# taz.de -- Saisonauftakt der Berliner Festspiele: Pazifische Passionen
       
       > "Le Savali: Berlin", eine Inszenierung des Samonaners Lemi Ponifasios,
       > ist voller Momente der Transformation und des Unbestimmbaren.
       
 (IMG) Bild: Das Licht moduliert die Körper sparsam: "Le Savali: Berlin".
       
       Sie stürzen. Da war ein Geräusch, und unvermittelt brechen die mehr als
       zwanzig Frauen und Männer, die eben noch still nebeneinander auf der großen
       Bühne standen, in sich zusammen. Mehrmals geschieht dies.
       
       Beim ersten Mal gleicht das Bild einer Massenerschießung, dann wird man
       gewahr, dass der scharfe Ruf eines einzelnen Mannes jedes Mal den Sturz
       auslöst. Was eben noch wie ein Bild des Todes anmutete, könnte auch eine
       Übung sein, eine Simulation, ein Abwehrzauber. Aus der Ferne hört man
       Schreie eines Einzelnen, dem eine ekstatische Menge antwortet, und auch
       diese akustische Kulisse bleibt unbestimmt. Eine politische Demonstration?
       Ein religiöses Ritual? Eine militärische Übung?
       
       "Le Savali: Berlin", eine Inszenierung von Lemi Ponifasio, ist voll solcher
       Momente der Transformation und des Unbestimmbaren. Lemi Ponifasio stammt
       aus Samoa, und von Inseln aus dem pazifischen Raum kommt die eine Hälfte
       der Performer, die andere aus Berlin. Es ist eine beeindruckende Zeremonie,
       wenn sie im Haus der Berliner Festspiele das erste Mal auf die Bühne
       ziehen, durch den Zuschauerraum, sehr langsam, einer nach dem anderen, ein
       nimmer endender Zug. So beginnen Mythen.
       
       Und weil man nachlesen kann, dass "Le Savali" das Unterwegssein bezeichnet
       und das Stück auch Berlin im Titel trägt, ist die Absicht nicht schwer zu
       erraten, von der Stadt als Ort der Migration und des Transitorischen zu
       erzählen. Aber zugleich erscheint der Anspruch der Bilder so universell,
       dass der Kontext Berlin marginal bleibt, nicht mehr als ein Pünktchen auf
       einer Zeitleiste, die von mythischen Anfängen ins ungewisse Dunkle vor uns
       weist.
       
       Monumentale Landschaften Ponifasio baut aus wenigen Elementen monumentale
       Landschaften. Eine hohe Wand steht wie ein Berg hinter den Performern, und
       wenn sich vorne die Bühne absenkt, denkt man gleich, das ist der Weg in den
       Hades. Das Licht moduliert die Körper sparsam, zeichnet manchmal nur die
       Konturen der Muskeln nach, während der Rest im Schatten bleibt.
       
       Für die Berliner Festspiele, die mit "Le Savali: Berlin" in ihre Theater-
       und Tanzsaison starten, ist das eine wichtige Produktion. Zum einen, weil
       sie mit diesem Auftragswerk zeigen, dass sie nicht nur Gastspielort sind,
       zum andern, weil Lemi Ponifasio den Ruf eines Neuerers genießt. Ihm wird
       zugeschrieben, ein durch die Kolonialisierung der pazifischen Inseln
       verschüttetes spirituelles Erbe für die zeitgenössische Kunst produktiv zu
       machen.
       
       Das tut er auch, aber zugleich gerät dies zur Behauptung, die alles als die
       ganz große Geste hinstellt. So wurde allein der Tatsache, dass Ponifasio
       mit seiner Truppe und Berliner Künstlern und Laien zusammengearbeitet hat,
       im Vorfeld ein großer symbolischer Wert zugeschrieben. Als ob Ensembles
       sich nicht immer aus Bekannten und Fremden zusammenrauften.
       
       Wer das Erhabene sucht, wandelt immer auf schmalem Grat. Es gibt berührende
       Augenblicke in "Le Savali", wenn ein Begriff wie Gemeinschaft plötzlich so
       einfach herzustellen scheint, einfach einer neben dem anderen, und es gibt
       die, deren Verlangen nach Empathie man sich vom Leib halten will, wie eine
       kreuzigungsähnliche Szene, die einer sexuellen Ekstase nicht fern ist. Es
       gibt das wohltuende Ankommen in diesem Raum der Entschleunigung und den
       Moment, wo man sich pädagogisch ermahnt fühlt, sich einzulassen auf das
       Unbekannte. Am Ende überwiegt dieses Unbehagen, und man wünscht sich zurück
       in die Konkretion des Alltags.
       
       "Le Savali: Berlin"; Konzept, Bühne, Choreographie, Regie, Sounddesign und
       musikalische Leitung: Lemi Ponifasio, Licht: Helen Todd, Komposition:
       Fabrizio Cassol; Samstag/Sonntag, 8./9. Oktober, jeweils 20 Uhr, Haus der
       Berliner Festspiele
       
       7 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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