# taz.de -- Friedensnobelpreisträgerin im Interview: "Es ist ihr Preis"
       
       > Nobelpreisträgerin Leymah Gbowee über die Situation der Frauen in
       > Liberia, die Narben des Bürgerkrieges, die Präsidentschaftswahlen und die
       > Zukunft ihres Landes.
       
 (IMG) Bild: Leymah Gbowee (l) am Sonntag in Monrovia mit den "weißen Ladys" vom Peacebuilding Network.
       
       taz: Frau Gbowee, schließen Sie bitte für einen Moment die Augen und
       erinnern Sie sich an das Liberia Ihrer Kindheit. 
       
       Leymah Gbowee: Wenn ich meine Augen schließe, dann denke ich an den
       Stadtteil von Monrovia, in dem ich aufgewachsen bin. Es war eine
       ordentliche, aber auch bescheidene Nachbarschaft. Sie liegt gleich hinter
       diesem Feld, dem sogenannten Airfield, auf dem wir gerade stehen.
       
       Ausgerechnet hier finden heute unsere Proteste statt. Als Kinder haben wir
       uns auf diesem Platz immer getroffen und zusammen Kickball gespielt. Es war
       eine sehr schöne Zeit. Damals war die Gegend noch sehr grün. Außerdem haben
       hier ganz viele Kinder gespielt. Die Straßen ringsherum waren noch nicht so
       verstopft, wie sie es heute sind. Es war ein ruhiger, ein guter Platz.
       
       Dennoch sind Sie vor ein paar Jahren nach Ghana gezogen, und das obwohl der
       Bürgerkrieg zu diesem Zeitpunkt schon vorbei war. Warum? 
       
       Ja, meine offizielle Adresse ist im Moment in Ghana. Aber ich verbringe
       mehr Zeit hier in Liberia und in anderen Teilen auf der Welt als
       tatsächlich in Ghana. Meine Kinder gehen dort zur Schule. Trotzdem
       überlegen wir, unsere Taschen zu packen. Wieder nach Hause zu gehen, das
       wird der nächste Schritt für uns sein.
       
       Nachdem Ihnen am vergangenen Freitag als eine von drei Preisträgerinnen der
       diesjährige Friedensnobelpreis zuerkannt wurde, sind Sie am Sonntag für
       einen Besuch zurück nach Monrovia gekommen. Wie war die Ankunft? 
       
       Es war ein großartiges Gefühl. Jetzt fühlt es sich aber noch viel besser
       an. Ich bin jetzt zurück. Ich bin zu Hause. Außerdem bin ich nun bei den
       übrigen Frauen vom Peacebuilding Network. Hier sind alle Frauen so richtig
       aufgeregt. Es ist doch ihr Preis. Für mich gibt es also keinen besseren
       Platz, als bei meinen Frauen zu sein.
       
       Ihre Frauen erregen in Monrovia seit zehn Tagen Aufsehen. Wie damals
       während des Bürgerkriegs haben sich alle wieder weiß gekleidet und haben
       auf diesem Platz für friedliche Wahlen gebetet. Was erwarten Sie von der
       Präsidentschaftswahl? 
       
       In unseren Herzen haben wir natürlich Hoffnungen und Wünsche. Doch das
       Ergebnis können wir auch nicht beeinflussen. Ganz egal also, wie die Wahlen
       ausgehen werden, wünschen wir uns, dass der Frieden erhalten bleibt.
       
       Wünschen Sie sich, dass Amtsinhaberin Ellen Johnson-Sirleaf, die ebenfalls
       den Friedensnobelpreis erhalten hat, wiedergewählt wird? 
       
       Frauen, die politische Ämter anstreben, sollen erfolgreich sein, und ich
       hoffe, dass das künftige Staatsoberhaupt eine Präsidentin ist.
       
       Was muss das künftige Staatsoberhaupt denn für die liberianische Frauen
       tun? 
       
       Besonders wichtig ist es, die Frauen aus der Armut herauszuführen. Sie
       müssen wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen.
       
       Sie und Ihre Mitstreiterinnen fordern auch dazu auf, Frauen in ihren
       Rechten zu stärken. Während des Bürgerkriegs ist es zu sehr vielen
       Vergewaltigungen gekommen. Gibt es Versuche, Vergewaltigungen und sexuellen
       Missbrauch schärfer zu ahnden? 
       
       Wir sind auf einem guten Weg dorthin. Die Situation von Frauen wird sich
       verbessern. Liberia hat beispielsweise ein Gesetz, welches Vergewaltigungen
       bestraft. Außerdem haben wir ein Gericht, das sich ausschließlich mit der
       Gewalt gegen Frauen beschäftigt. Diese Einrichtung macht in den jeweiligen
       Gemeinden deutlich: Vergewaltigung ist nicht etwas, über das sich irgendwie
       verhandeln lassen würde. Das hat übrigens dazu geführt, dass es auf den
       ersten Blick statistisch nun viel mehr Fälle zu geben scheint als früher.
       Aber meines Erachtens hat es damit zu tun, dass Vergewaltigungen heute viel
       häufiger angezeigt werden.
       
       Hat das Auswirkungen auf das Verhältnis zu Männern? 
       
       Als Gruppe haben wir natürlich viele Kontakte zu Männern. Besonders bei
       jüngeren Männern haben wir das Gefühl, dass viele Frauen nicht mehr als
       bloßes Anhängsel ansehen. Für sie sind sie mehr als nur das. Sie sind
       gleichberechtigt und tragen ebenso zur Entwicklung der Gesellschaft bei. Es
       wäre schön, wenn diese Nachricht bei vielen Männern ankommt.
       
       Wo sehen Sie Liberia in Zukunft? 
       
       Liberia wird ein Land sein, das in Afrika seinesgleichen sucht. Es wird mit
       keinem anderen Land auf dem Kontinent vergleichbar sein. Ich spreche nicht
       nur über die ökonomische Entwicklung. Nein, ich meine auch das politische
       Bewusstsein der Menschen und die Beteiligung von Frauen, sei es auf
       politischer oder auf wirtschaftlicher Ebene. Ich bin sehr optimistisch.
       Liberia ist auf dem richtigen Weg, und diese Entwicklung lässt sich gar
       nicht mehr so leicht stoppen.
       
       Liberia wird immer noch mit dem Bürgerkrieg in Verbindung gebracht. Haben
       Ihre Kinder mit Ihnen schon einmal darüber sprechen wollen? 
       
       Insgesamt habe ich sechs Kinder. Mein ältester Sohn ist 18 Jahre alt. Meine
       große Tochter ist 17. Sie sind während des Kriegs auf die Welt gekommen.
       Trotzdem haben sie keine Erinnerungen daran. Und das ist gut so.
       
       Während des Kriegs haben Sie eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin und zur
       Traumatherapeutin gemacht. Wie wichtig ist Aufarbeitung noch acht Jahre
       nach dem Friedensabkommen, das in Accra, der Hauptstadt Ghanas,
       unterzeichnet wurde? 
       
       Sie ist nach wie vor unbedingt notwendig. Es ist so wie mit einer offenen
       Wunde. Man will sie immer wieder und wieder verdecken. Dabei wird der
       Verband jedes Mal strammer gezogen. Kriegsverletzungen – auch seelische –
       verhalten sich genauso. Sie müssen gesäubert und gereinigt werden. Wenn man
       das wörtlich nimmt, muss man einfach über die Erlebnisse aus dem Krieg
       sprechen. Man muss all das herauslassen, durch das sich die Wunde immer
       wieder entzündet. Erst wenn die Wunde wirklich gesäubert ist, kann der
       Heilungsprozess starten.
       
       Welcher Weg dafür ist der beste? 
       
       Wir dürfen unseren Kindern gegenüber den Krieg nicht unter den Teppich
       kehren. Stattdessen müssen wir uns mit ihnen zusammensetzen und ihnen
       erklären, was die tatsächlichen Ursachen für den Krieg gewesen sind. Dazu
       gehört die ungerechte Verteilung des Reichtums, die Armut und die
       Marginalisierung verschiedener Gruppen im Land. Nur wenn wir diese Dinge in
       der Zukunft abstellen, kann der Heilungsprozess wirklich beginnen. Das
       bedeutet auch: Dann sind Vergebung und Gerechtigkeit möglich.
       
       13 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Gänsler
       
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