# taz.de -- Vietnam will mehr Luxus-Touristen: Himmel und Hölle
       
       > Die Regierung setzt auf mehr Luxustourismus – auch zum Schutz der Natur.
       > Die einstigen Gefängnisinseln Phu Quoc und Con Son bieten gute
       > Voraussetzungen dafür.
       
 (IMG) Bild: Die tropischen Inseln Vietnams sollen exklusiv erschlossen werden.
       
       Im Six Senses auf der vietnamesischen Insel Con Son können Sie das Paradies
       kaufen. Köstliche Speisen, süße Früchte, trockene Weine, tropische
       Schönheit - bequem, perfekt, lässig. Genussfähig müssen Sie allerdings
       selbst sein. Manchmal klappt das auch hier nicht.
       
       Wie bei dem jungen australischen Paar, das, tief gebettet in weiche Kissen
       auf den ausladenden Liegen der Veranda an der Bar, streitet. In den
       angespannten Gesprächspausen schlürfen sie die scharfe vietnamesische
       Suppe, Pho Bo, zu französischem Champagner. Ab und zu schweift ihr Blick
       verlegen auf das südchinesische Meer.
       
       Der zwei Kilometer lange Sandstrand wird geschützt von der Steilküste, die
       auf einer Seite wie die Silhouette eines riesigen schlafenden Elefanten
       verläuft. Jeden Morgen harkt eine Frauengruppe mit den typischen Spitzhüten
       die kleinsten Unebenheiten des Sandes mit dem Rechen, so als wären die
       Frauen vom Reisfeld kollektiv in die touristische Infrastruktur versetzt
       worden.
       
       Elektroautos kutschieren die Gäste über das weitläufig in die lokale
       Umgebung eingefügte Urlaubsdorf zwischen Wellnessbereich, Restaurant und
       Appartement hin und her. Wer selber aktiv werden will, schnappt sich das
       Fahrrad vor der Tür. Der persönliche Butler ist ohnehin jederzeit
       erreichbar.
       
       Das 150 Quadratmeter große Appartement mit eigenem Pool, riesigem
       Himmelbett, Flachbildschirm, großem Badesalon, den französischen Betten und
       der italienischen Kaffeemaschine ist aus feinsten einheimischen Hölzern
       gebaut. Die Lektüre auf dem Schreibtisch führt ein in die Welt der
       Meditation, des Buddhismus, sie erhellt mit den prophetischen Weisheiten
       des Khalil Gibran oder dem "Buch der Hoffnung", einer Kurzbeschreibung von
       nachhaltigen Initiativen und NGOs weltweit.
       
       Öko-Luxus ist das Konzept der Gründer der Six-Senses-Guppe, des ehemaligen
       schwedischen Topmodels Eva Malmström Shivdasani und ihres Ehemanns Sanu,
       Chairman von Six Senses. "Jedes Jahr errechnen wir den Kohlendioxidausstoß
       unserer Hotels und addieren das CO2, das durch die Hin- und Rückflüge
       unserer Gäste freigesetzt wird. Diese Emissionen neutralisieren wir, indem
       wir in Südindien ein Programm mitfinanzieren, das Kohle- durch
       Windkraftwerke ersetzt", sagt Sanu Shivdasani im Interview. Und: "Der
       einzige Kunststoff, den wir akzeptieren, sind die Kreditkarten unserer
       Gäste."
       
       Süße Regression auf höchstem Niveau, auch preislich: 800 Euro kostet die
       Übernachtung plus Frühstück. Damit erfüllt das Six Senses auf der Insel Con
       Son bestens die Ziele des touristischen Zehnjahresplans der vietnamesischen
       Regierung. Denn diese will vor allem wohlhabende Urlauber aus Europa,
       Nordamerika, Australien, Russland an die weißen Strände locken. Auch für
       die sogenannten Viet-Kieu (Boatpeople) aus dem Ausland könnten diese Arten
       von qualitativen Reisen, so das Kalkül, von Interesse sein.
       
       ## Das Luxus-Resort veredelt den Standort
       
       70 Prozent der Sehenswürdigkeiten des Landes liegen entlang der Küste, und
       rund 70 Prozent der Vietnam-Urlauber bevorzugen Rundreisen mit
       abschließendem Badeaufenthalt, weiß das Tourismusministerium. Vietnam
       verfügt über 3.200 Kilometer Küstenlinie. In einem Interview sagte der
       stellvertretende Generaldirektor der Tourismusbehörde Vietnams (VNAT),
       Nguyen Manh Cuong: "10 Luxusurlauber, die bereit sind zu zahlen, bringen
       Vietnam mehr als 100 Reisende, die nur Standard-Rundreisen in Anspruch
       nehmen."
       
       Massentouren würden dem Land wirtschaftlich auf Dauer wenig bringen, weil
       dies die natürlichen Ressourcen zu sehr verbrauche. Elitärer, exklusiver
       Tourismus bringt höhere Rendite und eine qualitativ bessere touristische
       Infrastruktur. Das Luxus-Resort veredelt den Standort. Alle Länder träumen
       davon, verschandelte Küsten wie in Spanien oder der Türkei warnend vor
       Augen.
       
       "Unsere Gäste kommen aus Saigon und Hanoi, aus Singapur, Hongkong,
       Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Spanien, und wir sind in der
       Hochsaison ausgebucht", sagt die Marketingchefin des Six Senses, Demeiter
       Vaubell. Neben diesen Wohlhabenden aus den globalen Zentren der Welt
       besuchen überwiegend einheimische Touristen das Con-Dao-Archipel mit seinen
       16 Inseln. Denn die Hauptinsel Con Son ist Pilgerort für Vietnamesen. Die
       kommunistische Einheitspartei Vietnams - unbestrittene Herrscherin über das
       Land - fördert die Insel als Ort der Erinnerung.
       
       Eine gut ausgebaute Straße führt in die Hauptstadt der 15.000 Einwohner
       zählenden Insel Con Son. Die Uferpromenade, die Hotels und die französische
       Kolonialarchitektur erinnern an die Cote dAzur der fünfziger Jahre. Im
       heruntergekommenen ehemaligen Palast des französischen Gouverneurs wird die
       brutale Geschichte der Insel mit Fotos und Texten dokumentiert.
       
       Sie war unter den südvietnamesischen Diktatoren, wie schon unter den
       Franzosen, als Sträflingskolonie für politische Gefangene berüchtigt. Nach
       1940 saß hier die gesamte Führung des antikolonialen Widerstands:
       Kaisertreue, Kommunisten, Trotzkisten, Bürgerliche, missliebige Buddhisten,
       Studenten, Journalisten und Gewerkschaftsführer.
       
       Die Insel steht für die brutale Unterdrückung der Vietnamesen in 117 Jahren
       Fremdherrschaft. Sie war die sogenannte Teufelsinsel von 1862 bis 1975.
       Heute laufen von der Anlegestelle Pier 914 in Con Son neben den Fischern
       die Boote mit Tauch- und Schnorcheltouristen zu den vorgelagerten
       Korallenriffen aus. Die Anlegestelle hat ihren Namen von den 914
       Häftlingen, die beim Bau des Piers ums Leben kamen.
       
       Die Überreste der Gefängnisse stehen verlassen um den Ort Con Son. Sie
       können ausschließlich im Rahmen von Führungen besucht werden. Hinter
       verwitterten und geschwärzten Mauern sitzen oder liegen angekettete
       mannshohe Gipspuppen, die das Elend der Gefangenen schmerzhaft
       verdeutlichen. Viele der Insassen wurden Opfer der unmenschlichen
       Bedingungen, mehr als 20.000 sollen hier begraben sein.
       
       Zur Zeit ihrer Kolonialherrschaft errichteten die Franzosen Gefängnisse,
       die den Charakter von Vernichtungslagern hatten und deren berüchtigte
       blutige Tradition von Amerikanern und Südvietnamesen bruchlos fortgeführt
       und ausgefeilt wurde. Die Amerikaner brutalisierten die Gefangennahme in
       den sogenannten Tigerkäfigen. Zellen, durch deren eiserne Gitterstäbe die
       Gefangenen von oben mit heißem Muschelkalk verbrüht oder von den oben
       patrouillierenden Wärtern rundum bewacht und mit langen, spitzen Stangen
       gequält wurden.
       
       ## Pilgerstätte für Nordvietnamesen
       
       Im Alter von 18 Jahren wurde hier auf Con Son die gefangene
       Widerstandskämpferin Thi Sau als erste Frau hingerichtet. Sie ist heute die
       Schutzheilige der hiesigen Fischer. Ihr Grab liegt auf dem Friedhof Hang
       Duong. Er ist mit dem Denkmal für die verstorbenen Gefangenen der
       berühmteste Friedhof Vietnams. Das Grab von Thi Sau wird um Mitternacht zur
       Pilgerstätte. "Vor allem Nordvietnamesen kommen hierher", sagt Pham Van Du,
       der in Leipzig studierte und heute eine eigene Reiseagentur in Saigon
       betreibt. Neben vielen weißen Lotusblüten werden der Volksheldin
       Plastikkämme und bunte Spiegel gebracht. "Man bringt, wovon man glaubt,
       dass ein 18-jähriges Mädchen es sich wünscht", erklärt Pham Van Du.
       
       Von der tropischen Hölle zum luxuriösen Schnorchelparadies - der
       vietnamesische Entwicklungsplan geht pragmatisch und völlig unideologisch
       mit Geschichte und Kapital um. "Wir sind zufrieden, solange es vorwärts
       geht. Da schlucken wir auch Korruption und Ausverkauf", sagt Pham Van Du.
       "Die vietnamesische Tourismusindustrie will zum Jahresende 5,3 Millionen
       ausländische und 30 Millionen inländische Urlauber erreichen." Der
       Tourismussektor soll zu einem wichtigen Wirtschaftszweig ausgebaut werden.
       
       ## Dienstbare Geister für höchsten Standard
       
       Teil dieses Entwicklungsplanes ist die im Süden Vietnams gelegene Insel Phu
       Quoc, die größte Insel Vietnams. Auch auf Phu Quoc hatten schon die
       Franzosen ein berüchtigtes Gefangenenlager. Die Häftlinge mussten unter
       anderem Pfefferplantagen in den unwegsamen Urwald schlagen. Zur Zeit des
       Vietnamkrieges saßen bis zu 40.000 Gefangene hier ein. Wegen der
       gewalttätigen Übergriffe der Khmer Rouge zwischen 1975-1978, die die
       nahegelegene Insel als kambodschanisches Gebiet reklamierten, ist die Armee
       noch heute hier stark präsent.
       
       Phu Quoc ist wild und unerschlossen. Weite Teile der grünen Insel,
       insbesondere der waldige und gebirgige Nordosten, wurden 2001 zum
       Nationalpark erklärt. Einsame Buchten, kilometerlange Strände, üppiger
       Regenwald, der Duft, die Hitze - die Insel bietet alles für tropischen
       Luxustourismus, den sich die Regierung wünscht.
       
       Doch es scheint nur schleppend voranzugehen. Auf dem Weg zur Perlenfarm, wo
       die eigens angelegten Zuchtperlen verarbeitet werden, ist die Straße
       streckenweise betoniert, um plötzlich wieder in schlaglochreiche Piste
       überzugehen. Der Bau des internationale Flughafen, der die globalen
       Traveller umstandslos hierher bringen soll, stockt. Um die Hütten am
       Straßenrand häuft sich der Müll.
       
       Das Chen Sea Hotel an der Westküste ist ein touristisches Vorzeigeprojekt
       der Insel. Das Vier-Sterne-Designer-Resort wurde von einer italienischen
       Fabrikantenfamilie gebaut. Eine avantgardistische, geschmackvolle
       Freizeitoase. "In Phu Quoc geht die Entwicklung weitaus langsamer voran,
       als sich die staatlichen Stellen dies erhofft haben", sagt der
       Hoteldirektor Joan Casadevall aus Barcelona. "Es sind viele Grundstücke an
       internationale Hotelgesellschaften vergeben worden, allerdings sitzen die
       Erwerber bisher nur auf dem Land und entwickeln es nicht."
       
       Entscheidend für die Entwicklung sei der internationale Flughafen. Die
       Regierung treibe den Bau nun aber sehr stark voran. Gleichzeitig habe man
       den Hotelgesellschaften ein Ultimatum gesetzt: Wenn mit der Planung und dem
       Bau der Hotelanlagen nicht begonnen wird, soll das Pachtverhältnis
       aberkannt werden. In der Regel laufen die Pachtverträge bis zu 40 Jahre und
       können dann um bis zu 25 Jahre verlängert werden. Land kaufen kann kein
       Investor.
       
       Casadevall verrät auch, was Vietnam neben seiner tropischen Schönheit und
       seinen Stränden für Luxustourismus prädestiniert: "Die Anzahl der
       Mitarbeiter in den vietnamesischen Hotels ist sehr hoch, da das Personal
       sehr günstig ist. Im Chen Sea mit seinen 36 Zimmern arbeiten in der
       Hochsaison bis zu 150 Leute. 100 bis 150 Euro verdient ein Angestellter im
       Monat."
       
       Schönste Landschaften und dienstbare Geister für höchsten Standard sind in
       Vietnam reichlich vorhanden. Und da die Reichen weltweit immer reicher
       werden und die Armen immer ärmer, ist Luxustourismus möglicherweise eine
       zukunftsfähige Strategie ökonomischer Entwicklung: Er profitiert von der
       Armut und dem niedrigen Lebensstandard einer Region. Doch weil mit dem
       Tourismus in strukturschwache Postkartenidyllen weltweit eine Ahnung von
       gutem Leben einzieht, scheint für die Armen eine bessere Zukunft greifbar,
       auch wenn häufig nur Krümel abfallen.
       
       Das Personal im Chen Sea wird vom Hotel selbst ausgebildet. Und die Arbeit
       im Tourismus ist trotz schlechter Bezahlung beliebt. "Besser als zu Hause
       in meinem Dorf direkt an der kambodschanischen Grenze. Dort gibt es gar
       nichts", sagt die Kellnerin im Chen Sea. "Und Englisch habe ich hier auch
       gelernt."
       
       15 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Edith Kresta
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Reiseland Vietnam
       
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