# taz.de -- Kaffeehauschefin über Macchiato-Mütter: "Die Weiber denken, sie wären besser"
       
       > taz-Redakteurin Anja Maier hat sich in ihre alte Heimat begeben, den
       > Prenzlauer Berg in Berlin. Lesen Sie hier eines der Protokolle aus ihrem
       > Buch "Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter".
       
 (IMG) Bild: "Jetzt setzen die sich hier im Pulk hin, holen ihre Euter raus und stillen die Kinder."
       
       Es ist kühl draußen, frühlingskühl: frösteln im Schatten, leichte Wärme in
       der Sonne. Ich öffne die Tür zum Café und setze mich direkt ans Fenster ins
       Licht. Eine Quiche bitte! Auf einer Bank sitzt ein bekannter junger
       Schauspieler mit seiner Tochter, die beiden zahlen gerade, dann sind sie
       weg. Die Chefin geht in die Küche und kommt mit der Quiche zurück. Sie
       fragt: Jehts jut?
       
       Wat schreibense? Ein Buch? Na da fragense die Richtige. Mir stehts nämlich
       bis hier mit den Weibern hier im Prenzlauer Berg. Eins im Wagen, eins am
       Wagen, eins im Bauch, so schettern die hier die Straße runter. Schön is dit
       nich! Die Weiber hier denken doch, die sind was Besseres. Weil sie
       Kiiiiinder haben! Huch! Is ja ganz was Neues, dass man sich fortpflanzen
       kann. Gucken Se, da draußen, schon wieder zwei Rinder. Wie die aussehen!
       Man könnte würgen, wer geht denn über so wat noch drüber? Friseur? Braucht
       so eine nich. Mal wat anderet als ne Jack-Wolfskin-Jacke? Nee, is nich. Der
       Alte zahlt ja, den haben se sicher mit dem Blag.
       
       Die kommen hier rein in mein Café, drei Kinderwagen auf dreißig
       Quadratmeter. Dann is hier dicht. Na, sag ich, einen könnse mit reinnehmen,
       aber die andern Wagen bitte draußen lassen. Was mir einfällt, macht mich
       die Olle an, das wäre ja Diskriminierung! Ja, sag ich, wenn Sie hier alle
       reinrollen, gibt's keinen Platz mehr für andere Gäste. Na hallo, sagt das
       Rind, das werd ich jetzt überall rumerzählen, dass man hier mit Kindern
       diskriminiert wird. Ja, sag ich, denn erzählnse dit mal weiter, dann
       bleiben solche wie Sie endlich weg.
       
       Oder neulich, da kommt eine rein, Mittagszeit. Bei mir gibt's Salate,
       Bagels, Baguettes. Sagt se: Die Hackfleischsuppe hätt ich gern ohne
       Fleisch. Icke: Jeht nich, aber bestelln Se doch wat anderet. Sie:
       Entschuldigung, mein Baby ist hoch allergisch, können Sie verantworten,
       wenn das Kind einen Schock über die Muttermilch kriegt? Die hab ick
       rausgeschmissen, klar, is immer noch mein Café. Und dann wieder das
       Geseire: Ich zeig Sie an, ich wohne hier, und ich werde alle meine
       Freundinnen davor warnen, zu Ihnen zu kommen. Machense dit, machense, hab
       ick noch gesagt.
       
       Is doch wirklich wurscht, ob die bei mir einkehren. Die verzehren eh nix.
       Sind alles Schwaben, die leiden, wenn se mehr als einsfuffzig ausgeben
       müssen. Manche setzen sich hin, holen ihre Thermoskanne raus und Kekse fürs
       Kind: Nein danke, für mich nichts. Spinnen die? Wenns doch mal 'n
       Milchkaffee sein darf, dann sitzen die drei Stunden daran, versperren den
       Gehweg und labern, labern, labern. Haben ja nüscht zu tun. Und dann aber
       die Milch für den Kaffee ohne Kuh, sondern mit Soja. Kriegen die aber nich
       bei mir. Klar hab ich so was da, aber für die gibt's das nicht, nur für
       gute Kunden.
       
       Du lieber Himmel, der Prenzlauer Berg war mal underground, schwul-lesbisch,
       alles, ich komm ja von hier. Jetzt setzen die sich hier im Pulk hin, holen
       ihre Euter raus und stillen die Kinder. Nicht dass die da mal 'ne Decke
       drüberlegen oder so - neeeein, das soll jetzt aber auch wirklich jeder
       mitkriegen, dass sie ihr Baby ernähren können, dass sie das hinkriegen mit
       vierzig oder wie alt die sind. Großes Getöse. Ick meine, das Wort "stillen"
       kommt ja wohl von STILLE. Aber dit raffen die einfach nicht, die Rinder.
       Ich hab schwule Stammgäste, die sehen das und sagen: Entschuldige, Tanja,
       mir wird schlecht, ich kann nicht mehr zu dir kommen, wenn die hier ihr
       ganzes Gehänge rausholen. Kann ick verstehen. Ick hab selber noch mal was
       Kleines bekommen, der ist jetzt fünf.
       
       Sie glauben ja nicht, was bei den Elternversammlungen im Kindergarten
       abläuft. Da kommen die alle angelatscht, die Kinder natürlich dabei, und
       dann geht das los: Mein Sohn braucht Spanischunterricht, meine Tochter
       musste neulich alleine spielen, warum gibt's hier eigentlich kein Bioessen,
       die Erzieherin hat neulich so unfreundlich geguckt … Die Leiterin, die kenn
       ich noch von meiner großen Tochter, die ist heulend rausgerannt. Die drohen
       ja alle gleich mit dem Anwalt - mit dem sind sie ja praktischerweise auch
       verheiratet.
       
       Was die Rinder ja nicht wissen, ist, dass der längst was anderes am Laufen
       hat - ich seh das ja alles hier. Die Typen kommen dann abends mit ihrer
       Sekretärin, knutschen mit der rum, und nachmittags waren sie noch mit ihrer
       Alten und den Kindern auf dem Spielplatz. Das raffen die Rinder ja nicht,
       die denken, so, den Alten hab ich sicher, sind ja seine Kinder. Aber die
       Typen sind clever. Die haben 'ne schöne Frau geheiratet, haben ihr Kinder
       gemacht, und dann wurde aus so 'ner Kunstwissenschaftlerin plötzlich ein
       Muttertier.
       
       Es ist traurig, echt. Ich meine, wir haben unsere Kinder früher auch groß
       gekriegt ohne das ganze Trara. Wir hatten sie, haben uns gefreut, und wenn
       es mal ein Problem gab, haben wir es gelöst. Natürlich sind wir immer
       arbeiten gegangen, gibt doch gute Kindergärten hier, die kümmern sich
       wunderbar um die kleinen Spatzen. Aber die Rinder finden ja, dass alles
       genau so sein soll, wie sie es von zu Hause kennen aus ihrem Tal.
       
       Also schön erst mal drei Jahre zu Hause bleiben, mindestens. Und dann aber
       fördern, fördern, fördern! Kinder sind für die kein Spaß, das ist 'ne
       Aufgabe, die sie lösen müssen. Du lieber Himmel! Ich versteh gar nicht,
       warum die sich das alles antun, warum die überhaupt hergekommen sind nach
       Berlin. Sollen die doch zurückgehen, dahin, wo sie herkommen. Da ist es
       dann auch schön ruhig, so wie die das kennen.
       
       Denen passt ja hier nichts! Zu viel Verkehr, zu viele Häuser, zu wenig
       Spielplätze. Aber die dicken Familienkombis fahren, fürs nächste Kind,
       klar. Spinnen die? Hier gibt's so viele Spielplätze wie noch nie. Da sitzen
       sie dann, die Rinder, und langweilen sich, logisch. Würd ich auch.
       
       Aber ich hab zu tun, hab das Café, hab Kinder, hab 'n Freund, ich seh gut
       aus. Jetzt geht's schon los, dass sie den ganzen Gethsemaneplatz begrünen
       wollen, also uns Händlern hier die letzten Kundenparkplätze wegnehmen
       wollen. Das nennen sie dann Begegnungszone. Hallo!? Wenn ich jemandem
       begegnen will, ruf ich den an. Ich will nicht mit jedem hier befreundet
       sein und zusammen Sandkuchen backen, echt nicht. Ich versteh nicht, warum
       die nicht einfach wegziehen, wo das doch alles so schlimm hier für sie ist.
       Laber, laber, nöl, nöl - so geht das den ganzen Tag.
       
       In vier Jahren läuft hier mein Pachtvertrag aus. Kann sein, ich muss gehen,
       weil dieser Hamburger Heini von Vermieter 'ne Hebammenpraxis reinsetzen
       will. Kann aber auch sein, ich bleibe. Und wissen Sie, was ich dann mache?
       Dann mach ich hier 'n Pornoladen auf, mit allem Drum und Dran. Da haben die
       was zu gucken, die Rinder. Und auch gleich was zum Lernen. Auf jeden Fall
       kommen sie dann nicht mehr hier rein.
       
       Ein Gast betritt das Café. Die Chefin unterbricht kurz, fragt: Wie immer,
       Holger? Wie immer. An der Kaffeemaschine stehend, erklärt sie ihm, worüber
       sie gesprochen hat. Holger erzählt daraufhin, dass er gerade eine neue
       Wohnung sucht. Er wohnt in einem Hinterhaus, das direkt auf einen Innenhof
       mit Spielplatz hinausgeht. Ick halte dit Jeschreie nich mehr aus, sagt er,
       dreißig Jahre bin ick hier, aber jetze is jut - ick zieh nach
       Charlottenburg. Da isset ruhig. Die Chefin nickt.
       
       9 Oct 2011
       
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