# taz.de -- Debatte Gewerkschaften: Wir brauchen eine neue Lohnpolitik
       
       > Die Gewerkschaften könnten helfen, den Euroraum zu stabilisieren. Doch in
       > Deutschland sind sie schon im Inland zu schwach. Von Europa nicht zu
       > reden.
       
 (IMG) Bild: Beliebtes Arbeitskampfmittel der Gewerkschaften.
       
       Das schwarz-gelbe Politikversagen droht Europa in eine schwere Krise zu
       stürzen. Eine Pleite Athens kann die Eurozone kollabieren lassen. Dies
       würde von Paris bis Rom zu großen Wachstumseinbrüchen, hoher
       Arbeitslosenquote und sozialen Verwerfungen führen. Hierzulande träfe es
       besonders die Exportindustrie und die Banken.
       
       Die massive Aufwertung eines Nordeuro würde in der Automobil-, Chemie- und
       Pharmaindustrie sowie im Maschinenbau hunderttausende Arbeitsplätze
       vernichten. Deutsche Bank, Commerzbank, HRE & Co bräuchten sofort neue
       Finanzspritzen.
       
       Europa steht am Scheideweg. Wenn jetzt nicht endlich die Krisenursachen
       bekämpft werden, dann ist die Währungsunion bald Geschichte. Das geht aber
       nicht ohne einen politischen Kurswechsel. Dabei verstellt die
       Staatsschuldendebatte den Blick auf die eigentlichen Probleme.
       
       ## Ungleichgewichte in Handels- und Kapitalströmen
       
       Seit der Euroeinführung driftet die Wettbewerbsfähigkeit der Euroländer
       immer weiter auseinander. Die deutschen Löhne und Lohnstückkosten kamen
       seit der Jahrtausendwende kaum vom Fleck. Folglich purzelten die heimischen
       Preise. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands verbesserte sich
       um fast ein Viertel. In Südeuropa hingegen bekamen die Preise Beine. Dort
       verteuerten sich Waren und Dienstleistungen gegenüber dem Ausland.
       
       Die italienische, die spanische und die griechische Wettbewerbsfähigkeit
       verschlechterten sich in den letzen zehn Jahren um bis zu 13 Prozent. So
       entstehen zwangsläufig Ungleichgewichte in den Handels- und Kapitalströmen.
       Wer aber dauerhaft mehr Waren ein- als ausführt, ertrinkt irgendwann im
       Schuldenmeer.
       
       In der Eurozone gibt es keine Institutionen und Instrumente, die dem
       Auseinanderlaufen von Löhnen, Preisen, Handels- und Leistungsbilanzsalden
       gezielt gegensteuern würden.
       
       Die Gewerkschaften könnten beim notwendigen Abbau der Ungleichgewichte eine
       wichtige Rolle spielen. Eine europäisch abgestimmte Lohnpolitik hätte die
       Entstehung arbeitskostenbedingter Wettbewerbsverzerrungen vermeiden können.
       Dafür hätten die nationalen Tarifpolitiken aber mindestens den
       verteilungsneutralen Spielraum (Inflation plus Produktivitätszuwachs)
       ausschöpfen müssen. Deutschland hat als größte Volkswirtschaft des
       Eurolandes diese Zielmarke fast immer verfehlt.
       
       ## Europäisch koordinierte Lohnpolitik
       
       Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) und die Europäischen
       Gewerkschaftsverbände schlugen Ende der 1990er Jahre vor,
       Koordinierungsregeln für die Lohnpolitik einzuführen. Da die
       EU-Arbeitgeberverbände dies bislang ablehnen, haben die Gewerkschaften
       versucht, die Koordinierungsregeln eigenständig umzusetzen. Doch es fehlt
       ihnen die Kraft.
       
       Eine europäisch koordinierte Lohnpolitik ist natürlich nicht
       voraussetzungslos. Die nationalen Gewerkschaften müssen die
       gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung ihres Landes auch wirklich steuern
       können. Hierzulande verhindert dies die Schieflage auf dem Arbeitsmarkt.
       Massenarbeitslosigkeit, Hartz IV, Befristungen, Leiharbeit und Minijobs
       schwächen die gewerkschaftliche Mobilisierungsfähigkeit. Gleichzeitig
       flüchten immer mehr Arbeitgeber aus den Tarifverträgen oder wenden
       Öffnungsklauseln an.
       
       Kurzum: Das, was Gewerkschaften heute noch aushandeln, kommt bei immer
       weniger Beschäftigten an. Weniger als drei von fünf Beschäftigten fallen
       unter einen Tarifvertrag. Die realen Tariflöhne sind in den letzten zehn
       Jahren zwar um rund 7 Prozent gestiegen, im gleichen Zeitraum sanken aber
       die Bruttolöhne um 4 Prozent. Ohne eine Austrocknung des Niedriglohnsektors
       und eine politische Stärkung des Tarifsystems kann dieser Negativtrend
       nicht gestoppt werden.
       
       In vielen unserer Nachbarstaaten waren die Gewerkschaften dank höherer
       Tarifbindung, Mindestlöhnen und geringerer Arbeitslosenquoten
       durchsetzungsstärker als hierzulande. Diese Zeiten sind vorbei: Und das
       nicht nur wegen der schlechteren Konjunkturlage. In den südeuropäischen
       Schuldnerländern verhängt die Troika ein Lohndiktat. Sie verlangt
       Lohnkürzungen im öffentlichen Sektor.
       
       Darüber hinaus werden die Arbeitsmärkte weiter dereguliert. Zudem haben
       Merkel und Sarkozy ihre neoliberalen Politikrezepte in einen Euro-Plus-Pakt
       geschrieben. Folgen die nationalen Regierungen diesen Empfehlungen, dann
       sind die Tarifautonomie und die lohnpolitische Gestaltungsfähigkeit der
       europäischen Gewerkschaften am Ende. So weit darf es nicht kommen.
       
       ## Gemeinsame Wirtschaftspolitik
       
       Eine koordinierte europäische Lohnpolitik allein reicht aber nicht aus, um
       die Konstruktionsfehler der Eurozone zu beheben. Mittelfristig führt kein
       Weg an einer Europäischen Wirtschaftsregierung vorbei. Eine Währungsunion
       funktioniert nur, wenn der einheitlichen Geldpolitik eine gemeinsame
       Finanz- und Wirtschaftspolitik an die Seite gestellt wird. Diese muss vom
       Europaparlament gewählt und kontrolliert werden.
       
       Darüber hinaus muss das System der Wettbewerbsstaaten überwunden werden.
       Dadurch wird nur das Lohn-, Sozial- und Steuerdumping in Europa verschärft.
       Und natürlich muss der Finanzsektor neuen Regeln unterworfen und müssen die
       Banken gesundgeschrumpft werden. Gefährliche Finanzprodukte sind zu
       verbieten. Eine Finanztransaktionssteuer muss eingeführt werden.
       
       Es braucht jetzt ein Aufbau- und Entwicklungsprogramm - einen Marshallplan
       - für Südeuropa. Zugleich kämpfen die Gewerkschaften europaweit gegen die
       ökonomisch und sozial schädliche Sparpolitik. Im Rahmen einer gemeinsamen
       Schuldenstrategie sollten sofort Eurobonds eingeführt werden. Der neue
       Rettungsfonds sollte durch die EZB finanziert werden und somit die
       Staatsfinanzen teilweise von den Kapitalmärkten entkoppeln.
       
       Je länger der politische Dilettantismus andauert, desto wahrscheinlicher
       wird es, dass die Eurozone auseinanderbricht. Bislang ist noch jede
       Währungsunion gescheitert, die nicht mit einer politischen Union verbunden
       war.
       
       KLAUS BUSCH ist europapolitischer Berater von Ver.di, DIERK HIRSCHEL ist
       Bereichsleiter Wirtschaftspolitik, Europa, Internationales bei Ver.di.
       
       10 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dierk Hirschel
 (DIR) Klaus Busch
       
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