# taz.de -- Gotteskämpfer in Afghanistan: Der Wasserpumpenmann
       
       > Er war Mudschaheddin, der beste Schütze im Regiment, ein Gotteskämpfer.
       > Doch der Krieg hat Nasrullah nicht verbittert. Er ist ein fröhlicher Mann
       > in Todesangst.
       
 (IMG) Bild: Nasrullah kommt aus den Armenvierteln in den Bergen in Afghanistan.
       
       KABUL taz | Die Sonne über Kabul ist noch nicht aufgegangen. Doch
       Nasrullah, der Wasserpumpenmann, ist schon unterwegs. Morgens um fünf Uhr
       muss er das erste Mal die Pumpe im Tal anstellen. Der Reporter erwartet ihn
       vor der Nabaweg-Joy-Shir-Moschee, einem großen, in den 90er Jahren unter
       den Taliban neugebauten Gotteshaus im Herzen der afghanischen Hauptstadt.
       
       Noch liegt die Moschee im Dunkeln. Da tritt Nasrullah aus einer kleinen
       Gasse hervor. Im Halblicht wirkt er wie eine Riesengestalt. Er war einmal
       ein Mudschaheddin, ein Gotteskämpfer, der viele Feinde tötete.
       
       Nasrullah ist schon hellwach. Seine Stimme dröhnt lange, bis sie vermutlich
       die halbe Gasse weckt. Der Wasserpumpenmann ist eben ein fröhlicher Typ.
       Der Krieg hat ihn nicht bitter gemacht.
       
       Nasrullah trägt eine Paqool, die Wollmütze der Tadschiken aus dem Norden
       Afghanistans. Seinen schweren Körper umhüllt eine weiße Kurta, über der
       eine warme Baumwollweste sitzt. Er führt durch ein paar unbelebte Straßen
       auf ein Schulgelände. Nur der Schulpförtner, ein alter Mann mit langem
       weißem Bart, ist schon wach und schließt Nasrullah das eiserne Tor zum
       Schulhof auf.
       
       ## An Abfall gewöhnt
       
       Dort stehen zwei alte deutsche Müllcontainer inmitten eines Müllhaufens.
       Sie zeugen von deutscher Entwicklungshilfe. Doch kommt der Müllwagen, der
       die Container entleeren kann, nur alle 14 Tage. Deshalb häuft sich der
       Dreck. Der Schulpförtner entschuldigt sich dafür. Nasrullah aber stört das
       nicht. Er ist Müll auf den Straßen gewöhnt. Er kommt ja aus den
       Armenvierteln in den Bergen.
       
       Hier im Tal, im Stadtzentrum ist er nur, um den Wasserpumpenschalter
       umzulegen. Der Schalter befindet sich in einer winzigen Hütte in einer Ecke
       des Schulhofes. Als Nasrullah ihn umlegt, beginnt die ganze Hütte so zu
       wackeln, als würde sie in der nächsten Minute einstürzen. Die Pumpe,
       Herstellungsland Italien, lärmt fürchterlich. "In zehn Minuten ist das
       Wasser oben", schreit Nasrullah gegen den Krach an.
       
       Er erzählt etwas von häufigen Stromausfällen, die ihm das Leben schwer
       machen. Dann müsste er jedes Mal wieder vom Berg ins Tal kommen, um die
       Pumpe neu anzustellen. Stolz zeigt er, dass sie mit Starkstrom
       funktioniert. "400 Volt", brüllt Nasrullah. Leiser wird die Pumpe nicht. An
       ihrem Podest in der Hütte ist eine kleine Tafel angeschraubt, die die
       Anlage als amerikanisches Wasserprojekt aus dem Jahr 2006 kennzeichnet.
       Über ihr sind die Wasserrohre an Ketten aufgehängt. Nasrullah überprüft
       umständlich, ob alles funktioniert. Dann macht er sich auf den Rückweg.
       
       Hinter der Nabaweg-Joy-Shir-Moschee, die von einem gemäßigten Imam geführt
       wird, gibt es noch ein paar Gassen, meist voller Geschäfte, die zum alten
       Kabul gehören. Vor einer Tür liegt ein alter Mann. "Er lebt seit 60 Jahren
       hier und kann nicht mehr sprechen", erklärt Nasrullah.
       
       ## Respekt von allen
       
       Dann aber geht es steil bergauf zum Tape-Nader-Khan, dem gelbsandigen und
       bis vor wenigen Jahren noch gänzlich unbevölkerten Stadtberg von Kabul.
       "Vor zehn Jahren stand hier kein einziges Haus", sagt Nasrullah. Heute aber
       krallen sich an jeden Felsvorsprung kleine Hütten, vor denen am Morgen die
       Kinder spielen und Nasrullah grüßen und necken, wenn er vorbeikommt. Denn
       jeder auf dem Berg kennt den Wasserpumpenmann. Überall muss er stehen
       bleiben und grüßen. Sonst wäre er mit seinem festen Schritt im Nu den Hang
       hinauf. Schließlich stammt Nasrullah aus dem steilen Bergland der
       nordafghanischen Provinz Panjshir. Er ist das Bergsteigen gewohnt.
       
       Er war als Kind der beste Bogenschütze in seinem Tal - und später der beste
       Schütze seines Regiments. Die Leute hier wissen das. Auch deshalb zollen
       sie ihm Respekt und laden ihn zum Tee ein. Doch Nasrullah muss weiter, oben
       wartet ja jetzt das Wasser im großen Tankbehälter.
       
       Mit jedem Schritt nach oben erschließt sich das neue Kabul der
       Nato-Mission. Die zehnjährige Anwesenheit der westlichen Truppen hat die
       Stadt total verändert. Statt der 1,5 Millionen im Jahr 2001 leben heute 5
       Millionen Menschen hier. Auch Nasrullah zählt zu den Zuwanderern, wie alle,
       die mit ihm auf dem Berg leben. Vorsichtig setzt der alte Kämpfer jetzt
       einen Fuß vor den anderen. Abwässer und Kloake haben den steilen Weg
       aufgeweicht. Es riecht stark nach Urin. Aber Nasrullah beklagt sich nicht.
       Er erinnert daran, wie schwer es früher war, in Eimern und auf Eseln Wasser
       aus dem Tal den Berg hochzutragen.
       
       "Alle hier sind glücklich wegen des Wassers", sagt Nasrullah. Er hat nun
       fast die Spitze des Hanges erreicht und dreht sich um. Unter ihm liegt
       Kabul. Das ganz alte Kabul, zerbombt von den Kriegen, und nie wieder
       aufgebaut. Das ebenso alte wie moderne Basar-Zentrum samt den
       diplomatischen und militärischen Hauptquartieren, voll saniert mit
       ausländischem Geld. Und drumherum das neue Kabul der Zuwanderer - arm und
       riesig.
       
       ## Auf dem Berg ist es ruhig
       
       Über allem aber fliegt gerade ein schwarzer Hubschrauber der US-Armee. Von
       unten ertönen Sirenen. Gab es wieder einen Anschlag der Taliban? "Unten in
       der Stadt gibt es die Anschläge", entgegnet Nasrullah. "Hier oben auf dem
       Berg aber ist es ruhig." Als altem Militär ist ihm die Ironie seiner
       Beobachtung durchaus bewusst. In Kabul leben die Armen sicherer als die
       Reichen.
       
       Unten im Tal gibt die deutsche Bundesregierung gerade Millionen Euro für
       eine neue Sicherheitsmauer rund um das deutsche Botschaftsgebäude aus. Doch
       sicher sind die deutschen Diplomaten deshalb noch lange nicht - das zeigen
       gerade die jüngsten Taliban-Angriffe auf das Kabuler Stadtzentrum.
       
       Hingegen haben Nasrullah und seine Nachbarn vorerst nichts zu befürchten.
       Auf den Stadtberg hat sich noch nie ein Taliban-Kämpfer verirrt. "Unsere
       Sicherheitslage ist gut", sagt Nasrullah und klingt dabei richtig dankbar.
       "Zehn Jahre Frieden", fügt er hinzu. Er meint Kabuls Zeit unter der Nato,
       von 2001 bis 2011. Doch jetzt hört es sich an, als spreche er schon von der
       Vergangenheit. Er hätte auch sagen können: Zehn Jahre Frieden, die nicht
       wiederkehren.
       
       Noch bevor er seine Gedanken weiterspinnen kann, muss Nasrullah Wasser
       verteilen. Denn schon stehen sie Schlange vor seinem Wasserreservoir auf
       dem Berg: die Frauen und Kinder mit ihren bunten Plastikkanistern.
       Nasrullah bedient sie mit dem Schlauch. Die meisten haben noch einen Esel
       mitgebracht, auf dem sie ihren vollen Kanister mit Stricken befestigen. Das
       alles ist ein Riesenspaß. Die Frauen schwätzen, die Kinder toben, die Esel
       schreien und zwischen allen steht jetzt Nasrullah wie ein guter Wassergott.
       Der Frieden in Kabul erscheint in so einem Augenblick greifbar nah. Doch
       der Krieg ist nie weit. Wieder erhebt sich unten im Tal ein
       US-Hubschrauber.
       
       ## "Mich werden sie töten"
       
       Nasrullah beruhigt das. Denn er hat Angst, große Angst. Er ist 55 Jahre
       alt, er hat sein Kämpferleben nicht vergessen. Er weiß: Nicht seine Truppen
       der tadschikischen Nordallianz haben die Taliban vor zehn Jahren aus Kabul
       vertrieben, dafür waren sie nicht stark genug. Es war die Nato. "Ich habe
       gegen die Taliban gekämpft. Mich werden sie töten", sagt er unvermittelt.
       Inzwischen ist das Wasser verteilt, hat seine 18-köpfige Familie im großen
       Kreis gefrühstückt, sind die jüngeren Kinder zur Schule gegangen. Nun kann
       Nasrullah endlich auf der Gartenterrasse über seinem Wassertank ausruhen.
       
       Er hat hier Rosen, Mandel- und Apfelbäume gepflanzt - wie zu Hause in
       Panjshir. Neben ihm sitzt sein 25-jähriger Sohn Sebgaiullah, der Elektriker
       ist und ein Palästinensertuch trägt, das sein Vater aber als
       "Panjshiri-Schal" bezeichnet. Die beiden streiten um den Begriff und
       scheinen sich gut zu verstehen. Doch gleich darauf wird Nasrullah wieder
       bitterernst: "Die ausländischen Mächte müssen bleiben", fordert er und weiß
       doch genau, wie düster die Aussichten dafür sind.
       
       2014 will die Nato abziehen. Wer wird sie noch daran hindern? Nasrullah
       sagt: "Jeder von uns weiß: Wenn die USA abziehen, sind die Taliban in 30
       Tagen wieder da." Dann ist er ein toter Mann und wohlmöglich seine ganze
       Familie dem Tode geweiht. So jedenfalls denkt er.
       
       Und so denkt nicht nur er. "Die Taliban sagen den afghanischen Beamten,
       dass sie innerhalb von 20 Tagen nach Abzug der Nato wieder an der Macht
       sein werden, und die Beamten deshalb, sofern sie überleben wollen, besser
       jetzt schon mit den Taliban kooperieren", berichtete ein amerikanischer
       Diplomat kürzlich der New York Times aus US-Verhören mit
       Taliban-Gefangenen.
       
       Nasrullah kann die afghanischen Beamten, die unter diesen Bedingungen mit
       den Taliban heute schon zusammenarbeiten, durchaus verstehen. Er selbst hat
       ja auch kein Gewehr mehr zur Hand. Dafür ist er zu alt. Vor allem aber:
       Seine Söhne sind erst recht keine Kämpfer. Er hat sie Berufe erlernen
       lassen. "Meine Söhne kennen die Kriegsgeschichte nicht. Sie wissen nur,
       dass sich die Frauen früher verhüllen mussten", sagt Nasrullah. Schnell hat
       sich das Leben unter der geschenkten Sicherheit der Nato verändert. Eben
       noch kamen viele Mädchen mit offenen Haaren zu Nasrullahs Wasserstelle.
       Reicht das, damit sie die Taliban später töten?
       
       Es ist eben nicht leicht, in Kabul an Frieden zu glauben. Nicht einmal oben
       auf dem Berg unter Apfel- und Mandelbäumen. Nasrullah schläft eine Weile in
       der Sonne. Da weckt ihn sein Handy. Er muss wieder runter ins Tal.
       Stromausfall.
       
       2 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Georg Blume
       
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