# taz.de -- Kolumne Das Tuch: Geheimtipp Gebetsraum
       
       > Wer sich im Transit befindet, der muss erfinderisch sein. Und ein wenig
       > kompromissbereit. Denn manchmal stört die Putzfrau beim schlafen.
       
       Istanbul, internationaler Flughafen, sechs Uhr früh. Für Transit-Gäste, die
       hier für ein paar Stunden stranden, ist der Gebetsraum im Untergeschoss die
       beste geheime Schlafstätte. Die Lichter sind aus, der Boden ist mit einem
       weichen Teppich ausgelegt und Damenhandtaschen sind sowieso großartige
       Kopfkissen. Fünf oder sechs Frauen liegen hier. Ich torkle rein, zu müde,
       um mich vernünftig umzuschauen, und suche mir einen Schlafplatz. Binnen
       weniger Minuten bin ich weg.
       
       Eine Stunde später geht das Licht plötzlich an. "Wake up!", ruft eine Frau.
       "Cleaning!" ruft sie weiter in einem türkischen Akzent und stupst jede
       einzelne Frau wach. Sie müsse jetzt hier saugen. Ich richte mich auf und
       versuche zu registrieren, was los ist. Die Putzfrau ist kräftig, hat sich
       die kurzen braunen Haare streng nach hinten gebunden und guckt genervt. So
       wie jemand, der es satt hat, jeden Tag das Gleiche zu sagen, zu tun und zu
       erleben. Routinierte Frustration.
       
       Die Frauen richten sich nach und nach auf, mittlerweile sind es ziemlich
       viele hier, stelle ich überrascht fest. Eine ältere Iranerin zieht ihr
       verziertes Kopftuch über die toupierten Haare und stemmt die Arme in die
       Hüften. Ob man denn hier nicht später sauber machen könne. Sie sei schon
       seit Stunden unterwegs, komme aus dem Iran und müsse in wenigen Stunden
       weiter in die USA. Mariam heißt die Dame, Literaturwissenschaftlerin, kommt
       aus dem aserbaidschanischen Teil im Nordwesten des Iran, lebt jetzt aber
       zusammen mit ihren Kindern und Enkeln in Washington, wie ich später
       erfahre. Sie ist deutlich müde und erschöpft.
       
       Mariam und die Putzfrau diskutieren eine Weile, dann gehe ich dazwischen.
       Zehn Minuten den Raum verlassen ist doch kein Problem, beschwichtige ich.
       Schließlich gibt Mariam nach und wir gehen in den Waschraum. Eine etwas
       korpulente Bosnierin kommt als Letzte aus dem Gebetszimmer und setzt sich
       an den Beckenrand, wo sonst rituelle Waschungen verrichtet werden.
       
       Im Waschraum unterhalten wir Frauen uns. Eine Kuwaiter Radiologin ist mit
       ihren beiden Töchtern unterwegs nach Paris. Eine Woche Einkaufen und
       Sightseeing stünden auf dem Plan, erzählt sie in hervorragendem Englisch.
       Im Gegensatz zu den drei muslimischen Chinesinnen. Wir lächeln uns an, aber
       verstehen einander kaum. Sie tragen weite Kleider in Erdtönen und einen
       hohen verzierten Kopfschmuck. Ich wünsche mir sehr, mich mit ihnen
       unterhalten zu können. Chinesische Muslime können fließend Arabisch, hatte
       ich mal gelesen. Doch bevor ich es versuchen kann, ruft uns die Putzfrau
       wieder in den Gebetsraum. Sie sei jetzt fertig.
       
       Wir setzen uns alle an unsere Plätze, hellwach und neugierig, wohin die
       jeweils anderen hinfliegen, welche Geschichte sie haben und wie sie so
       sind. Dann schaltet die Putzfrau das Licht aus. Ein bisschen noch erkenne
       ich die Silhouetten der anderen, erwartungsvoll sitzen wir da. Als das
       Schnarchen der Bosnierin die Stille übertönt, legen wir uns langsam
       widerwillig hin - in der Hoffnung, bald wieder aus dem einsamen Schlaf der
       Anonymität gelockt zu werden.
       
       27 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kübra Gümüsay
       
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