# taz.de -- Existenzgründung bei Migranten: Wenn Tante Emma zu Onkel Ali wird
       
       > Gemüsehändler, Pizzabäcker, Schneider: Migranten machen sich häufiger
       > selbstständig als Deutsche - oft ohne Staatshilfe. Viele gehen damit ein
       > hohes Risiko ein.
       
 (IMG) Bild: Ein typischer Vertreter: das Döner-Geschäft, meistens direkt um die Ecke.
       
       Caterina Bonanno hatte keine Lust, ein italienisches Restaurant zu
       eröffnen. Sich selbstständig machen, das hieß für sie: viel Stress, viel
       Verantwortung, zu wenig finanzielle Absicherung. "Dann haben mich meine
       Schwestern überredet", sagt sie. 2008 eröffneten sie zu dritt das Don
       Matteo in Hamburg-Wilhelmsburg, eine schummrige Trattoria mit rot-weiß
       karierten Tischdecken.
       
       Es ist früher Freitagabend, das Don Matteo ist bereits jetzt zur Hälfte
       voll. Es seien vor allem Stammgäste und Freunde, die das Geschäft am Laufen
       halten, sagt Bonanno. "Das soll jetzt nicht rassistisch klingen, aber die
       sind schon froh, mal etwas anderes als Döner zu essen."
       
       Wilhelmsburg ist ein Stadtteil Hamburgs im Wandel: Die Mieten sind - noch -
       billig und ziehen Studenten und junge Familien an. Bis jetzt ist es dennoch
       das Viertel mit der höchsten Migrantenquote Hamburgs: 55 Prozent. Und 12
       Prozent der Wilhelmsburger sind arbeitslos.
       
       Auch Caterina Bonanno hat vor ihrer Selbständigkeit Hartz IV bezogen. Sie
       ist 47 Jahre alt, alleinerziehend, ausgebildete Groß- und
       Einzelhandelskauffrau. Und ein Gastarbeiterkind, in Rom geboren, in Hamburg
       aufgewachsen. Ihre Eltern hatten Jobs bei der Bundesbahn. "Die haben so
       viel gearbeitet, dass wir eigentlich schon als Kinder selbstständig waren",
       sagt Bonanno. Wenn sie lacht, klingt ihre Stimme noch tiefer als sonst und
       nach viel Nikotin.
       
       ## Die ganze Sippe hilft
       
       Caterina Bonanno strahlt bei der Arbeit die typische Mischung italienischer
       Autoritätspersonen aus: mal streng, dann wieder herzlich. Sie sitzt im
       hinteren Teil der Trattoria und knallt mit der flachen Hand auf den Tisch.
       "Hey, kommt her!", ruft sie zwei schlaksigen Jungs mit Bartflaum zu. Ihre
       Neffen sollen Getränke aus dem Keller holen. Die Bonanno-Schwestern können
       sich neben den beiden Köchen nur zwei Aushilfen leisten, oft müssen auch
       die Kinder ran und beim Kellnern aushelfen. "Die lassen sich aber nicht
       lumpen und rechnen jede Arbeitsstunde penibel aus", sagt sie. Selbst macht
       sie im Don Matteo alles: bedienen, buchhalten, Klo putzen.
       
       Eine Trattoria, in der die ganze italienische Sippe mit anpackt: Klischee
       oder Wirklichkeit? Klischee, sagt der Gründungsforscher. Klischee, sagt
       auch der Gewerkschafter - und sagt der Zoll.
       
       René Leicht arbeitet beim Institut für Mittelstandsforschung in Mannheim
       und forscht seit 25 Jahren über Migrantenökonomie. "Meist denken wir doch:
       Der Migrant, der sich selbstständig macht, ist risikofreudiger als der
       Deutsche, fast ausschließlich in der Gastronomie oder im Einzelhandel tätig
       und beschäftigt Verwandte in seinem Betrieb."
       
       Die Realität sehe aber meist anders aus, sagt Leicht. Man könne Migranten
       nicht über einen Kamm scheren. Auch wenn bei den Italienern die Familie
       eine große Rolle spielt: Bei Polen und Asiaten sehe das wieder anders aus.
       "Deshalb mag ich den Begriff der Onkel-Ökonomie nicht, er vereinfacht mir
       zu sehr", sagt Leicht.
       
       Dass in der Selbstständigkeit gerade die Familie mit anpackt, findet Guido
       Zeitler von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten nicht verwerflich.
       "Wenn mein Bruder ein Restaurant hätte, würde ich das auch machen", sagt
       er. In der Gastronomie gebe es eben einen großen Graubereich. "Da kann man
       sich immer fragen, ist das jetzt Ausbeute oder nicht?" Die Grenzen
       verliefen fließend, Kontrollen auf diesem Gebiet sind laut Zeitler schwer
       umsetzbar.
       
       Für die Kontrollen zuständig ist der Zoll, genauer: die Finanzkontrolle
       Schwarzarbeit (FKS). Doch die sind mit anderem beschäftigt, mit Menschen,
       die ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland arbeiten, mit Schleppern und
       Menschenhändlern. Was die Schwarzarbeit in der Gastronomie angeht, würden
       entsprechende Fälle zwar gemeldet, aber keine Daten zu Nationalität und
       Herkunft erhoben, sagt FKS-Sprecher Michael Klauer. Nach seinen
       Erfahrungswerten sei der Anteil der Schwarzarbeit bei Migranten und
       Deutschen in etwa gleich hoch.
       
       ## Existenzgründer aus Not
       
       Migranten würden zwar dreimal so häufig einen Betrieb gründen wie Deutsche,
       sagt Leicht. "Entscheidend ist aber: Wie viele hören wieder auf?
       Längerfristig gleichen sich die Zahlen nämlich an." Denn die vermeintliche
       Risikofreudigkeit sei bei vielen aus der Not geboren. Wer keine Chance auf
       Arbeit hat, schafft sich eben seine eigene Stelle. So sind sogenannte
       Push-Gründungen, die durch Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung
       forciert werden, nicht selten. Dies trifft auf jede dritte polnische
       Gründerin zu, bei den Männern hingegen nehmen die Türken die vordere
       Position mit 36 Prozent ein.
       
       Auch bei Caterina Bonanno kam die Idee spontan, keine der drei Schwestern
       hatte Gastronomie-Erfahrung. "Die Leute denken ja immer, die Italiener, das
       sind alles Pizzabäcker. Nichts da." Zuerst hat ein Cousin in der Küche
       ausgeholfen, mittlerweile läuft alles in geregelten Bahnen: Sie haben einen
       Koch und einen Pizzabäcker fest angestellt - und eine klare
       Aufgabenteilung. Seitdem läuft es besser.
       
       Wie es sich anfühlt, wenn es nicht läuft, das weiß Loreto Pizzileo. 40
       Jahre, auch er ein Italiener, der sich als Gastronom versucht hat. Er ist
       gescheitert. 16 Jahre ist es her, da saß Pizzileo plötzlich auf 100.000
       Euro Schulden. Er hatte eine Düsseldorfer Pizzeria übernommen, konnte sehr
       gut kochen, aber hatte keine Ahnung von Geschäftsführung. "Zehn Seiten
       Vertrag habe ich unterschrieben, ohne auch nur eine davon zu lesen." Die
       Lage war schlecht, die Kunden kamen nicht, sieben Monate später war
       Pizzileo pleite.
       
       Heute sitzt er in einem kleinen Büro nur zwei Blöcke vom Don Matteo
       entfernt. Er arbeitet für "Unternehmer ohne Grenzen" und berät Migranten,
       die sich selbstständig machen wollen. Nach seiner Pleite hat er BWL
       studiert und predigt jetzt jedem, was er gern selbst gewusst hätte: Du
       brauchst einen Businessplan, du brauchst finanzielle Absicherung und
       Geduld. "Welche Ausgaben, welche Einnahmen sind realistisch? Wie mache ich
       eine Marktanalyse?" Das alles seien Fragen, die sich jeder vor der
       Selbstständigkeit stellen sollte - ob Migrant oder nicht.
       
       Etlichen, die ihm von ihren Plänen erzählten, würde er sofort abraten.
       "Wenn jemand nicht genug Deutsch spricht, um mir seine Idee zu verkaufen,
       wie soll er da mit Kunden, Behörden und Lieferanten kommunizieren?"
       Geschätzte 90 Prozent seiner Klienten, wie er sie nennt, seien Migranten
       und arbeitslos. Der Existenzgründerzuschuss von 5.000 Euro, den sie vom
       Arbeitsamt erhalten, reicht laut Pizzileo oft nicht aus. Viele leihen sich
       deshalb auch Geld von Freunden und Verwandten. Pizzileo betreut zum großen
       Teil eher kleine Existenzgründungen. Von zukünftigen Kioskbesitzern und
       Cafébetreibern.
       
       ## Mehr Teilhabe
       
       Coskun Costur hatte nie Lust, nur kleine Brötchen zu backen. Ursprünglich
       kommt er aus einer türkischen Kleinstadt am Schwarzen Meer, seit 30 Jahren
       lebt er in Deutschland und vor neun Jahren eröffnete er das erste Hamam-Bad
       in Hamburg. Fünf Jahre später ließ er ein zweites, noch größeres bauen -
       direkt am Hafen von St. Pauli.
       
       Es nieselt, die Hafenkräne verschwinden im Nebel, doch in dem 700
       Quadratmeter großen Hamam ist davon nichts zu spüren: Kronleuchter hängen
       von der Foyerdecke, schwere Vorhänge am Fenster, überall grüne
       Polstermöbel. 40 Tonnen Marmor ließ Costur für den Bau aus der Türkei
       liefern. Er ist 46 Jahre alt, trägt einen goldenen Siegelring und seine
       heisere Stimme erinnert an den Paten im gleichnamigen Film. Costur sagt
       Sätze wie: "Ich habe visionäre Kraft" und "Mut hat mir nie gefehlt".
       
       Der Italiener als Pizzabäcker, der Türke, der Dönerfleisch vom Spieß schabt
       oder ein Hamam eröffnet: "Manche besinnen sich auch absichtlich auf ihre
       ethnischen Wurzeln und erfüllen gängige kulturelle Klischees", sagt Leicht.
       Einem Italiener traue man eben eher zu, dass die Pizza auch tatsächlich wie
       im letzten Riviera-Urlaub schmeckt.
       
       Aus den Lautsprechern dudelt orientalische Musik, während Coskun Costur
       Zucker in seinen Tee löffelt. "Ich wollte hier in Hamburg die orientalische
       Badekultur etablieren, bei uns Türken gibt es nicht diese Anonymität wie in
       normalen Wellnesstempeln. Wir kümmern uns um unsere Gäste." Mit den beiden
       Hamams hat er eine Marktlücke gefüllt - und erhielt 2004 zusammen mit
       seiner damaligen Frau den Existenzgründerpreis der Stadt Hamburg. Heute
       kümmert er sich ausschließlich um das größere Hamam am Hafen, mit dem er
       nach eigenen Angaben 400.000 Euro Umsatz im Jahr macht. Er beschäftigt
       zwölf Voll- und Teilzeitkräfte.
       
       Dass sich immer mehr Migranten in Deutschland selbstständig machen, zeugt
       für ihn davon, dass sie mehr Teilhabe an der Gesellschaft fordern, auch in
       der Politik. "Ich habe das Gefühl, viele deutsche Unternehmer sind
       mittlerweile etwas müde geworden, die treibende Kraft sind zunehmend wir
       Migranten."
       
       Und ja, vielleicht habe das auch etwas mit Mentalität zu tun. "Während der
       Deutsche jeden Cent zählt, bauen und vertrauen wir mehr auf unsere eigenen
       Netzwerke, auf Familienzusammenhalt. Wenn bei uns die Bude brennt, kommen
       meine Neffen und Cousins und helfen aus." Auch wenn dem Migrantenforscher
       René Leicht der Begriff missfällt: Coskun Costur und Caterina Bonanno
       scheinen sie jeden Tag zu leben, die Onkel-Ökonomie.
       
       7 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Emilia Smechowski
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schweden
 (DIR) Arbeitslosengeld
       
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