# taz.de -- Migrationsdebatte: Der lüsterne Barbar
       
       > Vorurteile über Türken gibt es schon seit Jahrhunderten - und sie sind
       > hartnäckig, stellt eine Diskussionsveranstaltung der Türkischen Gemeinde
       > fest.
       
 (IMG) Bild: Klischees und Vorurteile bestimmen den Alltag von Migranten in Deutschland.
       
       "Sie halten Erasmus von Rotterdam, Martin Luther oder Karl May doch
       bestimmt für große Humanisten, oder?", fragt Haci Halil Uslucan in die
       Runde. Nickende Köpfe. Dann verliest der Psychologe ein Zitat von Erasmus
       von Rotterdam: "Wenn es uns gelingen soll, uns aus dem türkischen
       Würgegriff zu befreien, müssen wir, bevor wir die abscheuliche Türkenrasse
       vernichten, aus unserem Herzen Geiz, Ehrgeiz, Habsucht, gutes Gewissen,
       Sinn für Ausschweifungen, Wollust, Falschheit und Begierde verbannen."
       
       Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) organisierte vergangene Woche
       im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe "50 Jahre Migration aus der Türkei"
       eine Tagung zu dem Thema "Türkischstämmige MigrantInnen in der Politik",
       auf der Uslucan, Leiter des Zentrums für Türkeistudien und
       Integrationsforschung, auf einem von drei Panels über die Auswirkungen von
       Stereotypen und Vorurteilen auf MigrantInnen referierte. Dabei erklärt er
       nicht nur, dass Stereotype über Türken in Europa bereits seit dem 14.
       Jahrhundert existieren, sondern auch, dass sich das Bild des lüsternen
       Barbaren noch bis in die Gegenwart gehalten hat. So dominiert heute in der
       medialen Darstellung türkischstämmiger Jugendlicher das Bild des "Macho
       Murats" und der "armen Ayse". Während also der Diskurs um Jungen durch die
       Darstellung von gewalttätigen und frauenfeindlichen Paschas skandalisiert
       wird, erweckt das Frauenbild Mitleid.
       
       Die Beständigkeit von Vorurteilen existiere aber auch in Bezug auf andere
       ethnische Gruppen, so Uslucan. Diverse Studien zeigten, dass Eigenschaften,
       die Gruppen zugeordnet wurden, nach mehreren Jahrzehnten überwiegend
       dieselben sind. Stereotype seien so schwierig zu durchbrechen, weil es
       keine Allaussagen sind. "Niemand sagt ,alle Deutschen, Türken oder
       Japaner'. Es heißt immer nur ,die meisten'." Vorurteile führten zu
       Diskriminierung, deren Funktion immer die Stabilisierung vom eigenen
       Selbstwert sei. Das Resultat von stetiger Diskriminierung sei der soziale
       Rückzug der davon Betroffenen.
       
       Uslucan erklärt, dass Menschen, die wegen ihrer Einwanderungsgeschichte
       ständig mit Vorurteilen zu kämpfen haben, sich nicht bemühen werden, dem
       Bild entgegenzuwirken, sondern Abstand von der Mehrheitsgesellschaft nehmen
       - nicht gerade der richtige Weg zur Integration. Und eine Studie des
       Zentrums für Türkeistudien habe ergeben, dass sich 80 Prozent der befragten
       türkischstämmigen Bürger im letzten Jahr strukturell diskriminiert gefühlt
       haben.
       
       Auch die Podiumsteilnehmer Yasemin Tümis, Turgut Altug und Hilmi Kaya
       Turan, die im Anschluss an den Vortrag über ihre Erfahrungen von Eigen- und
       Fremdwahrnehmung in Politik und Gesellschaft diskutieren, berichten über
       ihren steten Kampf mit Vorurteilen und dass sie ihre Herkunft erklären
       müssen. Tümis, die Sprecherin von Young Voice TGD, versucht dagegen
       anzukämpfen, indem sie auf die Menschen zugeht und mit ihnen redet. "Man
       könnte meinen, es ist eine Art Missionierung", sagt die junge Frau
       lächelnd. Die anderen Teilnehmer raten, sich nicht in die Ecke drängen zu
       lassen.
       
       Der einzige Weg, Stereotype zu überwinden, ist nach Ansicht von Uslucan der
       intensive Kontakt zu Mitmenschen und die ständige Selbstkorrektur. "Steter
       Tropfen höhlt den Stein" steht auf einem seiner Präsentationsfolien. An
       dieser Stelle wird im Publikum stark die Rolle der Medien kritisiert. "Sie
       tragen eher zu Vorurteilen bei", sagt eine junge Frau und appelliert an die
       Journalisten, sich ihres Einflusses auf die öffentliche Meinungsbildung
       bewusst zu werden.
       
       28 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Canset Icpinar
       
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