# taz.de -- Kolumne Männersache: Body of Evidence
       
       > Sie sind ein Mann und mögen ihren Normalokörper? Das tut mir leid.
       
       Es ist mein Fehler, ich weiß. Dabei befolgte ich schon als Teenager die
       ungeschriebenen Gesetze der Heranwachsenden: Mir gelang es ohne Mühe, mich
       zu groß zu finden und gleichzeitig zu klein. Zu dünn und zu dick. Zu laut
       und zu leise. Ich mochte nichts an meiner Erscheinung, sehnte mich nach
       Erlösung von der Schuld, einen normalen Körper zu behausen. Und heute, mit
       Mitte 30? Ist mir dieser Selbsthass irgendwie abhandengekommen. Dabei
       könnte ich ihn jetzt so gut gebrauchen.
       
       "Dein Bauch war auch schon mal flacher", sagte ein Mann, den ich bis zu
       diesem Moment irrtümlich als Freund bezeichnete. Während er mit dem
       Zeigefinger auf meinem ausreichend flachen Bauch herumtippte, als warte er
       darauf, dass er platzt, fragte ich mich, seit wann wir uns
       auseinanderentwickelten. Ich meine unsere Freundschaft, nicht unsere
       Bäuche.
       
       Einst waren wir uns ähnlich: zwei Jungkerle, für die körperliche
       Anstrengung etwas war, das wir dank Hochschulbildung systematisch zu
       umgehen hofften. Irgendwann aber merkten wir beide, dass wir außer Atem
       gerieten, wenn wir der abfahrbereiten U-Bahn hinterherhasteten. Wir hielten
       es für folgerichtig, seltener U-Bahn zu fahren, aber das Taxifahren erwies
       sich bald als kostspielig. Quasi aus Geldnot fingen wir an, Sport zu
       betreiben. Mein alter Freund rauchte weniger und fing an, ins Fitnessstudio
       zu gehen. Ich hörte ganz auf zu rauchen und begann zu laufen. Damals geriet
       ich auf die schiefe Bahn.
       
       Anfangs trabte ich nur kurz um die Uni, um von möglichst vielen
       potenziellen Sexpartnerinnen gesehen zu werden. Ich hätte stutzig werden
       sollen, als ich immer weiter lief, bis in den Wald. Zu spät sah ich ein:
       Ich tue das hier nicht, um andere zu beeindrucken, sondern nur für mich.
       Seither bin ich gefangen in meiner Gelassenheit: Ich weiß um meine
       körperliche Ausdauer. Und wenn doch mal das Bäuchlein rausschaut, wirds
       halt wieder Zeit, dass der Läufer rausschnaubt. Dicke Muskeln fehlen mir
       nicht, ich habe einfach keine. Ein Fehler.
       
       Denn zur selben Zeit ist der Versuch meines Fitnessfreunds, einen
       Normkörper zu erlangen, dank Selbsthass weit gediehen. Und der
       Justin-Timberlake-Torso ist laut Frauenzeitschriften für Männer ein
       sicheres Indiz für ein gelungenes Leben. Athletische Männer gelten als
       erfolgreich im Job, als glücklich und attraktiv. Und was ist wichtiger, als
       erfolgreich und glücklich zu sein? Richtig: erfolgreich und glücklich zu
       wirken.
       
       Der männliche Körper ist zu einem weiteren Schlachtfeld des
       marktwirtschaftlichen Konkurrenzkampfs geworden. Schönheit ist auch bei
       Männern kein Geschenk mehr, sondern ein Nachweis von Willensstärke. Mein
       Freund hat übrigens Sehnenscheidenentzündungen, Arthrose in den Knien und
       ein Essproblem. Dieser Streber.
       
       Das aktuelle Vorbild aller männlichen Selbstoptimierer ist Daniel Craig.
       Derzeit rüstet sich der muskulöse James-Bond-Darsteller für seinen nächsten
       Einsatz. In einem Interview erzählte er: "Ich bereite mich seit einem Jahr
       auf den Film vor. Im Augenblick trainiere ich sechs Tage in der Woche. Und
       ich hasse es." Der hats gut.
       
       9 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Matthias Lohre
       
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