# taz.de -- Hamburger Ausstellung zum Nomaden-Leben: Kein Grundbuch, keine Grenze
       
       > Elf Jahre Forschung zum nomadischen Leben macht eine Ausstellung in
       > Hamburg anschaulich. Dass sie viele Aspekte nur anreißt, ist kein
       > Nachteil.
       
 (IMG) Bild: Partner im mitunter irritierenden, aber eben auch notwendigen Austausch mit den Sesshaften: Nomade und Reittiere.
       
       HAMBURG taz | Ein Hamburger Senator in alter Amtstracht - nicht direkt, was
       in einer Ausstellung zu erwarten ist, die sich mit der 5.000-jährigen
       Geschichte der Nomaden befasst. Zwar kam die derzeitige Kultursenatorin am
       letzten Donnerstag zur Eröffnung, aber das ist eben lange nicht so
       überraschend wie die Puppe eines ihrer Amtsvorgänger, im
       niederländisch-spanischen Hofstil des Barocks gekleidet, inmitten von
       Kamelen und Rentieren, Jurten und ägyptischen Grabungsfunden.
       
       Es geht in der lange vorbereiteten, von einem internationalen Symposion
       begleiteten Ausstellung um die Nichtsesshaften in Asien, Europa und
       Nordafrika, zwischen Sahara und Arktis. Und die werden nicht staunend als
       die so ganz anderen dargestellt, sondern als Partner im zwar mitunter
       irritierenden, aber eben auch notwendigen Austausch mit den Sesshaften.
       
       Arbeitsemigration, sogenannte Jobnomaden und das mit Laptop im Café
       sitzende Praktikanten-Prekariat schärfen als gegenwärtiges Problem den
       Blick auf das Thema. Doch diese Varianten modernen Lebens stellen die
       Sesshaftigkeit nicht grundsätzlich in Frage. Und sie sind noch keine
       traditionellen, gar ganze Familienclans umfassenden Lebensformen.
       Allerdings mag der Debatte um Migration und Integration die Reflexion der
       mehrtausendjährigen Tradition des Nomadischen gut tun.
       
       Schnittstelle zwischen Nomaden und Sesshaften ist seit jeher der Handel.
       Und so steht der Senator mit seinem Wams aus Persianerfell für den langen
       Weg, den das Fell der frei durch die Steppen Asiens laufenden Karakulschafe
       nimmt: vom Markt im heute usbekischen Buchara bis zur jährlich eine Million
       Felle verhandelnden Pelzbörse in Leipzig - im 19. Jahrhundert die größte
       der Welt.
       
       Überhaupt Leipzig: Die Ausstellung ist das Ergebnis eines an der dortigen
       Universität sowie in Halle angesiedelten Sonderforschungsbereichs. Seit elf
       Jahren finanziert die Deutsche Forschungsgemeinschaft den interfakultativen
       Sonderforschungsbereich 586, "Differenz und Integration": 90
       WissenschaftlerInnen aus 15 Disziplinen haben in 50 Projekten gearbeitet.
       1.100 Seiten hatte allein schon der Antrag für dieses Unterfangen;
       gefördert hat die DFG - wie auch der Sonderausstellungsfonds der Stadt
       Hamburg - auch die Ausstellung.
       
       Die Geschichte der Nomaden ist seit je immer von den anderen geschrieben
       worden. Und die wollten diese sie im Grunde beängstigende Lebensform immer
       in ihre eigene Ordnung zwingen, kompatibel machen zu Grundbüchern und
       Staatsgrenzen. So zeigt die Ausstellung auch, wie die skandinavischen
       Länder Werbung mit der Folklore der Lappländer machen, die Sami selbst aber
       falsche Vorstellungen bekämpfen: Motorschlitten, Mobiltelefone und eigens
       für sie entworfene Puma-Schuhe passen eben nicht so recht in das zugleich
       romantisierte und abwertende Bild, das die Sesshaften überall von den
       Nomaden pflegen.
       
       In diesem Zusammenhang steht auch der unkorrekte Begriff Zigeuner, selbst
       wenn ihn manche der so titulierten Gruppen durchaus benutzen. Dabei
       spiegelt sich in der Sprache eine starke Abwehrhaltung: Fast alle Namen,
       die die Mehrheit der Sesshaften den eher wandernden Völkern gegeben hat,
       sind einseitig und werden von den so Bezeichneten abgelehnt - sogar der
       scheinbar bloß deskriptive Begriff Nomade selbst.
       
       Nomaden sind, anders als erwartet, selbst durchaus verortet. Das scheinbar
       so freie Land ist durch Familientradition und informelle Nutzungsrechte
       weitgehend definiert. Und viele nomadisch organisierte Clans unterhalten
       auch Stadthäuser. So zeigt die Ausstellung als Beispiel ein aufwendig
       gearbeitetes Aluminiumdach aus Rumänien.
       
       Die dortigen, im Unterschied zu den Viehhaltern von den Wissenschaftlern
       "Dienstleistungsnomaden" genannten Großfamilien haben für gelegentliche
       Treffen in den Städten Häuser, die sich vor allem durch besonders prächtige
       Dächer auszeichnen. Diese "ostentative Sesshaftigkeit" zeigt, dass ihre in
       dieser Hinsicht paradoxe Lebensform über beides verfügt: zur ungebundenen
       Freiheit auch über einen definierten Ort.
       
       Von altrömischen Verordnungen bis zu den mit Handy die Kurse der
       Fleischbörse abfragenden Zeltbewohnern, von einer traditionell der Natur
       folgenden Lebensweise zur Herstellung von Recycling-Produkten durch
       wandernde Schrottsammler: Klar, dass diese spannende Ausstellung eher
       zahlreiche Themen anreißt, als dass sie einzelne vertiefend darstellt.
       
       Und sie setzt sich in weiteren Stationen in der Dauerausstellung des
       Museums fort. So wird in der Europa-Abteilung der komplette Haushalt einer
       Familie aus einem englischen Vorort mit dem Inventar einer turkmenischen
       Jurte verglichen. Ein Filmprogramm begleitet das Projekt, eine spezielle
       Kunstausstellung folgt im Februar.
       
       Zum Angebot vieler Einzelaspekte passt auch, dass das informative
       Katalogbuch, das "ABC des Nomadismus" die neuen Erkenntnisse in Lexikonform
       verpackt. So müssen weder Leser noch Ausstellungsbesucher einer
       festgefügten Argumentation folgen, sondern können durch die verschiedenen
       Aspekte des Themas - nomadisieren.
       
       22 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hajo Schiff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Minderheiten
       
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