# taz.de -- Treberhilfe: Herrn Ehlerts Hang zum Profit
       
       > Nach Insolvenz und Übernahme der Treberhilfe muss man sich die Frage
       > stellen, ob das überhaupt zusammengeht: Gutes tun und Gewinne
       > einstreichen.
       
 (IMG) Bild: Pleite: Die Treberhilfe
       
       Die Sorge für Arme und Alte, Behinderte und Kranke liegt seit Jahrhunderten
       in den Händen der Barmherzigen. Harald Ehlert, Gründer der Treberhilfe, war
       einer, der den gutmenschlichen Ansatz über Bord warf. Er wollte mit seinem
       Sozialunternehmen vor allem eines: Geld verdienen. Damit war er bestimmt
       nicht der Erste, aber ganz sicher der Provokanteste. Vor gut zwei Wochen
       hat nun die Treberhilfe Insolvenz angemeldet, vor zwei Tagen übernahm eine
       evangelische Schwesternschaft - ein mildtätiger Verein - das Geschäft. Nach
       einem Vierteljahrhundert geht ein Kapitel zu Ende. Es bleibt die Frage:
       Passen soziale Arbeit und das Streben nach Profit einfach nicht zusammen?
       
       23 Jahre ist es her, dass Ehlert das Prinzip der effizienten Sozialarbeit
       aus dem Boden stampfte. Ein Ostwestfale, der in Berlin
       Erziehungswissenschaften und Sozialrecht studierte und nachts in der
       Obdachlosenhilfe jobbte. Einer, der schon in der Schule genau so gern Mathe
       wie Sozialwissenschaften gebüffelt haben soll. Im Jahr 1988 übernahm er
       seine erste Obdachloseneinrichtung und nannte sie Treberhilfe. Er machte
       daraus ein mittelständisches Unternehmen, das zu Teilen ihm gehörte und als
       gemeinnützige GmbH Steuervorteile genoss.
       
       20 Jahre nach der Gründung las sich die betriebswirtschaftliche Bilanz so:
       8 Einrichtungen in ganz Berlin, über 3.000 Klienten jährlich, mehr als 200
       Mitarbeiter, 12 Millionen Euro Umsatz und davon 5 Prozent Gewinn. Eine
       Erfolgsgeschichte. Dafür gönnte sich der "Sozialunternehmer" ein
       Jahresgehalt um die 320.000 Euro, eine günstige Mietwohnung in der
       firmeneigenen Luxusvilla und einen Dienstwagen, den sonst gern italienische
       Staatsoberhäupter fahren.
       
       Die besten Sozialarbeiter der Stadt hatte Ehlert damals um sich geschart.
       Anfangs war es nur eine Handvoll Ehrenamtlicher, die in der Schöneberger
       Mansteinstraße ein paar junge Obdachlose in einer Kriseneinrichtung
       betreute. Mit den Jahren kamen immer mehr Standorte, Leistungen und
       Mitarbeiter dazu. Es gibt Wohnprojekte in Schöneberg, Wedding, Mitte,
       Friedrichshain. Die Angebote reichen von betreutem Einzelwohnen und
       Straßensozialarbeit bis zu Familienhilfe und sozialer Gruppenarbeit. Sie
       sind auf Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, Frauen oder Eltern mit Kind
       zugeschnitten. Bei der Treberhilfe sind Sozialarbeiter tätig, für die ihre
       Schützlinge mehr als Jobs sind und deren gute Arbeit von Jugend- und
       Bezirksämtern mit immer mehr Zuweisungen belohnt wurde. So wuchs die
       Treberhilfe Jahr für Jahr - nicht zuletzt, weil Ehlert sich um die
       "wirtschaftliche Optimierung des Ressourceneinsatzes" kümmerte. Weil er
       seine Sozialarbeiter mit knallharten Zielvorgaben antrieb und Konkurrenten
       ausstach. Die Gewinne steckte der Chef vor allem in einen millionenschweren
       Immobilienpool. Wenn er mit Journalisten oder Politikern eine
       Stadtrundfahrt an die Standorte der Treberhilfe machte, war er lange
       unterwegs.
       
       Dabei hatte Ehlerts Hang zum Profit, gewollt oder ungewollt, mehr als eine
       betriebswirtschaftliche Dimension. Es mag geschmacklos anmuten, Obdachlose
       als Klienten, Hilfsangebote als Dienstleistungen und Kriseneinrichtungen
       als Profitcenter zu betrachten. Doch für die Menschen, die in den Schlangen
       der klassischen Armenspeisung gestanden oder in Obdachlosenunterkünften
       gewohnt hatten, offenbarte Ehlerts Dienstleistungsgedanke eine positive
       Seite: Wer Kunde ist, besitzt Rechte. Und wer seine Rechte spürt, der
       empfindet Würde. Ehlert waren die Obdachlosen besonders willkommen - und
       sei es nur, weil sie ihm Geld einbrachten.
       
       Es mag dieser Effekt gewesen sein oder Ehlerts Begabung zur
       Prozessoptimierung: Die Treberhilfe war beliebt. Bei den Obdachlosen und
       materiell Armen genauso wie bei Mitarbeitern und Politikern. Mehr noch: Die
       Treberhilfe war das Berliner Vorzeigeunternehmen der Branche und galt in
       Zeiten knapper Kassen als Zukunftsvision des Sozialwesens.
       
       Doch 2010 kam der Abstieg, und viele machen die Vorliebe des Chefs für
       einen 100.000-Euro-Dienstwagen dafür verantwortlich. Dabei war der Maserati
       immer nur Symptom eines Phänomens, das in der Welt der gewinnorientierten
       Unternehmen von jeher dazugehört. Ein Phänomen, das die Menschen von Madrid
       bis New York gerade wieder auf die Straßen treibt: die Entfremdung zwischen
       Unternehmenseignern und denen, mit denen sie ihr Geld verdienen. Nur, und
       das ist traurig genug: Von Banken erwartet man nichts anderes. Von einem
       Unternehmen, das mit den Zukunftschancen der Ärmsten handelt, schon.
       
       Schon lange vor der Insolvenz und auch einige Zeit vor der Maserati-Affäre
       begann der Erfolg der Treberhilfe von innen zu bröckeln. Sein Geld, das
       fette Gehalt und den Dienstwagen hatte Ehlert dadurch verdient, dass er
       Mitarbeiter unterdurchschnittlich bezahlte und überdurchschnittlich
       strapazierte. Das mag nicht besonders moralisch sein, branchenüblich war es
       allemal. Doch Ehlert kokettierte regelrecht damit, dass auch ein
       Sozialunternehmer im Luxus leben kann - bis Presse, Politik und
       Öffentlichkeit anfingen, den Mittvierziger mit neuem Maß zu messen. In
       dieser Hinsicht erging es Ehlert wie jedem Unternehmer, dessen Gebaren
       nicht mehr zu der Marke passt, die er aufgebaut hat: Einem Ökobauern
       verzeiht man auch nicht, wenn er das Gewächshaus mit Atomstrom heizt.
       
       In der Krise zeigte sich dann die ganze Problematik seines Führungsstils.
       Wo er früher seine Mitarbeiter mit raumgreifender Art zu Höchstleistungen
       motiviert hatte, regierte nun ein Kartell des Schweigens. Offiziell hatte
       er sich im März 2010 zurückgezogen und sein Amt als Geschäftsführer
       niedergelegt. Doch die Treberhilfe war sein Baby. Ohne ihn, das erkennen
       auch seine Kritiker an, hätte es diesen Prototyp eines Sozialunternehmens
       nie gegeben. Er konnte und wollte nicht gehen. So waren es nicht die
       wechselnden Geschäftsführer - allein sechs in der Zeit von März 2010 bis
       November 2011 -, es war Ehlert, der weiter die Strippen zog.
       
       Im vergangenen Sommer, so erzählen es Mitarbeiter und Ehemalige bei
       geheimen Treffen, war der eigentliche Chef präsenter denn je. Und trotzdem
       oder gerade deswegen ging es weiter bergab. Die Senatsverwaltung für
       Soziales versuchte, alle Verträge mit der Treberhilfe loszuwerden. Weil die
       linke Senatorin Carola Bluhm die soziale Arbeit rekommunalisieren wolle,
       sagte einer von Ehlerts Geschäftsführern. Weil sie berechtigte Zweifel an
       der Arbeitsweise der Treberhilfe habe, sagte Frau Bluhm. Die Jugend- und
       Bezirksämter vertrauten dem einstigen Vorzeigeunternehmen immer weniger
       Klienten an.
       
       Ab August, vier Monate vor der Insolvenz, konnte die Treberhilfe die
       Gehälter der meisten ihrer Mitarbeiter nicht mehr bezahlen. Wer sich nicht
       mehr über Wasser halten konnte, musste freitags um einen Abschlag betteln.
       Die Mieten für die Klientenwohnungen waren zum Teil schon seit Monaten
       nicht mehr beglichen worden, die ersten Vermieter begannen Räumungen zu
       veranlassen. Der Telefonanbieter stellte die Telefone ab, die
       Sozialarbeiter mussten selber putzen, weil die Reinigungsfirma nicht mehr
       kam. Das fünfstellige Beratergehalt für Ehlert aber, so erzählen es die
       Eingeweihten, wurde weiterbezahlt.
       
       Öffentlich wollte damals keiner der Mitarbeiter sprechen. Zu groß war die
       Angst vor einer Klage oder dem Verlust des Arbeitsplatzes. Viele waren
       längst zu einem der Konkurrenten wie der neu gegründeten Neue Chance gGmbH
       gewechselt. Wer blieb, wollte entweder seine Klienten nicht im Stich lassen
       oder fand keinen anderen Job. "Ehlert war einmal ein Visionär", erinnert
       sich einer von ihnen. "Aber er hat die Bodenhaftung verloren."
       
       Ohne Harald Ehlert hätte es die Treberhilfe nicht gegeben. Aber mit ihm ist
       sie beinahe zugrunde gegangen. Ein Einzelfall? Es ist keine fünf Wochen
       her, dass sich ein Mann vor dem Landgericht am Tegeler Weg verantworten
       musste, der sich genau wie Ehlert als Sozialarbeiter und Betriebswirt
       versteht: Reiner Krüger puschte die Süd-West Behindertenhilfe gGmbH des
       Deutschen Roten Kreuzes binnen weniger Jahre zu einem der größten Anbieter
       Berlins. Als er mit der gleichen Umtriebigkeit und mit windigen
       Immobiliengeschäften fast die Existenz der Behindertenhilfe verspekulierte,
       kündigte ihm das Rote Kreuz fristlos. Vor dem Landgericht streitet der Mann
       nun um rund 400.000 Euro Gehalt und Abfindung. "Von mir können Sie in
       Sachen Strategie noch was lernen", rief er in einer Verhandlungspause. Auch
       Reiner Krüger wurde lange hofiert.
       
       Auf der ganzen Welt ist die Sehnsucht groß nach Unternehmen, die auf
       nachhaltige Produkte setzen, bei denen sozialer Profit und wirtschaftliches
       Überleben Hand in Hand gehen. Gutes tun und davon gut leben können: "Social
       Business" nennt Nobelpreisträger Muhammad Yunus diese Vision von einem
       neuen Wirtschaften. Harald Ehlert hat genau das jahrzehntelang erfolgreich
       und unter viel Beifall getan. Aber seine Gier und die Entfremdung scheinen
       mit jedem zusätzlichen Profitcenter, jedem weiteren Produkt, jeder weiteren
       Filiale der Treberhilfe gewachsen zu sein. Klassischen Unternehmen ergeht
       es in der Regel nicht anders.
       
       Der Insolvenzantrag vom 15. November war die letzte Möglichkeit, den
       Niedergang aufzuhalten und die Geschichte der Treberhilfe von der ihres
       Gründers zu trennen. Nun hält mit dem Evangelischen Diakonieverein
       Berlin-Zehlendorf als neuem Besitzer wieder das jahrhundertealte Motiv der
       Barmherzigkeit Einzug. Es scheint, als sei das Experiment Sozialunternehmen
       vorerst gescheitert. Vielleicht hatte aber auch die Kombination
       Ehlert/Treberhilfe schlicht und einfach ein Verfallsdatum.
       
       3 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Heim
       
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