# taz.de -- Was Mächtige mit der Sprache anstellen: Die Leibwache der Wahrheit
       
       > "Krieg gegen den Terror", "Achse des Bösen" - ein Wiedersehen mit den
       > Begriffen, welche uns in den zehn Jahren nach 9/11 heimgesucht haben.
       
 (IMG) Bild: Ein NYPD-Officer bewacht im Auftrag des Heimatschutzes die New Yorker U-Bahn.
       
       Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Benedict Anderson hat in seinem
       Klassiker der Nationalismusforschung "Die Erfindung der Nation" dargelegt,
       dass es erst durch die Ausdehnung des Buch- und Druckmarktes für Menschen
       möglich wurde, sich über größere Räume hinweg als vorgestellte
       Gemeinschaften zu definieren. Nationen sind mediengeborene Kollektive, in
       denen zusammenwächst, was in Zeitungen gemeinsam liest, im Radio gemeinsam
       hört, im Fernsehen gemeinsam sieht und im Internet gemeinsam chattet. Die
       Medien sind die moderne Agora, sie sind der zentrale Veranstaltungsort, auf
       dem sprachlich kommunizierte Werte und Normen ausgehandelt werden.
       
       Am Beginn von Foucaults Diskursanalyse steht die Frage: "Wer hat die Macht
       zu sagen, was gilt?"An der medialen Propagandafront kämpft jede Partei
       darum, ihre Interpretation der Wirklichkeit als Wahrheit durchzusetzen. Und
       gerade in Zeiten der Krisen oder des Krieges kommt es zu einer verbalen
       Aufrüstung, die die Bürger von der Legitimität bestimmter Entscheidungen
       und Aktionen überzeugen sollen.
       
       George W. Bush hat von 1964 bis 1968 Geschichte an der Yale University
       studiert. Seinen Master in Betriebswirtschaftslehre hat er dann später an
       der Harvard Business School erworben. George W. Bush ist also studierter
       Historiker und Wirtschaftswissenschaftler. Er verbindet historisches Wissen
       mit kaufmännischem Kalkül. Nach den terroristischen Anschlägen vom 11.
       September 2001 sprach er, damals US-Präsident, von einem "Krieg gegen den
       Terror", von "Schurkenstaaten", "einem Kreuzzug gegen den Terrorismus" und
       von einer "Achse des Bösen". Anders als viele Kommentatoren vermuteten,
       wusste er genau, welche Wirkung seine Begriffe und Metaphern in der
       Öffentlichkeit entfalten würden.
       
       Die Kreuzzüge der christlichen Völker des Abendlandes, die sich gegen die
       muslimischen Staaten im Nahen Osten richteten, waren strategisch, religiös
       und wirtschaftlich motivierte Kriege zwischen 1095/99 und dem 13.
       Jahrhundert. Angesichts neuer komplizierter Entwicklungen gebe man also
       einfach vor, es handle sich um die Wiederholung eines alten historischen
       Musters.
       
       Die Islam ist der Feind, und es gibt Schurken und das Böse, und das Böse
       muss vernichtet werden. Langwierige Analysen und ambivalente Stellungnahmen
       verwirren da nur. Erst die Reduktion von Komplexität - ähnlich wie einem
       Werbeslogan - lässt Aussagen verkaufbar werden. Der Erfolg dieser
       massenmedial inszenierten Deutungsmuster und Mobilisierungsstrategien
       zeigte sich darin, dass die hysterisierte US-amerikanische Öffentlichkeit,
       in Meinungsumfragen und Wahlen, alle rechtsstaatlichen Einschnitte und
       Kriege der Bush-Regierung in der Mehrheit unterstützte.
       
       ## Der "Feind" ist jetzt einer von uns
       
       Unter dem Deckmantel des "Krieges gegen den Terror" wurde der USA Patriot
       Act verabschiedet. Die Bürgerrechte sind durch dieses Gesetz erheblich
       eingeschränkt worden. Telefon- und Internetüberwachungen wurden ohne
       richterliche Verfügung möglich. In "Rasterfahndungen" wird gezielt nach
       "terrorverdächtigen Personen" gesucht. Nur was ist ein "terrorverdächtiges
       Merkmal" - ein arabischer Name, eine etwas dunklere Hautfarbe, ein
       Moscheebesuch oder die Mitgliedschaft in einer islamischen Gemeinschaft?
       
       Die Nichtregierungsorganisation American Civil Liberties Union geht davon
       aus, dass allein in den USA inzwischen über eine Millionen Personen auf der
       "schwarzen Liste der Terrorverdächtigen" stehen.
       
       Am gefährlichsten sind die "Konvertiten" und die "Schläfer". Ein Konvertit
       ist eine Person, die die Religion gewechselt hat. Aus einem "guten
       Christen" ist ein "böser Muslim" geworden. Der "Feind" ist jetzt einer von
       uns. Er hat einen gewöhnlichen Namen. Er hat unseren Pass. Er spricht
       unsere Sprache. Er weiß, wie wir denken. Er ist der "innere Feind", der uns
       von hinten heimtückisch erdolcht. Dasselbe gilt für den "Schläfer". Er ist
       unauffällig, zuvorkommend, studiert an einer Technischen Hochschule und
       wacht dann auf und tötet plötzlich Menschen. Gegen den "Schläfer" hilft
       einzig und allein ein geschärftes Misstrauen gegen alle "islamisch
       aussehende Menschen".
       
       Der "Krieg gegen den Terrorismus" sät Angst und bewirkt die Schaffung eines
       permanenten Ausnahmezustands. Dadurch können der Überwachungsstaat
       ausgebaut und neue "Antiterrorismusgesetze" verabschiedet werden. Unter
       Missachtung der Menschenrechte wurde ein rechtsfreier Raum kreiert, indem
       "terrorverdächtige Personen" entführt und ohne Gerichtsverfahren über
       längere Zeit in Geheimgefängnissen inhaftiert und gefoltert werden durften.
       
       Einer der bekanntesten Foltermethoden der CIA war das Waterboarding. Dem
       Verdächtigen wird ein Tuch über das Gesicht gelegt, das dann so lange mit
       Wasser begossen wird, bis er Todesängste hat und zu ertrinken glaubt.
       Waterboarding gehört zu den Foltermethoden, die meist keine körperlichen
       Spuren hinterlassen, aber zu bleibenden psychischen Störungen führen. Es
       sind mehrere Fälle bekannt, bei denen sich nach mehrmonatiger bis
       jahrelanger Haft herausstellte, dass die Verhafteten unschuldig misshandelt
       und gefangen gehalten wurden.
       
       ## Es geht um die Konstruktion der Wirklichkeit
       
       Eine weitere Maßnahme des "Krieges gegen den Terror" war der im Jahr 2003
       begonnene "Präventivkrieg" gegen den Irak. Ein Präventivkrieg ist ein
       militärischer Angriff, der einem angeblich drohenden Angriff des Gegners
       zuvorkommen oder vereiteln soll. Um den Präventivkrieg gegen den Irak zu
       rechtfertigen, wurde Saddam Hussein von den Public-Relations-Abteilungen
       der Bush- und Blair-Administrationen dämonisiert. Er war das "Böse", und es
       hieß, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen verfüge und in die
       Anschläge des 11. September verwickelt gewesen sei. Beides war, wie man
       heute mit Sicherheit weiß, eine Lüge. In Wirklichkeit ging es um Öl, Macht
       und geostrategische Interessen.
       
       Europäische Nationen wie zum Beispiel Frankreich und Deutschland, die nicht
       an die Massenvernichtungswaffen im Irak glaubten, bezeichnete der damalige
       US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld abschätzig als "Old Europe". Mit
       dem Begriff "Old Europe" wurde impliziert, dass diese Nationen, anders als
       ihre neuen mitteleuropäischen Nachbarn wie zum Beispiel Tschechien oder
       Polen, nicht mehr auf der Höhe der Zeit agieren. In Karl Marx 1848
       publiziertem "Kommunistischen Manifest" steht übrigens geschrieben: "Ein
       Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des
       alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen das Gespenst
       verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische
       Radikale und deutsche Polizisten." Hat Rumsfeld den Begriff "Old Europe"
       von Marx gestohlen?
       
       Winston Churchill hat einmal gesagt: "Die Wahrheit ist im Krieg ein so
       kostbares Gut, dass es von den Leibwächtern geschützt werden muss: den
       Lügen." Der verbale Krieg ist in Zeiten massenmedialer Inszenierungen für
       die politischen Machthaber mindestens ebenso wichtig wie der reale Krieg
       geworden. Jeder Kriegsteilnehmer ist darum bemüht, die nationale und
       internationale Gemeinschaft für seine Sichtweise zu gewinnen. Sprache ist
       Macht. Es geht um die Konstruktion der Wirklichkeit. Denn an der
       Sprachfront, im medialen Diskurs des Kampfes um Bedeutungen, entscheidet
       sich, ob neue Gesetze oder Kriege, also das, was die Politik der
       Herrschenden ausmacht und hervorgebracht hat, von der Bevölkerung
       legitimiert oder abgelehnt werden.
       
       9 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alem Grabovac
       
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