# taz.de -- Privatbahner im Streik: 100 Tage nicht im Führerhaus
       
       > Seit über drei Monaten streiken die Lokführer der Nord-Ostsee-Bahn. Doch
       > sie werden weniger, auf dem Husumer Bahnsteig. Ein morgendlicher Besuch
       > im Streiklokal.
       
 (IMG) Bild: Ein paar Eiserne halten immer noch aus: Streikende NOB-Lokführer.
       
       Sie stehen auf Gleis 1 des Husumer Bahnhofs, eine Gruppe Männer in weißen
       Plastikwesten, die meisten tragen Jeans und warme Jacken. Einige halten
       Pappbecher mit ihrem Morgenkaffee, Zigaretten werden gedreht und geraucht.
       An einer der Säulen, die das offene Dach tragen, hängt eine schlappe Fahne
       mit dem grünen Schriftzug GDL, das steht für "Gewerkschaft der
       Lokomotivführer". Die Männer streiken. Seit 100 Tagen.
       
       "Alle, die hier stehen, sind vom ersten Tag an dabei", sagt Michael
       Hoffmann. Der 43-Jährige ist, wie alle seine Kollegen hier, Lokführer bei
       der Nord-Ostsee-Bahn (NOB), die einen Großteil der Routen in
       Schleswig-Holstein bedient. Die NOB gehört zur Veolia Verkehr GmbH, dem
       nach eigener Auskunft größten Nahverkehrsanbieter in Deutschland. Die
       Privatbahn ist die letzte in Deutschland, die zurzeit noch bestreikt wird -
       und beide Beteiligte, Gewerkschaft wie Unternehmen, sehen die Schuld daran
       auf der jeweils anderen Seite. Seit Monaten fallen Züge aus oder verspäten
       sich, Fahrgäste müssen mit Wartezeiten rechnen.
       
       "Es geht nur teilweise ums Geld, viel wichtiger ist uns die Sicherung der
       Arbeitsplätze", sagt Hoffmann. Denn welches Unternehmen eine Bahnstrecke
       betreibt, wird regelmäßig neu ausgeschrieben und vergeben, und "das heißt,
       dass wir alle zehn Jahre planmäßig arbeitslos werden", sagt sein Kollege
       Arndt Mathan. Er trägt eine Jeans-Weste, und mit seinem Bart und dem
       lockigen Pferdeschwanz könnte er gut auf ein Motorrad passen. Die
       Streikenden wünschen sich einen bundesweit gültigen Tarifvertrag mit
       Übernahme-Klauseln, damit die Lokführer bei einem Wechsel "einfach die
       Jacke des neuen Unternehmens anziehen und weiterfahren können", sagt
       Mathan. Die NOB kann sich damit nicht anfreunden, vor allem stört sich das
       Unternehmen an der Forderung nach einem bundeseinheitlichen Tarif. Die NOB
       verhandele "ausschließlich auf der Ebene eines Haustarifvertrages", teilt
       die Geschäftsführerin Martina Sandow mit. Man sei aber zu einem
       Schlichtungsverfahren bereit.
       
       Die Männer an Gleis 1 protestieren: Das Angebot der GDL für eine
       Schlichtung liege seit August vor, nur unterschrieben habe die
       NOB-Geschäftsführung noch nicht. Wenn die Schlichtung läuft, würden sie
       sofort wieder die Arbeit aufnehmen - die meisten sind mehr als bereit dazu.
       Aber aufgeben? Nein. Hoffmann sagt: "Wir stehen hinter der Gewerkschaft,
       die Gewerkschaft steht hinter uns, und wir bleiben draußen, bis wir etwas
       erreicht haben."
       
       Zwei Gleise weiter stoppt eine Bahn, blau-weiß-gelb, die Farben der NOB:
       Der 11.35-Uhr-Zug nach Kiel. "Ach, guck, der verspätet sich", sagt Arndt
       Mathan. Die Männer feixen, sie wirken erleichtert. Vor einigen Tagen hatte
       der Arbeitgeber verkündet, den Betrieb auf den wichtigsten Strecken
       störungsfrei aufnehmen zu können, trotz der Streiks. "Das schaffen die
       nicht", sagten die Streikenden. Aber sie reden darüber, dass die NOB viel
       Geld ausgibt, um Lokführer aus anderen Regionen nach Schleswig-Holstein zu
       schicken. Ehemalige Kollegen, die inzwischen in den Büroetagen der NOB
       sitzen, würden in die Führerhäuser gestellt. Und gleichzeitig ist die
       Gruppe der Streikenden im Lauf der vergangenen acht Monate kleiner
       geworden. In der Urabstimmung stimmten 96 Prozent für Streik, jetzt steht
       noch ein Viertel der knapp 100 NOB-Lokführer auf dem Gleis statt im
       Führerhaus. Die Geschäftsleitung verkünde, es seien nur noch fünf Mann.
       "Zählen wir mal durch!", ruft Hoffmann und deutet auf die Gruppe, die aus
       knapp 20 Leuten besteht: "Eins, zwei, drei, vier, fünf-fünf-fünf..."
       Mittlerweile ein Running Gag.
       
       Trotz aller Witze, leicht ist es nicht, so einen Streik durchzuhalten.
       Anfangs bestreikten sie ihre Schichten, standen nachts um zwei am leeren
       Bahnsteig. Inzwischen treffen sie sich täglich zu den Hauptverkehrszeiten,
       oft in Husum, manchmal an anderen Orten. "Unser Streiklokal ist hier", sagt
       Hoffmann und deutet auf den Bahnsteig, auf dem zwei Thermoskannen stehen
       und zwei hohe Stühle neben dem Geländer. Den Kaffee kaufen sie bei dem
       Catering-Betrieb, der die NOB-Züge beliefert. Das Halbdach hält Regen ab,
       aber nicht den Wind.
       
       Dass sie in den Dienstplänen gar nicht mehr auftauchen, dass sie offiziell
       ausgesperrt sind, das tut ihnen schon weh. Und es ist nicht immer einfach
       mit den Kollegen, die anfangs mit ihnen unter der GDL-Fahne standen und
       zurück an die Arbeit gegangen sind. Wegen des Geldes, einige brauchen es
       ja, sagen die Streikenden und bemühen sich, verständnisvoll zu sein. Ihr
       Streiklokal auf dem Bahnsteig liegt direkt vor der Tür des Personalraums
       der NOB, hin und wieder kommen Leute in Dienstjacken vorbei. Man grüßt
       sich, ganz neutral.
       
       Laut NOB soll es Pöbeleien, Übergriffe seitens der Lokführer gegeben haben.
       Arndt Mathan und die anderen wollen davon nichts gesehen haben. "Und ich
       stehe jeden Tag hier", sagt Mathan. Die NOB hat trotzdem Wachposten
       geschickt, die die Streikenden im Auge behalten sollen: Zwei Frauen mit den
       blauen Jacken einer Sicherheitsfirma, begleitet von einem großen schwarzen
       Hund, auf seinem Geschirr das Wort "Security". Der Hund langweilt sich,
       will gestreichelt werden. Die beiden Frauen langweilen sich auch. Sie
       hocken neben der GDL-Gruppe auf den Stufen zum Personalraum und trinken
       Kaffee aus eigenen Thermosbechern. Ihre Rolle hier finden sie schwierig.
       Lange schon arbeitet ihre Firma mit der NOB zusammen, normalerweise
       begleiten sie Züge mit Fußballfans oder stehen an Bahnhöfen, wenn es Ärger
       geben könnte. Sie sind dafür da, NOB-Beschäftigte vor Krawallmachern zu
       schützen, aber wen sollen sie jetzt beschützen? Die NOB vor den
       Beschäftigten? Die Streikbrecher vor den Streikenden? "Es fühlt sich
       komisch an", sagt eine von beiden, und ihre Kollegin fügt hinzu, dass es
       auch sehr kalt sein kann auf dem Bahnhof. Die Security wird noch bis zum
       Abend ausharren. Die GDL-Leute werden da schon längst weg sein.
       
       Wie lange der Streik wohl noch dauert? Hoffmann zuckt mit den Schultern.
       "Wir haben schon ausgemacht, dass wir uns im Februar wieder in Niebüll
       treffen." Da hat alles angefangen, vor 100 Tagen.
       
       27 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Esther Geisslinger
       
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