# taz.de -- Ehrung von Margarete und Arthur Eloesser: In den Straßen seiner Jugend
       
       > Einst war der Feuilletonist Arthur Eloesser geachtet wie nur Alfred Kerr.
       > Von den Nazis verfolgt, geriet er in Vergessenheit. Jetzt trägt ein Park
       > seinen Namen - dank eines umtriebigen Antiquars.
       
 (IMG) Bild: Arthur Eloesser mit Frau Margarete (r.) und einer befreundeten Schauspielerin 1935 in Arendsee.
       
       "Eine Großstadt kann ihre Anziehungskraft nur dadurch vermehren, dass sie
       nichts dafür tut, daß sie ihre Bedürfnisse aus eigenster Neigung
       befriedigt, und sie wird es dem Geschmack der Fremden überlassen müssen, ob
       sie diese Lebensgewohnheiten, diese Verkehrsformen so überzeugend, graziös
       oder imposant finden, daß sie sich gern anpassen mögen." 
       
       Was sich fast liest wie eine Einlassung zur aktuellen Debatte über
       Touristizifierung ist rund 100 Jahre alt und stammt aus der Feder des
       Feuilletonisten Arthur Eloesser. Der gebürtige Berliner war in der späten
       Kaiserzeit und der Weimarer Republik so bekannt wie Alfred Kerr und Kurt
       Tucholsky. Die Kritiken des Theaterredakteurs der Vossischen Zeitung waren
       gefürchtet, der Autor gewichtiger Bücher über deutsche Literatur zählte
       Gerhart Hauptmann und Thomas Mann zu seinen Freunden. Trotzdem würde sich
       heute kaum jemand an Eloesser erinnern - gäbe es nicht Horst Hans Olbrich.
       Auf Initiative des Antiquars wird am Dienstag ein kleiner Park in der Nähe
       des S-Bahnhofs Charlottenburg zum Margarete-und-Arthur-Eloesser-Park.
       
       Im Eiscafé neben seinem Antiquariat am Adenauerplatz steckt sich Olbrich,
       Anfang 50, eine Filterzigarette an und erzählt, wie er auf Eloesser
       gestoßen ist. 1987 war das, als der kleine Arsenal-Verlag gerade "Die
       Straße meiner Jugend" von 1919 neu herausgegeben hatte - eine
       Feuilletonsammlung Eloessers mit Texten aus der Zeit vor 1914: "Er war für
       mich der Einstieg in eine unbekannte Stadt und eine Art Führer durch das
       Berlin vor 1933."
       
       Tatsächlich vermitteln die "in Jahren gesammelten Skizzen", wie Eloesser
       seine Reportagen nennt, ein lebendiges Bild von Atmosphäre und Lebensgefühl
       der Metropole, die um die Jahrhundertwende im Zeitraffer expandierte.
       Detailliert und liebevoll beschreibt Eloesser etwa die Lebensumstände in
       der heute verschwundenen Prenzlauer Straße unweit des Alexanderplatzes, wo
       er aufwuchs. Er erinnert sich an die verrauchten Kneipen im
       Scheunenviertel, wo er als Student mit Gleichgesinnten Skat kloppte und
       politisierte. Er polemisiert gegen den Polizeipräsidenten Traugott von
       Jagow, der die Blumenverkäufer auf dem Potsdamer Platz verbieten will - was
       Eloesser als Gegner der "neuzeitlichen" Großstadthektik und Freund der
       kleinen Leute gar nicht gefällt.
       
       Stilistisch waren diese Reportagen Neuland, erklärt Olbrich: Texte aus der
       Sicht eines Flaneurs, der seine geliebte Stadt in Spaziergängen
       durchstreift und aus kleinen Beobachtungen Stoff für Reflexionen über Gott
       und die Welt gewinnt. Spätere Autoren wie Franz Hessel und Walter Benjamin
       machten den Flaneur weltberühmt, aber Eloesser, sagt der Antiquar, habe
       angefangen. "Er war eine eigene Figur."
       
       Werk und Leben des 1870 in Berlin geborenen Sohns eines jüdischen Kaufmanns
       ließen Olbrich nicht mehr los. Der Literaturwissenschaftler sammelte und
       las alles, was er über Eloesser fand, er wurde zum Eloesser-Experten. Ende
       der 90er Jahre beantragte er für den 1938 namenlos auf dem Wilmersdorfer
       Waldfriedhof in Stahnsdorf beigesetzten Schriftsteller ein Ehrengrab - mit
       Erfolg. Der Antrag auf eine Straßenumbenennung scheiterte: "Ich hatte nicht
       gewusst, dass nur noch Frauennamen genommen werden."
       
       Dieses Mal, beim Parkbenennungsantrag, hat Olbrich darum Eloessers Frau
       Margarete mit in den Namensvorschlag aufgenommen. Sie schrieb Gedichte,
       aber auch Märchenstücke für Kinder, die auf Berliner Bühnen gespielt
       wurden, weiß der Antiquar. Auch am Lessing-Theater am Lehrter Bahnhof, wo
       ihr Mann sechs Jahre lang Dramaturg war. "Sonst weiß ich leider wenig über
       sie", bedauert Olbrich: "Es gibt nichts mehr, alles wurde von den Nazis
       vernichtet."
       
       Für die jüdische Familie Eloesser brach mit dem Antritt der
       Nationalsozialisten eine Welt zusammen. Publizistisch kämpfte Arthur
       Eloesser bis zur Einstellung der Vossischen Zeitung Ende März 1934 gegen
       die Nazis. Danach engagierte er sich im von ihm mitgegründeten Jüdischen
       Kulturbund - einer Selbsthilfeorganisation für vom Berufsverbot betroffene
       jüdische Künstler. Seine Verbitterung wird zwischen den Zeilen seines
       letzten, 1936 erschienenen Buches "Vom Ghetto nach Europa" spürbar: Anhand
       biografischer Essays über deutschjüdische Literaten wie Moses Mendelssohn
       und Heinrich Heine stellt er die jüdischen Verdienste für die europäische
       und deutsche Kultur heraus, im Bewusstsein, dass der Lebensentwurf
       assimilierter und säkularer Juden - sein Lebensentwurf - gescheitert war.
       
       Trost und Zuflucht suchte der promovierte Germanist, der sich 1898 nicht
       habilitieren konnte, weil er sich nicht taufen lassen wollte, in der
       Rückbesinnung auf sein Judentum. "Wir Juden und gerade wir, die wir uns für
       sehr assimiliert halten durften, haben trotz allen Schicksalsschlägen die
       eine Entschädigung gewonnen, […] dass wir uns als Juden entdecken durften",
       schrieb Eloesser in den "Erinnerungen eines Berliner Juden", die 1934 in
       der Jüdischen Rundschau erschienen.
       
       Deutschland verlassen konnte er da nicht mehr - obwohl seine Tochter
       Elisabeth 1937 nach Uruguay, sein Sohn Max 1934 nach Palästina gegangen
       waren. "Er war schwer krank, hatte Lungenprobleme, die er sich im Ersten
       Weltkrieg zugezogen hatte", erzählt Enkelin Irene Freudenheim, Tochter von
       Elisabeth. Zwar besuchte er zweimal seinen Sohn und bewunderte in einem
       Bericht den Aufbauwillen der Juden in Palästina. Aber, stellte er bedauernd
       fest: "Man hätte dreißig oder vierzig Jahre später geboren sein müssen."
       Außerdem, vermutet Michael Eloesser, Max Sohn, konnten sich seine
       Großeltern ein Leben außerhalb Deutschlands gar nicht vorstellen. "Darin
       liegt ja die Tragik meiner Familie, wie überhaupt der assimilierten
       deutschen Juden: Diese Menschen waren der deutschen Sprache und Kultur so
       verbunden und wurden doch von Deutschland ausgestoßen."
       
       Eloesser starb 1938 nach einer Operation "als gebrochener Mann", wie
       Olbrich sagt. Wenigstens blieb ihm so das Schicksal seiner Frau Margarete
       erspart: Vergeblich bemühte sich Tochter Elisabeth für sie um ein Visum für
       Uruguay, "aber wir hatten nicht das Geld für die 2.000 Dollar Kaution",
       erzählt Enkelin Irene. So musste Margarete Eloesser 1939 in ein "Judenhaus"
       ziehen, wurde 1942 nach Riga deportiert und dort ermordet. "Sie wurde wohl
       gleich nach der Ankunft im Wald erschossen", sagt Irene. "Menschen ihres
       Alters kamen gar nicht mehr ins Ghetto hinein." Ihre letzten Habseligkeiten
       listeten die Nazis penibel auf: 90 Bücher, ein Regal, fünf Taschentücher,
       zwei Handtücher.
       
       Dass vom Nationalsozialismus eine Gefahr für "sein" Berlin, die Republik
       und ihre Freiheiten ausging, hat Eloesser recht früh erkannt. 1921 schrieb
       er in der Frankfurter Zeitung eine bissige Abrechnung mit antisemitischen
       Deutschtümlern und Hakenkreuzträgern. Anlass: der Stinkbombenüberfall eines
       deutschnationalen Sturmtrupps auf die Uraufführung von Arthur Schnitzlers
       "Reigen". Nachzulesen ist das in dem neu erschienenen Eloesser-Buch
       "Wiedereröffnung - Berliner Feuilletons, 1920 bis 1922". Herausgeber: der
       unermüdliche Horst Hans Olbrich.
       
       Damit aber nicht genug des Gedenkens: Erst vor knapp zwei Wochen wurde für
       Margarete Eloesser am Lietzenseeufer 1, ihrem letzten freiwilligen Wohnort,
       ein "Stolperstein" verlegt. "Auf Anregung von Olbrich", erzählt Helmut
       Lölhöffel von der Stolperstein-Initiative Charlottenburg-Wilmersdorf. Der
       hagere Graukopf ist auf dem Fahrrad zum Antiquariat gekommen. "Wir haben
       das kurzfristig organisiert, damit die Angehörigen, die zur Parkbenennung
       kommen, das sehen können. Wäre doch scheußlich, wenn da nichts wäre", sagt
       Lölhöffel, der einmal - unter Rot-Grün - Senatssprecher war. Eigentlich
       sollte auch Eloessers ältere Schwester, Fanny Levi, einen Stolperstein
       bekommen - die Azubis des Lehrbauhofs hatten schon alles für die Verlegung
       in der Weddinger Flotowstraße organisiert. Wegen eines Unwetters musste die
       Zeremonie allerdings ausfallen.
       
       Für die Nachkommen Eloessers sind Stolpersteine und Parkbenennung wichtige
       Symbole, sagt Enkel Michael. Er kommt dafür eigens aus Frankfurt, wo er die
       halbe Zeit lebt, wenn er nicht in Israel ist. "Dass meine Großeltern nach
       rund 70 Jahren nicht vergessen sind, ist eine beachtliche Geste." Sein
       Großvater werde so als "rundum mit Deutschland verbundener Schriftsteller
       anerkannt. Das ist eine große Genugtuung für ihn." Auch Enkelin Irene ist
       mit Töchtern und Enkeln angereist, weil ihr diese Feier "sehr wichtig ist,
       besser als irgendeine Wiedergutmachung". Zumal, sagt sie, "der Park auch
       noch in der Nähe ist von der Straße, wo sie so viele Jahre gewohnt haben
       und so glücklich waren".
       
       In der Tat ist der Ort gut gewählt: Wo vor einem Jahr mit Geld der
       Deutschen Bahn eine neue Grünanlage entstand, spielten schon die Kinder des
       Ehepaars. "Der Magistrat oder der Fiskus oder die Eisenbahnverwaltung hat
       den Kindern einen Bezirk von der Böschung der Stadtbahn abgetreten, breit
       genug, dass man ihn wieder ,Wiese' nennen kann", schreibt Eloesser in "Die
       Straße meiner Jugend".
       
       Die gepflegte Anlage mit Bolzplatz und rosenumrankten Sitzbänken hätte dem
       Flaneur wohl gefallen. Auch wenn es eines nicht mehr gibt, was er
       seinerzeit sehr lobte: "[…] ein krummer Invalide der Straßenreinigung, der
       wahrscheinlich zum ersten Male in seinem Leben etwas verbieten oder
       erlauben darf, sorgt mit einer knurrenden Autorität für die Sauberkeit des
       Spielplatzes".
       
       2 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Gannott
       
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