# taz.de -- die wahrheit: Mit der dicken Rassel
       
       > Männermacken: Die Schlüsselbundklimperer sind unter uns.
       
       Auch eine echte Männermacke, die immer mehr um sich greift - dachte man,
       als die Klimperer unter den Männern anfingen, ihren Schlüsselbund mit
       überdimensionierter Karabinerhaken am Gürtel zu tragen, oft noch zusammen
       mit einem Flaschenöffner. Man mochte gar nicht hingucken, es sah zu Scheiße
       aus, aber weghören kann man ja nicht.
       
       Dabei hatte man in den siebziger Jahren noch gedacht, dass mindestens in
       Berlin mit dem ersten Nachkriegsmodernisierungsschub - bestehend aus
       Türsummer und Gegensprechanlagen, die den berühmten zigarrengroßen
       "Berliner Schlüssel" für die Haustür quasi aus der bewohnbaren Welt
       schaffte - eine Ära der sukzessiven Verkleinerung aller elenden
       Schlüsselbunde begonnen habe. Erst recht, als dann auch noch die
       zigarillogroßen Wohnungstürschlüssel durch die sehr viel kleineren
       Schlüssel sogenannter "Sicherheitsschlösser" ersetzt wurden. Mit den
       Hausbesetzungen unter ökologischem Vorzeichen kamen dafür jedoch neue
       Schlüssel - fürs Fahrradschloss und den Fahrradkeller - hinzu, das heißt an
       den Schlüsselbund. Wie viele Hosentaschen haben die Männer sich damit
       zerrissen?!
       
       In den neunziger Jahren kam die Mode der bunten Schlüsselbänder auf, die
       man sich um den Hals hängte. Da es sich dabei durchweg um Werbeartikel
       handelte, die kostenlos unters Volk verteilt wurden - von der Deutschen
       Bank bis zum "Späti" am Neuköllner Reuterplatz -, besaß bald jeder eine
       ganze Kollektion zu Hause.
       
       Dort, in Neukölln, war es einmal zu einem interessanten Schlüsselbundersatz
       gekommen: In der Trabantensiedlung Gropiusstadt hatten die Architekten die
       Klingeln an den Hochhäusern zu hoch angebracht, so dass die kleinen Kinder
       nicht an die oberen Klingelknöpfe rankamen. Die Mütter in den höheren
       Stockwerken gaben ihnen deswegen Kochlöffel mit auf den Weg. Damit konnten
       sie dann klingeln, wenn sie wieder reinwollten. Die größeren Kinder machten
       sich jedoch einen Spaß daraus, ihnen die Kochlöffel abzunehmen. Einer
       befindet sich heute im Neuköllner Heimatmuseum, es ist der von "Christiane
       F.", die einst in der Gropiusstadt aufwuchs, wo man ihresgleichen nicht
       Schlüssel-, sondern Kochlöffelkinder nannte.
       
       Von einem anderen berühmten Neuköllner, dem Exterroristen und
       Enthüllungsjournalisten Till Meyer, stammt der Hinweis, dass er in seiner
       Jugend als Rocker mit seiner Clique immer nach Cowboymanier am Hermannplatz
       rumlungerte - und dabei angelegentlich mit seinem Schlüsselbund klimperte,
       sich seiner mindestens in der Jeanstasche immer wieder vergewisserte.
       Damals lief gerade ein Hollywoodfilm, in dem die verruchte Mae West einen
       Mann mit den Worten begrüßt: "Ist das dein Schlüsselbund, oder freust du
       dich, mich zu sehen?" Das Meyersche Schlüsselbundklimpern, das damals noch
       als "lässig" galt, wurde mit der Zeit bei den Jungmännern, vor allem bei
       denen, die dann nicht wie Meyer zur Knarre griffen, um das "Schweinesystem"
       aktiv zu bekämpfen, lästig - das heißt zu einer regelrechten Manie.
       
       In dem kurz nach der Wende veröffentlichten ersten Band seiner
       "Hagen"-Trilogie hat der südelbische Autor Frank Schulz eine seiner durch
       die Kneipen streunenden Hauptfiguren als astreinen Schlüsselbundklimperer
       dargestellt. Seitdem haben sie sich unter den Jungmännern geradezu
       epidemisch ausgebreitet, vor allem im Osten, wo der Karabinerhaken lange
       Zeit proletarisch überkonnotiert war. In der Neuzeit kamen dazu dann noch
       Handy-Etuis am Gürtel. Beides zusammen soll wie schwerbewaffnet aussehen
       und Sicherheit signalisieren. Ein dicker Schlüsselbund lässt sich zur Not
       aber auch wirklich als Handwaffe nutzen. Die Greifswalder Schriftstellerin
       Judith Schalansky erwähnt in ihrem Bildungsroman "Der Hals der Giraffe",
       dass die DDR-Lehrer ihren Schlüsselbund gern als Wurfwaffe gegen
       schwatzende Schüler einsetzten.
       
       Es verwundert nicht, dass neben den Lehrern vor allem die
       Justizvollzugsbeamten, die man im Knast "Schließer" nennt, den höchsten
       Prozentsatz an Schlüsselbundklimperern aufweisen: 71 Prozent. Davon
       klimpern zwei Drittel gedankenverloren beziehungsweise ängstlich mit ihren
       Schlüsseln und das restliche Drittel, um zu provozieren oder zu demütigen.
       Über die Hälfte der Gefangenen empfindet bereits den Entzug des
       Schlüsselbunds bei der Einknastung als "extrem demütigend". In einigen
       norddeutschen JVAs prüft man derzeit, ob man den Gefangenen nicht ihren
       Schlüsselbund bei der Einlieferung einfach lassen soll: "Die können in
       ihrer Zelle ja doch nichts damit anfangen", so der Leiter eines neuen
       Bremer Reformgefängnisses für geringfügig Bestrafte - aus vorwiegend
       Akademikerkreisen, bei denen jedoch in Freiheit das Schlüsselbundklimpern
       weit weniger verbreitet ist als in den "nicht so verkopften
       Bevölkerungsschichten", wie die Zeitschrift der Schweizer Schlüsseldienste
       Keynotes dazu kritisch anmerkte. Dort gibt es im Übrigen einen
       "Keymail"-Service - für verlorene Schlüsselbunde. Auf ihrer Internetseite
       behauptet das Unternehmen, täglich 30 Schlüsselbunde allein in der Schweiz
       an ihre Besitzer zurückzuschicken.
       
       Wenn ansonsten heute im Internet von "Schlüsselbund-Problemen" die Rede
       ist, sind damit fast immer Datei-Zugangsschwierigkeiten (Keychain-Problems)
       bei Apple gemeint - fast so, als hätte sich die männliche Klimpermacke da
       hinein verlagert.
       
       12 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
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