# taz.de -- Neues Album von Lou Reed und Metallica: Gipfeltreffen der Alphamänner
       
       > Lou Reed vertont mit Metallica Songs, die er für eine
       > Theater-Inszenierung geschrieben hat. "Lulu" stellt Kunststrebertum neben
       > Männerschweiß.
       
 (IMG) Bild: Ihre Furchen tragen sie mit Stolz: Lou Reed und Metallica.
       
       Warum schreibt eigentlich keine Frau über diese Platte? Das ist eine von
       den Grundsatzfragen, die immer auftauchen, wenn Grundsatzplatten gemacht
       werden, Lackmustestplatten zum Stand der Dinge, Alben, die sich schon
       Monate vor ihrem Erscheinen mit stetig anschwellenden Bocksgesängen
       ankündigen. Meilenstein, Legende, Gipfeltreffen, Opus Magnum usw.
       
       Die Frauenfrage ist wohlfeil und anbiedernd, klar. Aber man wüsste doch
       gern, warum nur Männer den Wert dieser Männerrockplatte taxieren. Weil
       keine Frau das kann? Oder weil keine Frau so genau wissen will, was Lou
       Reed und Metallica mit Lulu, der heiligen Hure, am Hut haben? Oder sonst wo
       am Körper.
       
       Haben Frauen weniger Geduld? Eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne? Schaffen
       sie es nicht, eine Stunde Metallica-Bratzen und Reed-Röcheln durchzustehen,
       um endlich bei "Junior Dad" anzukommen?
       
       Im Zwanzig-Minuten-Finale wächst zusammen, was vorher teilnahmslos in
       Parallelspuren läuft: Metallica bratzen, Reed röchelt. Bei "Junior Dad"
       croont er leidlich zu einer Viola, als wolle er zurück zu den shiny boots
       of leather von Sacher-Masochs "Venus im Pelz". Aber nein, die Viola
       streicht kein John Cale, "Junior Dad" ist kein "Venus in furs", wir sind ja
       nicht bei Velvet Underground. Wir sind bei Lulu, Wedekinds Wunschkindfrau,
       an der Männer verbrennen wie Motten an der Glühbirne.
       
       ## Er ließ sie reden
       
       Die Songs hatte Reed eigentlich für Robert Wilsons "Lulu"-Inszenierung am
       Berliner Ensemble geschrieben, Alphatiere unter sich. Jetzt schlüpft der
       bald 70-Jährige in die Rolle von Lulu, eine eigenwillige Übung in
       Rollenprosa von einem der originellsten Frauenfigurenerfinder der
       Rockmusik, originell auch, weil er sich selten Mühe gab, seine misogynen
       Züge zu verbergen.
       
       Er ließ sie reden und gab ihnen Leben: Caroline says, Stephanie says, Candy
       says, Lisa says, dazu Venus im Pelz, Femme fatale und die Schönheit mit den
       blassen blauen Augen: Sie hielt er für seinen Berggipfel, für seinen
       Höhepunkt, für alles, was er hatte, aber nicht halten konnte, linger on,
       you pale blue eyes.
       
       Gegen diese Frauen hat es Lulu schwer, ein Rockschicksal. Gleich im ersten
       Song passiert Lulu Reed das Brandenburger Tor, Schlimmeres hätte ihr kaum
       passieren könne. Sie landet in der guten alten Berliner
       Expressionistenhölle, da warten schon die einschlägigen Quartalsirren:
       Boris Karloff, Klaus Kinski, Peter Lorre, Nosferatu.
       
       Titten und Beine würde Lulu sich abschneiden beim bloßen Gedanken an
       Karloff und Kinski, verkündet Reed im ersten Satz, leicht asthmatisch. Es
       nicht das letzte Mal, dass man an Helmut Schmidt denken muss. "Brandenburg
       Gate" heißt der Song und ja, danke für den Hinweis, Berlin war auch mal ein
       Lou-Reed-Album, kein schlechtes.
       
       ## Ein Bruder des späten Gaddafi
       
       Brandenburger Tor, Berliner Ensemble, Robert Wilson, Doppel-CD im
       Jewelcase, 4-fach LP-Vinyl-Box (180g) in Double-Gatefold, limitierte Deluxe
       Edition in durchsichtigem Plastikschuber, darin ein Buch mit Fotos von
       Anton Corbijn, ein zweites Buch mit dem Album auf zwei CDs plus Songtexte.
       Gespart werden muss hier nicht.
       
       Corbijn überzieht die sonnenbrillenbewehrten Men in Black mit seinem
       Trademark-Mattgrauschleier, das hat schon bei Bono und Grönemeyer geholfen.
       Seine Furchen trägt Reed mit Stolz, auf dem Kopf eine Kreuzung aus Vokuhila
       und Alters-Afro, dazu eine Metal-Halskette, mit der man die Queen Elizabeth
       festmachen könnte, verwegen verwahrlost, ein Bruder des späten Gaddafi.
       Hier werden keine Gefangenen gemacht, sagen die Fotos, die Platte bestätigt
       das.
       
       Man will in Deckung gehen vor dem hochkomprimierten Panzersound, vor dem
       Weimarer-Dekadenz-Overkill, vor dem Kunststrebertum, vor dem Männerschweiß
       der Elefantenhochzeit. Nach zehn Minuten ist man geschlaucht wie nach acht
       Stunden Schach & Rauch mit Schmidt & Steinbrück. Heavy.
       
       Lou Reed: "Metallica sind genau auf demjenigen Planeten beheimatet, um den
       es mir in diesem Fall ging. Dann spielten wir zusammen, und schon wusste
       ich: Mein Traum war in Erfüllung gegangen. Das Album ist das Beste, was ich
       jemals verzapft habe … Das ist die größte Sache, die ich jemals gemacht
       habe, aufgenommen mit den besten Typen, die man dafür auftreiben kann." Hat
       er Alzheimer?
       
       James Hetfield, der grölende Dunkelmann von Metallica, hat vielleicht zu
       viel Metallica gehört: "Wir müssen einfach alle erkennen und uns
       klarmachen, wie unfassbar genial das hier ist." Das dezente Eigenlob stammt
       aus dem acht Seiten starken Presseinfo eines anonymen Autors, auch dafür
       musste nicht gespart werden: "Lou Reed, James Hetfield und Lars Ulrich
       haben mir gegenüber in einer Suite im Londoner Claridges Hotel Platz
       genommen. Alle drei brennen darauf, ihre Begeisterung für dieses Projekt zu
       artikulieren, das merkt man auch daran, wie sie sich immer wieder
       gegenseitig die Bälle und Komplimente zuspielen."
       
       ## Gespreizt hoher Ton
       
       Es lohnt sich, die Waschzettelprosa genauer zu lesen, sie spiegelt
       gewissermaßen kongenial die Überwältigungsästhetik des ganzen Projekts und
       wirft ein interessantes Licht auf das Verhältnis von Pop und Popkritik. "90
       Minuten Klangkunst - kompromisslos, ungefiltert, unverfälscht, verstörend
       und dabei doch erbaulich: die Art von LP, die unser Verständnis von
       Rockmusik neu definieren kann und wird." Den gespreizt hohen Ton kennt man
       aus Spex seit der Machtübernahme des inzwischen abgelösten Chefredakteurs
       Max Dax. Mit Pathosformeln und heiligem Ernst wird die Nobilitierung von
       Popmusik betrieben, wird "Lulu" in die Walhalla der Meisterwerke
       hochgeschrieben.
       
       Der flapsige, erratische, gonzoide, dabei aber nicht uninformierte Sound
       der Popkritik hat unterdessen nicht ganz so paradoxerweise beim
       großbürgerlichen Feuilleton einen Platz gefunden. Dort, in der
       altehrwürdigen FAZ, finden wir die lustigste "Lulu"-Kritik und die einzige,
       die hinter der ganzen verstörenden Klangkunst entdeckt, dass dieses Album
       stellenweise tatsächlich auch so was Profanes wie Witz hat.
       
       Oder soll man nicht lachen, wenn Reed sein Mantra röchelt: "Frustration is
       my lexicon of hate"? Als "wärmste Kuschelrockplatte aller Zeiten" wird
       "Lulu" da bezeichnet, aber: "Das ist als Kompliment gedacht, auch wenn
       Millionen Amazon-Rezensentenzyniker es nicht einsehen werden." Der das
       schreibt, ist Dietmar Dath, Dax-Vorgänger im Spex-Chefsessel und gerade
       wieder zur FAZ zurückgekehrt.
       
       Tatsächlich haben inzwischen Millionen Amazon-Rezensentenzyniker und
       YouTube-Gucker den Dislike-Button geklickt, was Dath natürlich erst recht
       einnimmt für die arme "Lulu". Als alter Metaller begeistert er sich für die
       Gitarrenarbeiter "mit besonders haarig starkstromgeladenen Pratzen", Reeds
       Lyrik kommt weniger gut weg: "kryptoreligiöser Krampf".
       
       Das zu lesen macht mehr Spaß als der kryptoreligiöse Erbauungsquark der
       Pop-Verernstungsfraktion, allerdings waren Dath-Texte über Musik schon
       (fast) immer lustiger als die Musik, über die er schrieb. Schreibt er nicht
       überhaupt für Leute, die lieber Bücher lesen als Pop hören, und ist er
       nicht auch deshalb der richtige Hofnarr-Marxist im FAZ-Zoo?
       
       "Lulu" wird am Ende immer besser, das Finale ist sogar was für Frauen.
       Würden Männer sagen.
       
       Lou Reed & Metallica: "Lulu" (Warner)
       
       3 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Walter
       
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