# taz.de -- Kulturelle Strategien des Erinnerns: Räume für Schmerz und Verlust
       
       > Auf Einladung der American Academy diskutierten Publizisten und
       > Wissenschaftler in Berlin über die verschiedenen Strategien des Erinnerns
       > in den USA und Deutschland.
       
 (IMG) Bild: Kein passives Mahnmal: Holocaust Gedenkstätte in Berlin.
       
       BERLIN taz | "Memorial Mania" hat die amerikanische Wissenschaftlerin Erika
       Doss ihre Analyse des Mahn- und Gedenkstättenbooms der letzten Dekade in
       den USA genannt. Sie erinnert damit daran, das allein 400 Bauwerke dieser
       Art in ihrem Land an den Terroranschlag vom 11. 9. 2001 erinnern.
       
       Denselben Titel wählte auch die Berliner American Academy, um zusammen mit
       dem Haus der Kulturen der Welt am letzten Wochenende ein Symposion zu
       veranstalten, das die Erinnerungskulturen in den USA und in Deutschland
       untersuchen und so weit wie möglich vergleichen sollte.
       
       Bei den Teilnehmern der drei Foren bewies die Academy eine glückliche Hand.
       Sie versammelte Denkmalexperten, Künstler, engagierte Bürger, interessierte
       Wissenschaftler, Journalisten und Schriftsteller.
       
       Diese Mischung verhinderte, dass sich die Tagung in einer öden Fachsimpelei
       verlor. Wozu auch die Interventionen aus dem Publikum beitrugen, das sich -
       was selten genug geschieht - hinreichend äußern konnte. Um das Ergebnis
       vorwegzunehmen: Der Vergleich beider Erinnerungskulturen führte nicht sehr
       weit, wohingegen die Untersuchung der je spezifischen ästhetischen
       politischen und kulturellen Formen des Erinnerns spannende Ergebnisse
       zutage förderte.
       
       ## Denkmäler verurteilen zu Passivität
       
       Gibt es überhaupt eine gedankliche Verbindung zwischen der deutschen
       Denkmalarchitektur der neuesten Zeit und ihrem amerikanischen Pendant? Für
       Professor James Young aus den USA, der sowohl an der Jury beim Wettbewerb
       für das Holocaustmahnmal in Berlin als auch am Auswahlgremium für das World
       Trade Center Memorial teilnahm, ist die Antwort ein klares Ja.
       
       Young ist Protagonist der Gegendenkmalkultur, die sich gegen die
       traditionelle Denkmalform richtet. Nach Youngs Meinung wird der Besucher in
       dieser Tradition zu Passivität verurteilt. Er muss sich den Anforderungen
       kollektiver Geltungsansprüche beugen.
       
       Nach Young gilt es, die didaktischen Formen des Mahnmals hinter sich zu
       lassen, Raum zu geben für den Verlust, für den Schmerz, für das
       unwiederbringliche Verschwinden.
       
       Hier sieht Young Querverbindungen zwischen deutschen Künstlern wie Jochen
       Gerz und amerikanischen Künstlern wie Maja Lins, die das Vietnam Veterans
       Memorial in Washington schuf - und eben Michael Arad und Peter Walker, den
       Autoren des Werks "Reflecting Absence", des World-Trade-Center-Mahnmals.
       Die deutschen Kunstgeschichtler Dieter Daniels und Stefanie Endlich
       arbeiteten heraus, wie wichtig für das Gelingen des zeitgenössischen
       Denkmals die Teilnahme des Publikums in all den Phasen seiner Entstehung
       sei.
       
       Für Dieter Daniels bietet das projektierte Einheits- und Freiheitsdenkmal
       in Leipzig die günstigsten Voraussetzungen, weil es hier bereits eine
       Tradition der Feier - ausgehend vom Tag der ersten großen Demo, dem 9.
       Oktober 1989 - etabliert ist und die Bürger Zivilcourage als wichtigste
       Lehre der demokratischen Revolution ansehen.
       
       ## Zahllose zivile Initiativen für Mahnmale
       
       Stefanie Endlich betonte die ausschlaggebende Rolle der Aktivität "von
       unten" bei der Erinnerungsarbeit, weshalb sie sich auch gegenüber dem
       Begriff "Mania" reserviert zeigte. Sie verwies auf die zahllosen zivilen
       Initiativen für Mahnmale. Auch der Architekturkritiker Nikolaus Bernau hob
       nichtstaatliche Initiativen wie die "Stolpersteine" hervor. Ihm kommt es
       darauf an, dass die Opfer aus der Anonymität heraustreten und, wo immer
       möglich, ihre Individualität sichtbar wird.
       
       Wie aber das Positive zeigen, wie es die politischen Initiatoren des
       Einheits- und Freiheitsdenkmals einfordern, und was ist das überhaupt: "das
       Positive"? Der Schriftsteller Peter Schneider beklagte die deutsche
       Tendenz, die "gute Tat" von Menschen bei uns nicht zu ehren. Was allerdings
       den Protest jener hervorrief, die sich jahrelang für das Denkmal zu Ehren
       des Hitler-Attentäters Georg Elsner eingesetzt haben.
       
       Einen Schritt weiter ging Karl Schlögel mit seiner Verteidigung des
       Heroischen und der figurativen Form seiner Darstellung. "Für mich", so
       Schlögel, "sind die sowjetischen Kämpfer in Stalingrad weiterhin Helden."
       
       Aber hat das "Heldische" heute eine adäquate künstlerische figurative
       Ausdrucksmöglichkeit? Young verwies auf so grauenhafte Ergebnisse in den
       USA wie das unter George W. Bush errichtete Zweite-Weltkrieg-Denkmal. Die
       Zeit eines die ganze Nation umspannenden kollektiven Bewusstseins ist nach
       Young vorbei, und der US-Regierung wird es nicht gelingen, an vergangene
       Gestalten des Heroischen anzuknüpfen.
       
       Nach wie vor, so das Fazit der Tagung, sind die Unterschiede zwischen der
       US-amerikanischen und der deutschen Erinnerungskultur stärker ausgeprägt
       als die Gemeinsamkeiten.
       
       In Deutschland überwiegt bei den Gedächtnisstätten das Gefühl des Verlusts.
       In den USA sind Linderung des Schmerzes und Tröstung Bestandteil der
       Memorialkultur; Haine oder Wasserfälle sollen dabei hilfreich sein. In den
       USA stehen die Angehörigen im Mittelpunkt, und die Memorials senden vor
       allem eine emotionale Botschaft aus. In Deutschland steht das Diskursive,
       stehen Nachdenklichkeit und Selbstkritik im Mittelpunkt - noch.
       
       12 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Semler
       
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