# taz.de -- Urteil des Bundesgerichtshofs: Verlage dürfen willkürlich kündigen
       
       > Der BGH gibt Bauer recht, der Verlag hatte einem Grossisten grundlos
       > gekündigt. Mit dem Urteil wird ein deutsches Modell gefährdet, das für
       > Vielfalt am Kiosk sorgen soll.
       
 (IMG) Bild: Ist in Zukunft die Vielfalt am Zeitschriftenkiosk gefährdet?
       
       Neulich, auf den Münchner Medientagen, gab sich der SPD-Politiker Marc Jan
       Eumann tatkräftig. Bei einer Diskussion über das hiesige
       Pressevertriebssystems sagte er, "notfalls" stehe der Gesetzgeber bereit,
       dieses "System auch gesetzlich zu schützen". Auf den "Notfall" können sich
       Eumann und andere mit dem Thema befasste Politiker nun schon mal
       einstellen, denn am Dienstag hat die Bauer Media Group vor dem
       Bundesgerichtshof (BGH) einen Sieg errungen, der das weltweit als
       vorbildlich geltende, aber von einigen Großverlagen bereits ins Wanken
       gebrachte System (siehe taz vom 15. 10.) maßgeblich gefährdet.
       
       In dem Verfahren ging es darum, ob Bauer (Bravo, TV Movie, TV 14) Anfang
       2009 dem Elmshorner Pressegrossisten Hans-Ulrich Grade ohne Angaben von
       Gründen kündigen und durch die konzerneigene Firma PVN ersetzen durfte.
       Dass der BGH dies für rechtmäßig erklärt hat, habe zur Folge, dass über den
       bundesweit rund 70 tätigen Zwischenhändlern nun "das Damoklesschwert der
       willkürlichen Kündigung schwebt" sagt Frank Nolte, der Vorsitzende des
       Bundesverbandes Presse-Grosso. Die neutrale Ausübung seines
       "Versorgungsauftrags" sei damit gefährdet, "insbesondere Großverlage"
       könnten "erheblichen Druck ausüben". Klaus Tolksdorf, der Vorsitzende
       Richter, hatte vorab betont, sein Senat habe eine "Einzelfallentscheidung"
       getroffen -es sei nicht die Aufgabe gewesen, über die Unverzichtbarkeit des
       Grosso-Systems zu entscheiden. Mit dem Urteil werde nicht dessen Ende
       eingeleitet.
       
       Dass es für den Pressevertrieb hierzulande keine gesetzlich fixierten
       Regeln gibt, hat historische Gründe. In Frankreich und in Italien habe man
       nach dem Ende der Besatzungszeit beziehungsweise dem Niedergang des
       Faschismus die Neuordnung des Pressevertriebs auf gesetzgeberischem Weg
       festgeschrieben, sagt Michael Haller, emeritierter Professor für
       Journalistik an der Uni Leipzig. Er hat in einem Buch die
       Pressevertriebssysteme verschiedener EU-Staaten verglichen. In Deutschland
       hätten sich nach 1945 Verlage und Grossisten untereinander verständigt, so
       dass ein Eingriff der Politik nicht notwendig gewesen sei.
       
       Einer der zentralen Sätze in der vorläufigen Urteilsbegründung des BGH
       lautet: "Jedem Unternehmen steht es grundsätzlich frei, den bisher
       unabhängigen Händlern übertragenen Vertrieb seiner Produkte selbst zu
       übernehmen." Damit tut der BGH so, als seien Presseerzeugnisse Produkte wie
       alle anderen. Mit seiner Entscheidung beschädigt er - "Einzelfall" hin oder
       her - de facto ein Netzwerk, das "vergleichbar ist mit dem Telefonnetz oder
       dem Schienensystem", so Haller. "Heute ist im Zusammenhang mit dem Internet
       viel von Netzneutralität die Rede. Das ist ein nachvollziehender Begriff
       für etwas, was wir mit dem Grosso sei Jahrzehnten haben."
       
       Was die juristischen Auseinandersetzungen um das Grosso angeht, gilt nun:
       Nach der Schlacht ist vor der Schlacht. Derzeit ist am Landgericht Köln
       eine Klage Bauers gegen den Bundesverband Presse-Grosso anhängig. Es geht
       darum, ob es zulässig ist, dass dieser im Namen aller Grossisten über
       Handelsspannen verhandelt. Michael Haller hält dieses Verfahren für "viel
       wichtiger" als das in Karlsruhe. Sollte Bauer in Köln siegen, hätte der
       Großkonzern die Möglichkeit, bei jedem Zwischenhändler die besten
       Konditionen herauszuholen. "Dann haben wir englische Verhältnisse", sagt
       Haller. In Großbritannien, wo Bauer das führende Zeitschriftenhaus ist,
       mussten in den letzten Jahren viele kleine Grossisten aufgeben, weil sie
       die Forderungen der großen Verlage nicht erfüllen konnten. Das Urteil in
       Köln fällt frühestens Ende dieses Jahres.
       
       25 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) René Martens
       
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