# taz.de -- Biografie über Leonard Cohen: Als Autor schnell verloren
       
       > Anthony Reynolds handelt in "Leonard Cohen - ein außergewöhnliches Leben"
       > seinen Buchgegenstand chronologisch ab, ist dabei aber zu wenig intim.
       
 (IMG) Bild: Leonard Cohen: Fünf Jahre im Kloster und dann blank - alter man was nun? Er tut, was er kann - singt.
       
       Um seine Depressionen in den Griff zu bekommen, hatte er fünf Jahre als
       Mönch in einem Zen-Kloster in der Nähe von Los Angeles verbracht. Und dann,
       im Oktober 2005 der Schock am Geldautomaten: Als er Geld zum Kauf eines
       kleinen Häuschens in Ohio abheben wollte, erlebte er eine böse
       Überraschung. Er war blank.
       
       Seine langjährige Managerin Kelley Lynch hatte Cohens Altersvorsorge
       verjubelt. Von Cohen unbemerkt, weil er die Kontoauszüge seiner Bank
       ungeöffnet ließ. Der Schaden belief sich auf rund fünf Millionen US-Dollar.
       150.000 Dollar waren ihm noch geblieben, berichtet der walisische Autor
       Anthony Reynolds in seinem Buch "Leonard Cohen - ein außergewöhnliches
       Leben".
       
       Die 368 Seiten wirken wie viele Auftragsbiografien weltberühmter Popstars:
       Anhand der veröffentlichten Alben und Tourneen versucht sich Reynolds
       chronologisch durch Cohens Karriere zu hangeln, spricht mit Weggefährten,
       zitiert Interviews und addiert schöne Fotos. Sein Buch ist kenntnisreich.
       Was ihm jedoch fehlt, ist Intimität. Möglicherweise liegt das daran, dass
       der Autor seinen Helden nie persönlich getroffen hat.
       
       Zumindest war er einmal ganz in seiner Nähe. Im Eingangskapitel erzählt er,
       wie er 2009, vor einem Konzert in Valencia - mit Cohens Begleitmusikern
       plauderte. Das Konzert selbst war eine Katastrophe. Eine
       Lebensmittelvergiftung lässt Cohen auf der Bühne zusammenbrechen. Der Autor
       fährt zum Krankenhaus und ist fast erleichtert, dass er abgewiesen wird.
       Seine Freundin allerdings hat er an den Cohen-Tross verloren. Ein
       schlechter Start für einen Biografen. Anstatt sich nun mit den Liedern des
       Meisters über den Verlust seiner Liebe zu trösten, beißt er auf die Zähne
       und schreibt weiter. Entstanden ist eine Fleißarbeit, der die innere
       Notwendigkeit fehlt.
       
       Cohens eingangs erwähnte Pleite führt dazu, dass er drei Jahre später, nach
       einer Bühnenabsenz von rund 15 Jahren, die erfolgreichste Tournee seines
       Lebens absolvierte: 2008 spielte sie 36 Millionen US-Dollar ein, im Jahr
       darauf nochmals stolze 21 Millionen US-Dollar. Ich komme nur darauf, weil
       mich das Aneinandergereihe biografischer Details ermüdet. Genau wie die
       allzu konventionelle Auswahl der Cohen-Songs wie "Suzannne" und
       "Hallelujah", die Reynolds in allen Einzelheiten bespricht. Wenigstens
       schreibt er ausführlich über Cohens fünftes und am meisten unterschätztes
       Album "Death of a Ladies Man" (1977). Entstanden zusammen mit dem
       genialischen Phil Spector, der die Songs komponierte und für die Produktion
       zuständig war.
       
       Erwähnenswert für Reynolds sind vor allem die Legenden, die sich um diese
       Produktion ranken: Waffen, Alkohol und Drogen hatten bei der Aufnahme eine
       Rolle gespielt. Die Atmosphäre sei stressig und disharmonisch gewesen.
       Cohen hatte sich überrumpelt gefühlt und darüber geärgert, dass ihm die
       Kontrolle über das Endprodukt entglitten war.
       
       "Death of a Ladies Man" spiegelt die Dissonanz jener chaotischen Zeit des
       Musikgeschäfts in seltsamer Schönheit wider und stellt sie auch dar. Über
       mein Lieblingsstück aus dem Album, "Memories", dass auch in Leonard Cohens
       Film "I am a Hotel" so schön mit dem Eiskunstläufer Toller Cranston
       inszeniert wird, könnte man glatt einen Roman schreiben. Was der Autor
       Anthony Reynolds aber leider unterlässt.
       
       Stattdessen zählt er, popkulturell beflissen, das Leben seines
       Buchgegenstands auf. Sicher, man erfährt viele Dinge, die man vorher noch
       nicht wusste. Aber Leonard-Cohen-Fans fahren mit dem Internet auch gut: ob
       das Dichterporträt von 1965 auf YouTube oder der erste Fernsehauftritt in
       England 1967, als er "Stranger Song" mit Träne im Knopfloch singt.
       
       Die Lebensgeschichte Cohens ist ein Problem; wenn man sich zu sehr auf sie
       einlässt, ist man als Autor verloren. In Cohen-Interviews kommt viel mehr
       rüber als in den Hunderten Seiten dieser Biografie. Die große Gabe Cohens
       besteht darin, durch intersubjektive Räume Nähe zu schaffen. Das gelingt
       ihm selbst an dafür so ungeeigneten Orten wie den O2-Arenen dieser Welt.
       
       Eine gute Biografie sollte eher Literatur sein denn Sachbuch.
       
       13 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Detlef Kuhlbrodt
       
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