# taz.de -- Die Wahrheit: Getroffene Ostler
       
       > Best of Wahrheit: Anfänge, Barbiere und der ganz normale Irrsinn.
       
 (IMG) Bild: Brutal meuchelte der Barbier von Bebra ostdeutsche Bartträger.
       
       An meinem ersten Arbeitstag in der Wahrheit-Redaktion war im Büro eine
       Wäscheleine gespannt. Mein Kollege Hans-Hermann Kotte, dem ich im Jahr 1996
       als Wahrheit-Redakteurin nachfolgen sollte, befestigte an ihr diverse
       abgeschnittene Ärmelpaare.
       
       Während er nach Wäscheklammern in einem Beutel kramte, erklärte er mir, er
       habe gerade die Aktion "Spendet Ärmel für den Dalai Lama" ins Leben gerufen
       und hänge eben noch mal die heute eingegangene Post auf, bevor es ans
       Einarbeiten gehe.
       
       Ich kann mich an keinen vergleichbaren ersten Arbeitstag erinnern. Nie
       zuvor und nie wieder habe ich in solcher Deutlichkeit erfahren, was der
       Arbeitgeber von mir erwartet und welche Aufgaben ich habe. Hier lag alles
       auf der Hand: Mach allen Unfug, der dir einfällt!
       
       Die vielen sorgsam verpackten und an die Wahrheit-Redaktion spedierten
       Ärmel für den notorisch ab der Schulter unbedeckten Wiedergeborenen zeugten
       außerdem davon, dass taz-Leser eine hohe Meinung vom Unfug haben.
       
       Dachte ich - doch nicht nur die Wahrheit-Redaktion erhielt Post, auch die
       Leserbrief-Redaktion: Buddhistische taz-Leser und auch einige buddhistische
       Sympathisanten verließen kurzfristig ihren Pfad der Erleuchtung und wurden
       ausfällig. Ich war überrascht, was ein harmloser Quatsch alles hervorrufen
       kann. Diese Erfahrung sollte sich jedoch noch verfestigen.
       
       "Man weiß nie, wann es knallt." Diese Äußerung, einst seufzend von meiner
       kongenialen Partnerin Barbara Häusler vorgetragen, gehörte ab Mitte der
       neunziger Jahre zu unserer Erkenntnis.
       
       So hatten wir zum Beispiel einen stark eingekürzten Korrespondentenbericht
       der dpa aus Ecuador veröffentlicht, weil uns der erste Satz so gut gefiel:
       "Der Duft nach gebratenem Meerschweinchen erfüllt die Luft." So etwas liest
       man nicht allzu häufig in einer deutschen Tageszeitung, also her mit diesem
       herrlichen Einstieg, wie es unter Journalisten heißt.
       
       Bald darauf trudelten die Beschwerden ein. Ob uns nicht klar sei, dass auch
       Kinder die taz läsen? Was wir bei Kindern auslösen könnten, wenn wir von
       getöteten, gebratenen, ja gar verspeisten Meerschweinchen berichteten?
       
       Besonders verwerflich, so eine Leserin, war die Platzierung der Meldung
       neben dem täglichen ©TOM-Streifen. Kinder konnten dieser Meldung, dass
       andernorts ihre Haustiere als Delikatesse gelten, nicht entgehen.
       
       Wir hatten mit dieser Reaktion nicht gerechnet, sie machte uns allerdings
       auch nicht verrückt. Gewöhnlich verbrachten Kollegin Häusler und ich den
       einen oder anderen Feierabend mit Gorgonzola-Nudeln und ausreichend Rosé.
       Am nächsten Tag, uns gegenseitig stützend, entnahmen wir der
       Nachrichtenwelt der Agenturen erneut den wunderbaren, alltäglichen Irrsinn.
       
       So erfuhren wir beispielsweise auch, dass der Blitz in Bügel-BHs
       einschlagen kann. "Davor muss man dann aber auch wirklich warnen!", befand
       Kollegin Häusler und setzte die Meldung auf unsere Seite.
       
       Ich glaube - inzwischen ist viel Zeit vergangen -, wir hatten nicht deshalb
       Ärger mit einem Foto von nackten Brüsten. Wir hatten ihn aber, irgendwann.
       Weil das Bild pornografisch war, so jedenfalls der Vorwurf. Und ich bin bis
       heute froh, dass keine Leserin zuhörte, als Frau Häusler das Bild in der
       Fotoredaktion bestellte: "Wir hätten gern ein paar richtig schöne Titten."
       - "Klar, kriegt ihr!"
       
       Man weiß eben nicht, wann es knallt. 1996 geschah das einmal sehr
       gründlich, als wir den Roman "Der Barbier von Bebra" von Wiglaf Droste und
       Gerhard Henschel im Vorabdruck kapitelweise veröffentlichten.
       
       Die Geschichte war höchst albern und genoss bei uns erklärten Unfug-Status:
       Ein geheimnisvoller Serienmörder meuchelte ehemalige DDR-Dissidenten,
       allesamt Bartträger, darunter Wolfgang Thierse, Rainer Eppelmann und Jürgen
       Fuchs.
       
       Als wir nach einem entspannten Abend mit Gorgonzola-Nudeln und Rosé
       erfahren mussten, die Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld habe
       interveniert und verlangt, den Vorabdruck auf der Stelle zu unterbinden,
       waren wir konsterniert. Warum? Dieser Roman war ja nicht einmal böse, er
       verspottete allenfalls die Ikonen der ehemaligen DDR-Bewegung, die nun
       längst ihre Posten gefunden hatten.
       
       Mit Spott aber kam eine neue Politikerin wie Vera Lengsfeld nicht aus,
       gerade angelandet in der Mitte des Westens. Vielleicht hatte ihr auch
       keiner erzählt, wie wenig Vertrauen es im anderen Teil der Republik in die
       Politik gab. Ihrer Forderung, den Abdruck des Romans zu stoppen, weil der
       "faschistisch" sei, gab sie jedenfalls Nachdruck, indem sie ihr Schreiben
       mit dem Briefkopf des Bundestags inklusive Bundesadler versah.
       
       Dass wir hier eine Grenzüberschreitung wahrnahmen, ist höflich ausgedrückt
       und nicht der Kern der Geschichte. Wir im Unfug-Ressort "Wahrheit" waren
       meerschweinchengeprüft, krawallerfahren und damit kritikerprobt. Wir
       kannten das ja schon. Und so verlief der Boykottaufruf der später nur noch
       durch ein Busenplakat im Wahlkampf auffallenden Vera Lengsfeld im Sande.
       
       Trotzdem war die ernsthafte Auseinandersetzung mit uns durchaus erfreulich.
       Wir lernten auszuhalten und uns weiter dem Irrsinn zu widmen. So soll, so
       muss es sein, wenn man die einzige tägliche Satire-Seite einer deutschen
       Tageszeitung verantwortet.
       
       14 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Carola Rönneburg
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Wahrheit Greatest Hits
 (DIR) Arno Schmidt
       
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