# taz.de -- Debatte Europa: Die Europäische Bürgerbank
       
       > Das Modell einer Genossenschaftsbank auf EU-Ebene erlaubt die
       > tatsächliche Emanzipation von den Finanzmärkten. Gesellschaftliche
       > Kooperation ist machbar.
       
       Zum zweiten Mal binnen drei Jahren kommt es in Europa und der Welt zu einer
       Finanzkrise. Zum zweiten Mal verordnen Staaten sich strengste
       Haushaltsdisziplin, um das eingesparte Geld in den Rachen des nach wie vor
       undisziplinierten Finanzmarkts zu werfen. Zum zweiten Mal bestimmen
       Marktstimmungen die Leitlinien der deutschen Politik.
       
       Doch während Europas Regierungen um das Vertrauen der Finanzmärkte ringen,
       verlieren sie das der Bevölkerung. Während sie den Investoren Spielräume
       verschaffen, verengen sie den Handlungsraum der Politik: Für Bildung,
       Pflege, sozialen Ausgleich, Kultur und die Energiewende fehlen zunehmend
       die Mittel.
       
       Die Idee der Eurobonds ist ein Schritt, sich von den Regeln der
       Finanzmärkte zu emanzipieren. Doch bleibt das Konstrukt in seiner jetzigen
       Form den Widersprüchen der Finanzwelt verpflichtet: Da die Bonds durch den
       Geldmarkt finanziert werden, sind Zins und Kurs den dort herrschenden
       Dynamiken ausgesetzt. Lediglich das größere Volumen lässt uns hoffen, nicht
       wieder Opfer weltweiter Währungsspekulationen zu werden.
       
       ## Verdoppelter Zinsgewinn
       
       Gleichzeitig entsteht die kuriose Situation, dass Europas Regierungen sich
       Geld bei ebenjenen Banken leihen, deren Zahlungsforderungen an
       Mitgliedsländer sie damit bezahlen. Aus einer ausstehenden Forderung werden
       zwei, mit entsprechend verdoppelten Zinsgewinnen.
       
       Ich schlage daher vor, das für den Umbau Europas benötigte Kapital durch
       eine Europäische Bürgergenossenschaft aufzubringen. Zweck dieser
       Genossenschaft ist es, für alle Mitglieder soziale und wirtschaftliche
       Vorteile zu erzielen. Dazu vergibt sie an gemeinwohlorientierte
       Unternehmen, Vereine, öffentliche Institutionen und Einzelpersonen Kredite.
       
       Im Gegensatz zum üblichen Kreditgeschäft wird nicht zwischen Gläubigern und
       Schuldnern unterschieden, sondern es herrscht das sogenannte
       Identitätsprinzip: Alle Mitglieder sind gleichzeitig Abnehmer, Lieferant
       und Kapitalgeber und in all diesen Rollen einander zum gegenseitigen Nutzen
       verpflichtet.
       
       Jede Bürgerin und jeder Bürger der Euroregion kann sich mit persönlichen
       Anteilen bis zu 20.000 Euro an dieser Genossenschaft direkt beteiligen.
       Seine bzw. ihre Anlage wird in Höhe des Europäischen Wirtschaftswachstums
       verzinst und kann nach fünfzehn Jahren zurückgegeben werden. Die Anteile
       sind nicht handelbar und können nicht akkumuliert werden, auch das
       Stimmrecht kann nicht übertragen werden. Unabhängig von der
       Beteiligungssumme gilt: One man one vote.
       
       ## Die Mechanik und der Nutzen
       
       Ähnlich den existierenden Genossenschaftsbanken, wie der GLS Bank, werden
       Kredite durch sachkundige Gremien vergeben und ihre Vergabe veröffentlicht.
       Alle Kreditvergaben sind dem Ziel untergeordnet, Vorteile für alle
       Mitglieder in ihren Rollen als Abnehmer, Lieferant und Kapitalgeber zu
       generieren. Entsprechend den Guthabenzinsen sind auch die Kreditzinsen an
       das Wachstum in der Eurozone gekoppelt. Ein durch die Mitgliederversammlung
       gewählter Vorstand verantwortet das Tagesgeschäft der Europäischen
       Bürgerbank und wird von einem Aufsichtsrat kontrolliert, der auch
       öffentlich gewählt wurde.
       
       Die Leitlinien und die Strategien der Europäischen Bürgerbank werden
       ebenfalls in Mitgliederversammlungen festgelegt. Die technische und
       organisatorische Abwicklung dieser Versammlungen auf europäischem Niveau
       stellt die Entwickler von Social-Network-Plattformen sicher vor reizvolle
       Herausforderungen.
       
       Die Finanzmärkte gleichen einer Schafherde, die ständig zwischen Gier und
       Angst hin- und hertaumelt. Weit und breit kein Hirte und kein Schäferhund,
       nur das Gekläff der Ratingagenturen und all die anderen Gerüchte. Die
       Europäische Bürgerbank ist unabhängig von dieser Dynamik.
       
       Da sie nicht allein der Kapitalrendite verpflichtet ist, werden bei
       Investitionsentscheidungen die Perspektiven aller Beteiligten und
       Betroffenen berücksichtigt. Die demokratische Kontrolle und Offenlegung der
       Kredite verhindert Insidergeschäfte und Spekulationen. Auf dieser Basis
       können sich Investitionen nachhaltig und ohne übergroßen Renditedruck
       entwickeln.
       
       Auch für den anlegenden Bürger bietet das Genossenschaftsmodell Vorteile:
       Zwar ist unsere Riesterrente der Treibstoff der Renditeraketen der
       institutionellen Anleger, doch für die meisten Bürger nimmt sich der eigene
       Gewinn bescheiden aus. Durch die Direktbeteiligung kann die Europäische
       Bürgerbank seinen Mitgliedern attraktive und stabile Habenzinsen bieten, da
       weder Kursschwankungen des Geldmarkts noch die Margen global operierender
       Finanzinstitute einkalkuliert werden müssen.
       
       ## Größer als die Rettungsschirme
       
       Stellen wir uns vor, dass jeder dritte Bürger der Euroregion 500 Euro
       einbringt, so verfügt die Europäische Bürgerbank über ein
       Genossenschaftsvermögen von mehr als 80 Milliarden Euro. Das damit mögliche
       Kreditvolumen übersteigt die derzeit diskutierten Rettungsschirme um ein
       Vielfaches. Je nach Wachstumsrate werden Guthabenzinsen zwischen 1,5 und
       2,5 Milliarden Euro fällig. Etwa eine halbe Milliarde Euro wird der Betrieb
       der Europäischen Bürgerbank kosten. Da das abzusichernde Ausfallrisiko bei
       Genossenschaftskrediten gering ist, werden Kreditzinsen von unter 4 Prozent
       möglich.
       
       Selbstverständlich müssen auch diese Investitionen den unternehmerischen
       Prinzipien gehorchend Einnahmen erzielen, die über ihren Kosten liegen.
       Aber ihre Gewinne müssen nicht den unbegrenzten Renditewünschen globaler
       Anleger entsprechen. Zum unternehmerischen Überleben reicht in der Bilanz
       die schwarze Null.
       
       Schon immer haben menschliche Gesellschaften Krisen erfolgreich gemeistert,
       indem sie miteinander kooperierten. Da wir uns in einer weltweiten
       Finanzkrise befinden, sollten wir auch jetzt zusammenarbeiten.
       
       In den Wirtschaftskrisen der dreißiger Jahre hat die genossenschaftliche
       Idee in kleinerem Rahmen großen Nutzen erzielt. Moderne
       Kommunikationsmittel und Informationstechniken erlauben es uns heute, das
       gleiche Prinzip europaweit umzusetzen.
       
       2 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Klamann
       
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