterher, sie können keinerlei Antworten geben. Kein Wunder, dass in
       dieser Situation viele Konservative sich von der EU abwenden und im
       Nationalstaat eine Rettung sehen. Aber auch dessen Institutionen verbürgen
       keine Garantie für eine kohärente Politik. Die Eliten, wie das Beispiel
       Englands zeigt, sind selbst angefressen.
       
       Wo bleibt, fragte Christina von Braun, das Positive? Etienne François
       warnte vor Schönfärberei und Heuchelei. Betrachte man etwa die
       Errungenschaft der "offenen Grenzen", so würden einen die Zustände etwa an
       der polnisch-ukrainischen, der griechisch-türkischen oder der
       Mittelmeergrenze Italiens Realität einbläuen. Wie kann es gelingen, der
       Politik wieder Raum zu geben? Nach François nur durch Initiativen, durch
       Debatten und durch den Druck der Zivilgesellschaften.
       
       Michnik versuchte dem gegenüber, die EU in historischer Perspektive zu
       sehen. Wer hätte vor vierzig Jahren an den Untergang der Sowjetunion und an
       ein vereintes Europa in seiner heutigen Gestalt geglaubt? Was jetzt nicht
       möglich ist, ist es vielleicht in zehn Jahren. Das mag kindlich sein und
       romantisch, aber auch die Gründer der EU waren Romantiker. Was aber die
       Heuchelei anlangt, so ist sie doch nichts als eine Verbeugung des
       Schwindels vor der Wahrheit.
       
       Diesem "romantischen" Blick Michniks entgegnete le Carré erneut mit den
       realen Verhältnissen. Die Regierungen könnten zwar nichts für die Menschen
       Hilfreiches ausrichten, aber sie verfügten immer noch über die Fähigkeit
       zur Verführung. Verführung zu Kriegen in der Dritten Welt, Verführung zu
       angeblichen Sanierungsprogrammen. Wenn man ihn nach einer positiven
       Perspektive frage, so würde er die europäischen Mittelklassen dazu
       aufrufen, eine friedliche Revolution gegen die an der Macht befindlichen
       Eliten durchzuführen.
       
       In der Publikumsdiskussion wurde gefragt, inwieweit der Populismus das
       europäische Projekt bedrohe.
       
       François antwortete, die Populisten könnten nur besiegt werden, wenn die
       Regierungen Antworten auf die ökonomischen Probleme fänden. Viele Bürger
       wählten die Rechten, weil sie sich von der EU verraten fühlten. Michnik
       sprach von der Notwendigkeit entschlossener Gegenwehr der Demokraten in
       Staat und Gesellschaft. Die Weimarer Republik sei untergegangen, weil sie -
       mit Ausnahme der SPD - von den Deutschen nicht verteidigt wurde.
       
       Was den Osten Europas anlangt, sei der Populismus nicht nur in Putins
       Russland zu Hause. Michnik: Jedes Land erhält den Putin, den es verdient.
       
       29 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Semler
       
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