# taz.de -- Aus Liebe zur Kreisliga: Chronist der Leidenschaft
       
       > Björn Meyer ist an den Rollstuhl gebunden. Doch logistischen Problemen
       > und Rumpelfußball zum Trotz ist er Dauergast auf Hamburgs Fußballplätzen.
       
 (IMG) Bild: Auf dem Platz kennen Björn Meyer alle: die Spieler, die wenigen Fans und die alten, fachsimpelnden Männer.
       
       HAMBURG taz | Eisiger Wind fegt über die Sportanlage an der
       Max-Brauer-Allee in Hamburg-Altona. Das Kreisliga-Spiel zwischen Inter
       Hamburg und Hansa 11 ist genauso trist wie das Wetter. Die wenigen
       ZuschauerInnen verbergen die kalten Hände in den Hosen- und Jackentaschen.
       Nur Björn Meyer nicht. Mit einer Hand hält er den Block auf seinen Beinen,
       mit der anderen den Kugelschreiber, der über das Papier rast.
       
       Der 18-Jährige verbringt all seine Wochenenden auf den rumpeligen Äckern
       der Stadt, um für das Internet-Portal [1][fussballhamburg.de] unentgeltlich
       über Kreisliga-Fußball zu berichten. Dabei kam Björn selber nie in den
       Genuss, Fußball zu spielen. Seit seiner Geburt leidet er am kaudalen
       Regressionsyndrom und sitzt im Rollstuhl.
       
       Dieses Wochenende hat er sechs Partien auf seinem Plan. Am Sonntagmorgen
       fährt er von seinem Elternhaus in Lokstedt mit öffentlichen Verkehrsmitteln
       zu einem Spiel in die Hamburger Sternschanze. Das Spiel plätschert vor sich
       hin, Björn ist trotzdem gut gelaunt und macht sich jede Menge Notizen.
       
       Unmittelbar nach Abpfiff sind Block und Stift dann aber bereits in der
       Tasche verstaut: Er muss zum Bus, um den Spielbeginn an der
       Max-Brauer-Allee nicht zu verpassen. "Logistisch ist das nicht immer ganz
       einfach. Damit ich alle meine Ziele schaffe, brauche ich gute Planung und
       immer mal wieder auch hilfsbereite Passanten, denn leider warten doch
       häufiger auch Treppen auf mich", sagt er.
       
       Mit schwierigen Situationen wird Björn alltäglich konfrontiert, doch er
       wehrt sich vehement gegen mögliche Bevorteilungen. Als er sechs Jahre alt
       war, schickte man ihn auf eine Körperbehindertenschule. Dort verbrachte er
       unglückliche Jahre. "Die haben mich behandelt, als ob ich geistig
       unterentwickelt wäre", sagt er. Daraufhin wechselte er auf eine
       Regel-Grundschule und besucht mittlerweile seit sieben Jahren die
       Ida-Ehre-Gesamtschule in Eimsbüttel. Hier will er im übernächsten Jahr
       Abitur machen. "Die Umstellung war schon heftig. Plötzlich wurde mir nicht
       mehr alles hinterhergetragen, aber nach einiger Zeit des Einlebens bin ich
       mittlerweile sehr zufrieden", sagt er.
       
       Björn weiß, dass die schwankenden Schulnoten wohl auch dem intensiven
       Fußball-Engagement geschuldet sind - ein dauerhafter Streitpunkt daheim.
       "Kurz vorm Abitur werde ich wohl kürzer treten müssen, aber momentan ist
       der Kreisliga-Fußball einfach meine größte Leidenschaft", sagt er.
       Verwunderte Nachfragen nach dem Warum beantwortet er immer gleich: "Aus
       Liebe zum Spiel."
       
       Am Platz in Altona angekommen, sucht sich Björn erstmal seine
       Lieblingsposition direkt am Mittelkreis des Spielfeldes. Hier kann er alles
       überblicken. Jeder Spieler und auch alle anderen Anwesenden scheinen Björn
       zu kennen. Es ist kaum möglich mehr als eine Minute am Stück mit ihm zu
       reden, ohne dass Menschen zu ihm kommen, ihm die Hand schütteln oder auf
       die Schulter klopfen. "Du bist wirklich ein Phänomen", sagt ein Spieler und
       grinst Björn an.
       
       Das Spiel ist kein Leckerbissen, die Möglichkeiten der Spieler sind
       begrenzt. Es lebt von seiner Leidenschaftlichkeit: Die Spieler rennen über
       das Feld, als ginge es hier um alles. Es wird gegrätscht, gebrüllt und als
       das Auswärts-Team vom SC Hansa 11 kurz vor Spielende den 2:2-Ausgleich
       erzielt, kennt der Jubel bei der Mannschaft und den wenigen Anhängern keine
       Grenzen. Björn lächelt: "Kreisliga-Fußball ist emotional und authentisch.
       Hier wird gehackt, gehämmert, alles gegeben. Außerdem habe ich mittlerweile
       eine Menge neuer Freunde gefunden."
       
       Als der Schlusspfiff ertönt, muss Björn sich beeilen, um einige ausgewählte
       Spieler noch vor dem Gang in die Kabine abzufangen und zu interviewen. Vor
       dem Kabinen-Häuschen wartet eine große Schwelle, doch bevor er irgendetwas
       sagt, kommen schon ein Betreuer und ein Spieler angelaufen und tragen ihn
       samt Rollstuhl darüber.
       
       Liest man Björns Artikel, wird klar, dass hier ein Fußballliebhaber am Werk
       ist. Nach diesem Wochenende wird er Sätze tippen wie: "Doch mitten in
       dieser ruhigen Spielphase setzten die Gäste einen gehörigen Nadelstich, der
       keineswegs eine freundliche Akupunktur war, sondern das 0:1."
       
       Egal, ob es kalt ist oder in Strömen regnet, auch am nächsten Wochenende
       wird Björn wieder die Asche-Plätze Hamburgs besuchen, mit alten Herren
       fachsimpeln und sich mit den Spielern über die Schiedsrichter-Leistung
       echauffieren. Es gibt nur einen Grund für ihn, eine solche Partie ausfallen
       zu lassen: ein Heimspiel des FC St. Pauli, denn am Millerntor hat er
       bereits seit acht Jahren eine Dauerkarte.
       
       24 Oct 2011
       
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