# taz.de -- Fotoausstellung des Finnen Jaakko Heikkilä: Der Mann mit der langsamen Kamera
> Immer wieder befasst sich der Finne Jaakko Heikkilä mit Rändern und
> Grenzen und Dingen, die im Verschwinden begriffen sind. Zu sehen sind
> seine Arbeiten jetzt in Kiel.
(IMG) Bild: Der Fluss nimmt keine Notiz von denen da am Ufer: "Mirja by the river".
KIEL taz | Immer wieder steht da ein Mensch und schaut auf die Welt. Blickt
auf einen Fluss, mit Eisschollen gespickt, der vorbeizieht und sich nicht
um den zu kümmern scheint, der da am Ufer Ausschau hält, die Pudelmütze ins
Gesicht gezogen. Immer wieder auch liegen die Menschen wie schlafend da:
auf einem Bett, auf einer Couch, draußen im Gras, auf den Bauch gedreht.
Der Himmel wölbt sich über ihnen und will nicht enden. "Wenn du liegst,
bekommst du einen anderen Blick auf die Welt", sagt Jaakko Heikkilä, "bist
anders anwesend."
Wobei die dabei entstehende intensive Abwesenheit der Arbeitsweise des
finnischen Fotografen entspricht: "Meine Panoramakamera arbeitet sehr
langsam und braucht Zeit: bis zu einer Minute", erzählt er. "Es ist schon
vorgekommen, dass Menschen, die ich so ablichtete, dabei eingeschlafen
sind. Warum auch nicht? Sie sind ja trotzdem - da."
Verschiedene Auszüge seiner Fotoserien waren in den vergangenen Jahren
immer wieder im Rahmen der Ausstellungen des Ostseeverbundes Ars Baltica in
der Kieler Stadtgalerie ausgestellt. Die zeigt nun die bundesweit erste
Retrospektive Heikkiläs. Der Titel "Silent Talks" ist dabei weniger als
flottes Wortspiel gemeint, sondern entspricht durchaus dem Naturell des
1956 geborenen Nordwestfinnen.
Dieser erfüllt keineswegs das Klischee des wortkargen, auch verschrobenen
und unzugänglichen Finnen, wie er seit längerem durch Filme und Romane
geistert: "Ich mag beides, das Reden und das Schweigen", sagt Heikkilä.
"Das Reisen und das Unterwegs sein und dann wieder das ganz allein sein."
Das Wechseln zwischen den Sphären, das Grenzdasein auch, ist Heikkilä
gewissermaßen in die Wiege gelegt worden: Aufgewachsen ist er in der
lappländischen Grenzregion von Finnland und Schweden, am Ufer des
Tornionjoki, der mit seinen Untiefen und Stromschnellen dort seit mehr als
200 Jahren den Grenzverlauf bestimmt.
In seiner unmittelbaren Jugend, als er die Kamera immer öfter in die Hand
nahm, gingen die Zeiten gerade erst zu Ende, in denen es den Schweden in
Finnland nicht erlaubt war, Schwedisch zu sprechen, und die Finnen in
Schweden nicht finnisch sprechen.
Seine frühen Arbeiten, von denen einige nun in Kiel zu sehen sind, zeigen
uns denn auch Portraits von Menschen, denen anzusehen ist, dass sie ihre
Welten behaupten wollen: Stolz tragen die Damen ihre Lockenwickler wie die
Männer ihre abgearbeiteten Hände; oft fällt das Licht milde durch die
Gardinen.
Überhaupt ist ein gewisser transzendenter Schimmer nicht zu übersehen, auch
wenn Heikkilä betont, er sei ein ganz normaler Lutheraner. "Jesus stands on
the swedish side" hieß seine Fotoreportage über die finnischsprachige
Minderheit in Schweden, einem in seiner Kindheit verheißungsvollen Land:
Schweden war reich, in Schweden gab es auch diese seltsamen, schmackhaften
Südfrüchte, Schweden war das ganz andere Paradies. Und dort wollte er sich
umschauen.
Heikkilä, der zunächst als Ingenieur arbeitete und dazu in Helsinki
studierte, ging immer wieder auch in seine Heimatregion zurück. Er
fotografierte Verwandte, insbesondere seine Großeltern. Vorzugsweise im
Oktober, November, wenn das Leben draußen zu ruhen beginnt, saß er bei
ihnen in der Küche, ließ sich von ihrem Leben erzählen, dem ihrer Vorfahren
und dem der Menschen davor.
Als er sich daheim genügend umgeschaut hatte, ging es langsam hinaus in die
weite Welt. Heikkilä reiste zunächst ans weiße Meer in den Norden Russlands
und portraitierte die dortigen Seehundjäger. Er ging weiter nach Armenien,
erkundete bei dieser Gelegenheit auch das Dasein der überall verstreuten
Armenier. Er reiste nach Serbien, wo er sich mit der Minderheit der
Walachen beschäftigte, zumeist streng orthodoxen Christen, die es auch auf
der rumänischen Seite der Grenze gibt und die eine Sprache sprechen, die es
nicht in schriftlicher Form gibt.
"Es mag rückblickend so aussehen, als sei es mein Plan gewesen, über
Minderheiten in Europa zu erzählen, aber das meiste hat sich wirklich
zufällig ergeben", sagt Heikkilä. Nach Armenien kam er, als er auf der
Fähre St. Petersburg-Helsinki den Kurator eines Festivals traf. In Belgrad
hatte er eine kleine Ausstellung, zufällig erzählte der Galerist von den
Walachen und verschaffte ihm schließlich einen Kontakt zu einem dort
tätigen Ethnologen.
"Ich habe in den walachischen Familien gelebt, mitten unter den Leuten -
dabei konnten wir nicht miteinander reden, wirklich: kaum ein Wort",
erzählt Heikkilä. "Ich mag diese Art des Kontakts und diesen Zustand: eng
zusammen sein und nicht reden zu können. Du bist dann einfach du selbst -
und man versteckt sich nicht hinter endlosem Gerede."
Und ja, auch ihn könne man als Ethnologen bezeichnen. Nur dokumentiere er
nicht stur und distanziert scheinbar im Verschwinden begriffene Kulturen.
Sondern er schaffe aus den Begegnungen gültige Bilder, die in Ausstellungen
und Buchprojekten ihren Ausdruck fänden. Im New Yorker Distrikt Harlem
wiederum fand er Zugang zu den Einwohnern, als er einem örtlichen
Galeristen seine Fotos aus Nordrussland und der finnischen Heimat zeigte.
Der lud ihn ein, sich doch bei ihm daheim in seiner Straße umzusehen, und
auch dort öffneten sich nun Türen, die zuvor verschlossen gewesen waren.
Als nächstes wird Heikkilä ein Fotoprojekt über feine Leute in Venedig
auswerten, als Buch und in einer Ausstellung. Auch Deutschland würde ihn
mal interessieren, dieses dicht bevölkerte, ständig beschäftigte Land, in
dem es doch schwer sein müsse, mal zur Ruhe zu kommen.
Ob wir da einen Tipp hätten? Friesland vielleicht? Am Meer gelegen, ohne
große Städte, fremd und einigermaßen abgeschieden - und eine eigene Sprache
gibt es dort, die in Zeiten medial gestützter Globalität auf ihren
Fortbestand pocht: Ja, das könnte passen. Und so schreibt er langsam und in
Druckbuchstaben "Friesland" in sein kleines, schwarzes Notizbuch. Aber
erstmal fährt er in entgegengesetzte Richtung: nach Kuba.
## "Silent Talks": bis 13. November, Stadtgalerie Kiel
6 Oct 2011
## AUTOREN
(DIR) Frank Keil
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