# taz.de -- Bestand und Wandel auf der Kastanienallee: Immer diese Klischees
       
       > Die Kastanienallee wird gern als Symbol für den Stadtwandel genommen. Da
       > ist was dran. Die hippe Meute, die die Straße berühmt machte, ist längst
       > weiter gezogen. Die einstigen Hausbesetzer aber sind immer noch da.
       
 (IMG) Bild: War schon mal voller: Die Kastanienallee in Prenzlauer Berg
       
       Die Kastanienallee ist das Sinnbild für Hipness und Stadtwandel. Das weiß
       jeder, der mal in einem Berlin-Führer geblättert hat. Erst war hier die
       wildbunte Mischung aus Freaks und Künstlern, heute gibt es Nobellofts im
       Schickimicki-Kiez. Ende Juli beschrieb die Berliner Morgenpost den Wandel
       in einem schönen Text über eine der wenigen Konstanten an der Straße: das
       Hotel Kastanienhof. Am Dienstag vergangener Woche folgte in der Berliner
       Zeitung ein Text über ein Kunstprojekt, das die Gentrifizierung an der
       Straße thematisiert und zugleich befördert. Beide Artikel nutzen ein
       einleuchtendes Bild: "Die Hausbesetzer müssen gehen", heißt in der MoPo.
       "Das letzte alternative Hausprojekt in der Kastanienallee 86 wurde
       vergangenes Jahr geräumt", verrät die Berliner. 
       
       Klingt logisch, ist aber falsch. Denn von der Kastanienallee sind viele
       weggezogen, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können. Nur die
       Hausbesetzer sind immer noch da. Und bleiben das auch.
       
       Die drei alternativen Hausprojekte, die aus Besetzungen hervorgingen, sind
       fester Teil des Straßenbildes. In der 77 lebt eine selbstverwaltete
       Riesen-WG, zudem betreibt ein Kollektiv dort das Lichtblick-Kino. In der 85
       führt ebenfalls ein linkes Kollektiv das Café Morgenrot, neben dem
       politischen Buchladen Schwarze Risse. Die Bewohner der 85 haben ihr Haus
       gepachtet, sie haben eine Vertragsoption bis 2023. Die 77er haben sogar
       einen Erbpachtvertrag bis zum Jahr 2034, Verlängerung nicht ausgeschlossen.
       
       Einzig in der 86 ist die Situation nicht ganz so stabil. Dort prangt
       unübersehbar der Spruch "Kapitalismus tötet" an der Fassade. Ein Hinweis
       darauf, dass die Bewohner es nicht so ganz einfach haben mit dem
       Hauseigentümer - schließlich haben sie bei der Legalisierung nur klassische
       Einzelmietverträge bekommen. Noch aber sind die Bewohner da, derzeit laufen
       mal wieder Verhandlungen.
       
       Zwar gab es im Laufe der Jahre viele Ein- und Auszüge. Aber in allen drei
       Projekten leben immer noch auch Leute aus den Besetzertagen. Diese Häuser
       zeigen: Ein wirklich wirksames Mittel gegen die Turboentwicklung auf dem
       Berliner Mietmarkt ist die Übernahme der Häuser durch ihre Bewohner.
       Während bei allen anderen mit öffentlichem Geld in den 90er Jahren
       sanierten Häusern nach und nach schon wieder die Mietpreisbindung ausläuft,
       ist bei den selbstverwalteten Projekten aus Eigeninteresse auf Jahrzehnte
       eine niedrige Miete garantiert - selbst an der Kastanienallee. Die eignet
       sich somit als Klischee für vieles, nur eben nicht für die Vertreibung der
       einstigen Hausbesetzer.
       
       Zur Vergangenheit gehört unterdessen das andere Klischee der Straße: das
       der Castingallee. Wer in diesem Sommer abends durch die einst quirlige
       Straße spaziert ist, hat festgestellt: Da ist kaum noch wer. Zwar sieht man
       immer noch viele Touristen auf der Suche nach dem Leben. Aber die hippe
       Meute ist längst weitergezogen. Selbst die Mariachi-Spieler, die noch im
       letzten Sommer mit ihrem Gedudel von Biergarten zu Biergarten zogen, seien
       selten geworden, erzählt der langjährige Bewohner eines der einst besetzten
       Häuser. Er ist nicht unfroh darüber, dass wieder etwas Ruhe einkehrt in
       seinem Kiez an der Kastanienallee.
       
       29 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gereon Asmuth
 (DIR) Gereon Asmuth
       
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