# taz.de -- Debatte Pakistan: Das Kalkül Pakistans
       
       > Welche Ziele verfolgt Pakistans Elite in Afghanistan? Sie hält weiterhin
       > an den Taliban fest, um sich vor dem Erzfeind Indien zu schützen, sagt
       > Britta Petersen.
       
       Die Bedeutung Pakistans für die Zukunft Afghanistans ist bekannt. Weniger
       klar ist, was Pakistan überhaupt in Afghanistan will. Diese Wissenslücke
       füllt jetzt eine Studie, die zwei regierungsnahe Thinktanks vorgelegt
       haben. Das Papier mit dem Titel [1][“Pakistan, die Vereinigten Staaten und
       das Endspiel in Afghanistan: Wahrnehmungen der außenpolitischen Elite
       Pakistans“] herausgegeben vom Jinnah Institute (Islamabad) und dem United
       States Institute of Peace (Washington) ist Pflichtlektüre für jeden, der
       sich mit der Region beschäftigt.
       
       Das Ergebnis ist desillusionierend: Pakistans Ziele in Afghanistan sind
       ebenso unklar und logisch widersprüchlich wie die Washingtons und Berlins.
       Vor allem hält Pakistan weiter daran fest, über die Regierung in Kabul
       mitbestimmen zu wollen. Das ist das Resultat von Gesprächen mit 53
       ehemaligen Diplomaten, Militärs, Sicherheitsanalysten, Akademikern und
       Journalisten - einem Who‘s Who des strategischen Establishments in
       Pakistan.
       
       Zwar sind viele der Befragten kritisch gegenüber der herrschenden
       Sicherheitsdoktrin, doch sie scheinen nicht zu glauben, dass sich an den
       Grundlinien der pakistanischen Außen- und Sicherheitspolitik, die von der
       Armee bestimmt wird, etwas ändern lässt. Auch Berlin muss sich daher die
       Frage stellen, welche der pakistanischen Interessen legitim sind und welche
       einer friedlichen Entwicklung am Hindukusch zuwiderlaufen.
       
       ## „Adäquate paschtunische Beteiligung“
       
       Die Studie nennt zwei Hauptziele Pakistans. Erstens: Eine Lösung für
       Afghanistan sollte nicht zur Destabilisierung Pakistans beitragen und bei
       den „pakistanischen Paschtunen“ auf Widerstand stoßen. Zweitens: Die
       Regierung in Kabul sollte nicht gegen Pakistan arbeiten und das afghanische
       Staatsgebiet gegen pakistanische Interessen nutzen.
       
       Daher hat Pakistan Interesse an einer „relativ stabilen“ Regierung in
       Kabul, einer „inklusive“ Regierung mit „adäquater paschtunischer
       Beteiligung“, die von allen ethnischen und politisch Beteiligten akzeptiert
       wird. Außerdem wollen es die indischen Aktivitäten in Afghanistan auf reine
       Entwicklungshilfe beschränkt sehen.
       
       Diese Liste enthält bereits alle Probleme, die Pakistans Afghanistanpolitik
       kennzeichnet. Obwohl kaum noch jemand in Islamabad eine Taliban-Regierung
       in Kabul herbeisehnt, meint Pakistan, eine freundliche Regierung nur
       dadurch sicherstellen zu können, dass „Paschtunen adäquat“ an der Regierung
       beteiligt sind.
       
       Angesichts der Tatsache, dass Präsident Karsai selbst Paschtune ist, stellt
       sich die Frage, welche Paschtunen Islamabad meint. Die Antwort gibt die
       Studie: Eine „Beteiligung der wichtigsten Taliban-Fraktionen“, namentlich
       Mullah Omars Quetta Shura und dem Haqqani Netzwerk (beide in Pakistan
       ansässig) sei unerlässlich.
       
       ## Ethnisierung des Konflikts
       
       Damit hält Pakistan an der Schimäre fest, dass die Taliban „die Paschtunen“
       repräsentieren. Die Politikwissenschaftlerin Farhat Taj von der Universität
       Oslo wirft der Studie deshalb vor, mit dem Begriff „adäquate paschtunische
       Beteiligung“ die Tatsache zu maskieren, dass Pakistan nach wie vor an der
       militärischen Doktrin der „strategische Tiefe“ in Afghanistan festhält.
       
       In der Tat hat Pakistan Angst, dass sich die Paschtunen auf beiden Seiten
       der Grenze zu einem „Paschtunistan“ zusammenschließen und damit Pakistans
       Zerfall besiegeln würden. Doch während Islamabad ein legitimes Interesse an
       der Integrität seines Staatsgebiets hat, ist der Anspruch, über die
       Regierung eines souveränen Staats mitzubestimmen, abzulehnen. Auch
       „strategische Tiefe“, ein Konzept, das Afghanistan als sicheres Hinterland
       im Fall eines Kriegs mit Indien betrachtet, ist, wenn es auf eine
       Subordination Afghanistans hinauslaufen soll, völkerrechtlich nicht
       vertretbar und nach Ansicht vieler Experten sogar militärisch obsolet.
       
       Auch ist nicht zu erwarten, dass Islamabad helfen wird, die Taliban an den
       Verhandlungstisch zu bringen. Laut der Studie besteht „Unklarheit, ob die
       Taliban bereit sind, an einem Versöhnungsprozess teilzunehmen oder über
       einen gewissen Punkt hinaus mit den USA zu kommunizieren“. Der
       Sicherheitsexperte Ejaz Haider warnt sogar: „Die afghanischen Taliban sind
       skeptisch gegenüber Pakistan. Es stellt sich daher die Frage, ob Pakistan
       diesen Prozess überhaupt beeinflussen kann.“
       
       ## Konsequenzen für Deutschland
       
       Deutlich wird auch, dass Pakistans Afghanistanpolitik weiter von der Angst
       getrieben ist, von Erzfeind Indien eingekreist zu werden. Angesichts der
       indischen Aktivitäten dort (Indien ist der sechstgrößte Geber in
       Afghanistan) ist dies nicht unberechtigt.
       
       Optimistisch stimmt, dass viele pakistanische Experten fordern, sich
       stärker auf gemeinsame Interessen wie bilateralen Handel, Energie- und
       Infrastruktur sowie den Wiederaufbau zu konzentrieren. Auch sollte
       Islamabad versuchen, mit anderen afghanischen Akteuren als den Taliban ins
       Gespräch zu kommen. Dies wäre jedoch eine 180-Grad-Wende in der
       traditionellen pakistanischen Afghanistan-Politik. Ein übereilter Abzug der
       Isaf-Truppen 2014 wird weder in Pakistan noch in der Region gewünscht, denn
       dies birgt die Gefahr eines erneuten Bürgerkriegs.
       
       Für die deutsche und die internationale Politik ergibt sich daraus
       Folgendes: Der falschen Ethnisierung des Konflikts muss widersprochen und
       nach einer demokratischen Lösung gesucht werden, die die Zustimmung einer
       Mehrheit des afghanischen Volks findet. Pakistans legitime
       Sicherheitsinteressen müssen berücksichtigt werden. Kabul sollte davon
       überzeugt werden, die Durand-Linie als internationale Grenze anzuerkennen,
       um das Kapitel Paschunistan zu schließen.
       
       Neu-Delhi sollte seine Aktivitäten in Afghanistan transparent machen. Und
       schließlich sollte der Westen die wirtschaftlichen Potenziale der Region
       (auch mit Nachbarn wie China, dem Iran und den zentralasiatischen
       Republiken) nutzen. Zudem sollte Berlin dem „sicherheitszentrierten Ansatz“
       des Militärs mit mehr Skepsis entgegentreten. Eine stärkerer Einfluss der
       demokratisch gewählten Regierung auf die Außen- und Sicherheitspolitik
       Pakistans ist dringend notwendig.
       
       8 Sep 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://jinnah-institute.org/programs/strategic-security-program/332-jinnah-institute-launches-report-pakistan-the-united-states-and-the-end-game-in-afghanistan-perceptions-of-pakistans-foreign-policy-elite
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Britta Petersen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schiiten
 (DIR) Bombenanschlag
       
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