# taz.de -- Debatte CDU: Eine historische Leistung
       
       > Die erfolgreichste Volkspartei der Bundesrepublik verliert an Bindekraft.
       > Trotzdem wird in absehbarer Zeit keine Partei rechts von der CDU
       > entstehen.
       
 (IMG) Bild: Selbst bei der Atomenergie hat die CDU eine 180-Grad-Kehrtwende hinbekommen.
       
       Der Islam als Teil Deutschlands, Atomausstieg und grüne Energiewende,
       Mindestlohn, Ende der Wehrpflicht, Frauenförderung, Gemeinschaftsschule,
       Börsensteuer, mehr Europa - wenn Angela Merkel die Opposition ständig links
       einholt, da müsste rechts von der Union doch was zu holen sein?! Doch es
       wird auch 2013 kaum eine aussichtsreiche Partei rechts von der Union
       antreten.
       
       Auf den ersten Blick verwundert das. Über Jahrzehnte hinweg galt die
       Christdemokratie als Bollwerk und Milieu konservativer Tradition, sie
       verteidigte das Patriarchat, das Militär, das Kapital, die Nation und das
       christliche Abendland. Sie war für Autorität und Disziplin und stemmte sich
       gegen den Verfall der Sitten und Werte.
       
       Außer einem sozialen Gewissen und der Wirtschaftsnähe bot die Union immer
       auch dem Nationalismus eine Heimat und dem Christentum eine zivile Adresse.
       Von rechts außen ging, anders als für die rechte Mitte in fast allen
       anderen EU-Ländern, tatsächlich keine Bedrohung aus.
       
       Weder die NPD in den 1960er und 2000er Jahren noch die "Republikaner" in
       den 1980er Jahren und die Pro-Deutschland-Gruppierungen heute, noch
       irgendeine Anti-EU-Formation schafften es in den Bundestag.
       
       Auch christliche Fundis und konservative Naturschützer haben an den
       durchaus vorhandenen Sollbruchstellen keine dauerhafte Abspaltung bewirkt
       und die strukturelle Mehrheitsfähigkeit der Union im Bund nicht brechen
       können, während die SPD an Grüne und Linke verlor.
       
       Der Grund liegt in der famosen Integrationsfähigkeit der Union, die
       Herz-Jesu-Sozialisten wie Hans Katzer, Norbert Blüm und Heiner Geißler mit
       Law-&-Order-Verfechtern wie Alfred Dregger und Wirtschaftsleuten wie Lothar
       Späth und Friedhelm Merz gesprächsfähig hielt.
       
       Verkörpert wurde dieses fast kirchenartige Amalgam programmatischer
       Gegensätze durch Vaterfiguren wie Konrad Adenauer und Machttechniker wie
       Helmut Kohl. Ob Angela Merkel so gut zwischen von der Leyen, Seehofer und
       der Mittelstandslobby in der Fraktion lavieren kann, ist jetzt die Frage.
       
       Bisher blieb die Union, zusätzlich dank ihres ausgeprägten Regionen- und
       Konfessionsproporzes, die erfolgreichste Volkspartei-Gründung nach dem
       Zweiten Weltkrieg. Sie konnte sich zwei ältere Strömungen einverleiben: das
       Zentrum, entstanden aus der Paria-Rolle der Katholiken im Deutschen Reich,
       und die antidemokratische Rechte, diskreditiert in ihrem Pakt mit Hitler.
       
       Aus beiden wurden Milieus und Kader importiert, integriert und letztlich in
       der "großen Volkspartei der Mitte" neutralisiert. Nolens volens trug die
       Union dazu bei, dass das historische Tabu gegen eine "Neue Rechte" Bestand
       hatte.
       
       ## CDU hat immer dazugelernt
       
       Führung, Mitglieder und Anhänger haben dann auch diverse
       Modernisierungsschübe der Bundesrepublik verinnerlicht und verarbeitet -
       den Nachkriegssozialismus als soziale Marktwirtschaft, die geopolitische
       Mittellage als dominante Ökonomie, die ökologische Welle als "Bewahrung der
       Schöpfung", den Pazifismus als Kultur der außenpolitischen Zurückhaltung.
       
       Sie haben sogar den Feminismus einer Alice Schwarzer moderat mit Rita
       Süssmuth und antagonistisch Kristina Schröder absorbiert - und womöglich
       reagiert die Kanzlerin auf den Antikapitalismus von Attac-Mitglied Heiner
       Geißler mit der Börsensteuer.
       
       Das Konservative an der CDU bestand nie darin, sich Lernprozessen zu
       verweigern; es genügte ihrer Basis, wenn die Partei das Reformtempo
       drosselte und unvermeidlichen Wandel in Grenzen hielt.
       
       ## Interessen statt Ideen
       
       Jenseits unverbindlicher Generalprinzipien wurde die Union nie durch Ideen,
       sondern durch Interessen zusammengehalten. Und die Unionsführung durch das
       gemeinsame Streben nach Machterhalt, weshalb sie auch Zugpferde wie Ludwig
       Erhard über die Klinge springen ließ, als die Kanzlerschaft auf dem Spiel
       stand. Das würde sie im Zweifel auch mit Angela Merkel tun.
       
       Man sollte dieses Erfolgsmodell auf Grund von übertriebenen Ressentiments
       und berechtigten Einwänden gegen CDU-Politik nicht unterschätzen. Aus
       linker Sicht ist Union gleich konservativ und konservativ gleich
       reaktionär.
       
       Doch heißt Konservativsein bewahren, nicht: sich gegen soziale
       Modernisierung stemmen und auch nicht, die Märkte zu feiern, Atommeiler in
       die Landschaft zu stellen, Frauen an den Herd zu verbannen und dergleichen.
       Genau dafür ist die Union oft genug eingestanden, ihre Betonfraktion kämpft
       in diesem Sinne weiter. Aber das ist weder der christdemokratische
       "Markenkern" noch konservatives Gedankengut.
       
       ## Jetzt brodelt es am Rand
       
       Echte Konservative (wie zum Beispiel der Philosoph Robert Spaemann) waren,
       anders als CDU-Bosse und -Basis, gegen die Kernenergie und für den
       arbeitsfreien Sonntag. Als Bewahrerin wäre Angela Merkel gegen riskante
       Biotechnologien, opponierte sie gegen die neoliberale Entmachtung des
       Staates und träte sie stärker für den Schutz des Klimas und der
       Artenvielfalt ein.
       
       Die Union ist nicht konservativ, denn sie hat sich den vermeintlichen
       Sachzwängen der kapitalistischen Globalisierung unterworfen. Aber sie ist
       auch nicht neokonservativ geworden wie die Republikaner in den USA, die
       ihre Marktblödigkeit und Reichenverschonung mit einer seltsamen
       Freiheitsrhetorik (gegen Klimaschutz, gegen den Islam, gegen die Vereinten
       Nationen) verbrämen.
       
       Wenn sich rechts von der Union eine neue Strömung etablieren könnte, dann
       eine rechtspopulistische Partei auf den Ruinen der FDP, die an einschlägige
       Bild-Kampagnen und den grassierenden Sarrazinismus anschließen kann. Aber
       auch dafür dürfte die Altherrenriege der Euroskeptiker aus den Talkshows
       (Henkel, Hankel und Co) zu schwach sein.
       
       Beruhigen kann das die Unionsführung nicht. Auch wenn sie von deutschen
       Mussolinis, Le Pens und Wilders verschont bleibt, bröselt es in der CDU,
       drohen Wahlen und Regierungsfähigkeit verloren zu gehen. Und die Krumen
       verbinden sich außerhalb der Parteien zu einem Gemisch aus Nichtwählern,
       Wutbürgern und Internetmob, das vom puren Ressentiment lebt. Wohin das
       führen kann, sehen wir gerade in Thüringen.
       
       15 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claus Leggewie
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die CDU, eine Konsensmaschine: Laumann rockt den Parteitag
       
       Der Chef des Arbeitnehmerflügels, Karl-Josef Laumann, reißt in Leipzig
       1.000 Delegierte von den Stühlen – und der Linksruck ist durch. Merkel
       freut sich über den Kompromiss.
       
 (DIR) Interview Ursula von der Leyen: "Werte erhält man nicht durch Starre"
       
       Ursula von der Leyen sieht beim Mindestlohn keinen Kurswechsel. Und die
       Schwenks bei Atomkraft und Wehrpflicht seien kein Problem. "Die CDU geht
       mit der Zeit, um ihre Werte zu erhalten."
       
 (DIR) Debatte Merkels Politikstil: Die Knetmasse-Kanzlerin
       
       Jetzt noch der Mindestlohn: Angela Merkel kapert linke Ideen so schnell,
       dass den Christdemokraten schwindlig wird. Progressiv ist sie aber noch
       lange nicht.
       
 (DIR) Kommentar CDU und Mindestlohn: Die Zeichen der Zeit
       
       Seit Jahren spricht sich eine übergroße Mehrheit der Bundesbürger für einen
       Mindestlohn aus. Doch für den Wirtschaftsflügel der CDU ist er immer noch
       undenkbar.
       
 (DIR) Schuldenkrise in Europa: Profilneurosen bei Schwarz-Gelb
       
       Niemals Eurobonds, keine Transferunion: Die CSU zeigt Merkel
       "Stoppschilder" in der Krise, will aber für die Ausweitung des
       Rettungsschirms stimmen.