# taz.de -- Finanzkrise im Kino: Die Trader stürzen ab
       
       > Die Antwort des Genrefilms auf Banken- und Schuldenkrise ist die
       > Verschwörungsfantasie: Zu sehen in "Der große Crash - Margin Call", dem
       > Filmdebüt von J. C. Chandor.
       
 (IMG) Bild: Ganz groß darin, seine Mitarbeiter zu motivieren: Kevin Spacey als Vorgesetzter Rogers.
       
       Die Darstellung von Geld im Kino war schon immer eine delikate Sache: Zu
       den Fähigkeiten des Films gehört nicht die, zwischen dem Echten und dem
       Gefälschten zu unterscheiden. Wie die Kunst so ist auch das Geld im Kino
       schon immer gefälscht. Es ist ein kindischer Fetisch, gemessen an der Magie
       der Zahl oder der Bereitschaft von Kerlen wie Django, dafür jede Menge Blut
       zu vergießen.
       
       Vielleicht hat das Kino die Virtualisierung des Geldes im
       Finanzkapitalismus bereits vorweggenommen. Vielleicht kann man aber auch
       behaupten, dass der Finanzkapitalismus auf eine Kinematografisierung des
       Geldes aus ist. Der kindische Fetisch sucht sich seine Bilder und
       Erzählungen.
       
       Und die Krisen suchen ihre Krisenbilder. Früher war das natürlich einfach.
       Ein Guter wehrt sich gegen die Korruption wie Tom Cruise in "Jerry Maguire"
       (1996, Regie: Cameron Crowe) als Sportagent, der sich eines Tages gegen die
       Profitmacher in seiner Branche zu Wehr setzt und prompt Job und Status
       verliert. Da er dabei erfährt, wie wichtig Freunde in der Not sind, wird
       mehr oder weniger alles gut.
       
       Oder es war wenigstens komisch wie in "Das Geld anderer Leute" (1991) von
       Norman Jewison, wo wir einem gewissen "Larry, dem Liquidator" bei der
       feindlichen Übernahme von Unternehmen zusehen dürfen (bis die richtige Frau
       auf den Plan tritt).
       
       Zehn Jahre später lässt sich die Krise des Finanzkapitalismus nicht mehr so
       ohne Weiteres in vagen Versprechungen von Liebe, Freundschaft und Familie
       auflösen, auch wenn es jemand wie Cédric Klapisch in "Mein Stück vom
       Kuchen" noch einmal in einer modifizierten Cinderella-Geschichte versucht:
       Alleinerziehende Mutter von drei Kindern verliert ihren Arbeitsplatz durch
       die üblichen Heuschrecken-Aktivitäten und findet einen Job als
       Haushaltshilfe ausgerechnet bei dem Kerl, der für die Übernahme ihrer
       Fabrik verantwortlich ist.
       
       Immerhin: Die absehbare Liebesgeschichte zwischen Täter und Opfer im
       Neoliberalismus endet nicht nach den Regeln der Romantic Comedy.
       
       Die Antwort des Genrefilms auf Banken- und Schuldenkrise ist die
       Verschwörungsfantasie. Im Thriller wie in dem dänischen "Headhunter" (2009,
       Regie: Rumle Hammerich) oder im Horrorfilm wie in "Infestation" (2009,
       Regie: Kyle Rankin) wo ein "Telemarketing"-Angestellter während seines
       Entlassungsgesprächs in Ohnmacht fällt, um in Kokons riesiger Insekten als
       Nahrung zu erwachen.
       
       Und immer noch lieben wir es, durch Liebe und Familie das ökonomische
       Geschick zu "heilen", wie in "Larry Crowne" (2011, Regie: Tom Hanks), wo
       Hanks selber den linkischen Verkäufer spielt, der nach dem Verlust seines
       Jobs, nach der Scheidung ohne Haus und ohne Auto, unerschütterlich
       optimistisch am Neustart werkelt und ihn mit Hilfe von Julia Roberts
       natürlich auch schafft. Der Optimismus wird hier einfach behauptet. Mehr
       ist nicht mehr drin.
       
       ## Geld, das nicht existiert
       
       Auch hierzulande macht man sich so seine Gedanken im Bewegungsbild, zum
       Beispiel in der TV-Produktion "Ein mörderisches Geschäft" (2010, Regie:
       Martin Eigler), wo eine Oberhausener Firma in die Krise gerät und die
       Unternehmensberater Tom Winkler (Devid Striesow) und Alina Liebermann
       (Christiane Paul) anheuert, um das marode Unternehmen zu sanieren.
       
       Tom findet in den Unterlagen immer seltsamere Zahlen und stößt auf den
       ungeklärten Tod eines Managers; sein Chef verlangt von ihm, über die
       Manipulationen hinwegzusehen, was er indes anders als seine Kollegin
       ablehnt. "Bemerkenswert", so Christiane Paul, "dass hier den
       Unternehmensberatern, die mittlerweile ja eher ein schlechtes Image haben,
       eine positive Aufklärerrolle zuteil wird." Das ist nun in der Tat eine sehr
       deutsche Lösung.
       
       Im Fernsehen und im Kino lernen wir, wie man aufhört, sich Sorgen zu machen
       und die Krise zu lieben. Und uns das System in etwa so vorzustellen wie
       Michael Douglas in den beiden "Wall Street"-Filmen von Oliver Stone, als
       dämonisch-verführerische Gestalt mit dem legendären Wahlspruch "Gier ist
       gut". Im Sequel findet sich in der Familie weder Läuterung noch Versöhnung,
       sondern das ideale Mittel, so weiterzumachen wie zuvor.
       
       "Der große Crash - Margin Call" von J. C. Chandor verfolgt dagegen ein
       Konzept der Entdämonisierung: Der Film will einerseits mehr oder weniger
       nüchtern zeigen, wie das System funktioniert beziehungsweise wie es
       kaputtgeht, und andererseits die Menschen, die in diesem System beschäftigt
       sind, porträtieren.
       
       Ein Margin Call ist nicht Ursache, sondern Auslöser einer Krise, der
       selbstreflexive Kniff des Systems, mit dem gleichsam mit einem Schlag
       sichtbar wird, dass das Geld, mit dem hantiert wird, gar nicht existiert:
       "Trader" im Investment-Business bekommen von den "Brokern" Kapital, um mit
       Finanzpapieren, Terminkontrakten oder Devisen zu handeln. Um eine
       Sicherheit zu haben, muss der Trader eine Summe hinterlegen, den Margin
       Account, der in der Regel bei bis zu einem Prozent des zur Verfügung
       gestellten Kapitals liegt.
       
       Wachsen indes die drohenden Verluste des gehandelten Papiers über die Summe
       des Margin Account hinaus, kann der Broker verlangen, dass die
       Sicherheitssumme erhöht wird. Das wird natürlich dramatisch, wenn man sich
       auf einen Totalverlust zubewegt. Das ist der Margin Call, der immer mal
       wieder den GAU in einem Risikounternehmen bedeutet. Kann der Trader nämlich
       nicht sofort das entsprechende Kapital nachschießen, wird die
       Handelsposition geschlossen, der Trader stürzt ab.
       
       2008, New York. Ein Investment-Unternehmen wird dem üblichen re-engineering
       unterzogen. Die dafür zuständige Crew von knallharten Spezialisten sortiert
       Mitarbeiter aus, Anfänger ebenso wie verdiente Mitarbeiter der Firma, und
       mit einer Mischung aus Bangen und Hoffen verabschieden die
       Zurückgebliebenen die Opfer, darunter den Top-Risk-Analysten Eric Dale
       (Stanley Tucci).
       
       Dale ist einer von denen, die die Firma überhaupt erst zu dem gemacht
       haben, was sie ist. Er war gerade mit einer Analyse der augenblicklichen
       High-Risk-Situation beschäftigt; nichts darf er mitnehmen von seinem
       Wissen, nichts davon ist noch von Interesse; sogar sein Diensthandy wird
       abgeschaltet. In diesen Eingangssequenzen ist "Margin Call" ein ziemlich
       genauer und böser Film.
       
       ## Blanker Machtwillen
       
       Trotz des gewaltsamen "Freisetzens" kann Dale die entsprechenden
       Informationen auf einem Datenstick seinem jungen Mitarbeiter Peter Sullivan
       (Zachary Quinto) zustecken, einem Mathematiker, der als Quereinsteiger in
       die Finanzwelt gekommen ist und entsprechend schnell erkennt, was er da für
       ein brisantes Material auf den Schirm geladen hat: Der todsichere Untergang
       der Firma ist keine Frage von Wochen, sondern von Stunden.
       
       Noch in der Nacht versammelt sich nach und nach die Firmenleitung; deren
       Repräsentanten stammen aus der Typenlehre des Finanzgeschäfts: Paul Bettany
       als der "Lead Trader" Emerson, der das schnelle Leben und den Kitzel des
       Risikos liebt, Kevin Spacey als Sullivans Vorgesetzter Rogers, der stolz
       darauf ist, wie er seine Mitarbeiter zu motivieren versteht (und der in
       seinem Privatleben, geschieden und allein, um seinen Hund trauert,
       möglicherweise wirklich sein einziger Freund); Simon Baker als Cohen, der
       klassische Blender-Manager, der sich die Verdienste seiner Mitarbeiter
       unter den Nagel reißt, und Demi Moore als Sarah Robertson, Leiterin der
       Risiko-Abteilung, das weibliche Gesicht der Szene, halbverhärtete Powerfrau
       und selbst schon zum Opfer erkoren.
       
       Die verschiedenen Charaktere zwischen Karrieresucht, Luxus, Zynismus und
       Restskrupeln funktionieren pyramidal: Unten gibt es Sachverstand, in der
       Mitte Delegationsgeschick, und oben nur den blanken Macht- und
       Profitwillen; dort herrscht Jeremy Irons als gutgekleideter Konzernchef
       John Tuld, einer der kalten Götter der Wall Street, der schließlich den
       Plan entwickelt, sich durch einen blitzschnellen Verkauf der toxischen
       Papiere zu retten.
       
       So schleudert man den eigenen Ruin über das Segment der Finanzindustrie;
       das bedeutet den Tod der unabhängigen Investmentbanken. Der Thrill dieses
       Kammerspiels besteht nun darin, zu verfolgen, ob und wie sich die
       Mitarbeiter in diesen Plan einspannen lassen. Selbst Eric Dale wird
       zurückgeholt.
       
       ## Die Krise einer Firma wird zur Krise des System
       
       Anders als Oliver Stone in "Wall Street II" versucht J. C. Chandor die
       Krise nicht in einer faszinierend-bösen Gestalt zu erklären. Da er die Welt
       der Finanzmakler von seinem Vater her kennt, der bei Merril Lynch
       arbeitete, balanciert der Regisseur zwischen "System" und "Charakter":
       Tatsächlich ist es erst einmal überraschend, im Zentrum der gewaltigen
       Katastrophe ganz normale Menschen zu sehen, die sich irgendwie verhalten
       müssen, während sie mit dem Rücken an der Wand stehen.
       
       Es gibt Momente in der Geschichte dieser vierundzwanzig Stunden, in denen
       aus der Krise einer Firma die Krise eines Systems wird, an denen man
       erwartet, nun würde sich die moralische und psychische Spannung in einem
       persönlichen Drama entladen. Für einen Augenblick scheint es
       wahrscheinlich, dass sich einer vom Bürohochhaus stürzt, dass ein anderer
       seinem fiesen Chef beim Rasieren im Waschraum die Kehle durchschneidet,
       dass jemand Nein sagen und sich der Macht von Tuld entgegenstellt.
       
       Nichts davon geschieht. Und die bitterste Pointe ist: Je mehr Skrupel einer
       anfänglich zeigt, desto perfekter spielt er am Ende seine Rolle im großen
       Betrugs- und Zerstörungsszenario.
       
       "Die Maschine, von der sie ein Teil sind, ist derart groß und komplex
       geworden, dass niemand die zerstörerische Macht begreifen konnte, die von
       ihr ausging. Bis es zu spät war", sagt J. C. Chandor. Weniger freundlich
       kann man es auch umgekehrt sagen: Die Menschen, die eine solche Maschine
       bedienen, sind so beschränkt, trivial und charakterlos, dass die
       Katastrophe unausweichlich wird.
       
       "Der große Crash - Margin Call". Regie J.C. Chandor. Mit Demi Moore, Kevin
       Spacey u. a. USA 2011, 110 Min. 29.9. 2011.
       
       28 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Georg Seesslen
       
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