# taz.de -- Queer-Größe Michael Unger wird 65: Früher im Fummel, heute ein Bär
       
       > Michael Unger ist ein prominentes Gesicht der Ostberliner
       > Schwulenbewegung. Jetzt, mit 65, geht der langjährige Geschäftsführer des
       > Sonntag-Clubs in Rente.
       
 (IMG) Bild: Nichts gefallen lassen, immer im Einsatz für die Regenbogen-Sache.
       
       Erstaunlich erholt und frisch sieht das Denkmal aus - dabei wird es nun
       schon 65 Jahre alt. Die Rede ist von Michael Unger, Urgestein und Chronist
       der Ostberliner Schwulen- und Lesbenbewegung. Braun gebrannt vom letzten
       Urlaub sitzt er in seiner Stammkneipe, die zugleich sein Arbeitsplatz war:
       der Sonntags-Club, Greifenhagener Ecke Erich-Weinert-Straße, Prenzlauer
       Berg. Lange Jahre war er Geschäftsführer dieses Leuchtturms der queeren
       Szene Ost, morgen wird er in allen Ehren entlassen - mit einer großen
       Geburtstags- und Verabschiedungsparty. Michael Unger, Protagonist der
       ostdeutschen Schwulenbewegung, geht in die verdiente Rente.
       
       Draußen vor der Tür paradieren die nunmehr notorischen Mütter von
       Prenzlauer Berg, wir schreiben das Jahr 2011. Gibt es eigentlich noch eine
       Ostberliner Schwulenszene? "Nein, das hat sich alles vermischt", sagt
       Unger. "Es gibt viele Zuzügler, Touristen. Die Läden unterscheiden sich
       nicht mehr von denen im Westen - und die ganz jungen Schwulen gehen heute
       auch in normale Clubs. Sie sind nicht mehr so auf Schutzräume angewiesen.
       Da geht mir immer das Herz auf, wenn ich sie so in ihrer Unbekümmertheit
       und Leichtigkeit sehe". So wie die jungen Männer auch trägt Michael Unger
       einen Schal um den Hals geknotet - ein seufzendes "Früher war alles besser"
       wird man von ihm nicht hören. Stattdessen sagt er: "Man muss sich immer
       verändern. Ich habe alles durch, in den Siebzigerjahren war ich im Fummel,
       in den Achtzigern hatte ich eine Jackett-und-Krawatten-Phase, später dann
       Latzhosen und so weiter. Und jetzt bin ich in der Bären-Szene." Unger
       schaut auf seinen kleinen Kugelbauch. "Ich kann mich über sexuellen
       Zuspruch nicht beklagen, es gibt immer jemanden, der auf einen Braunbären
       wie mich steht!" Und jetzt kommt es, das legendäre Lachen des Michael
       Unger: laut, schrill, ansteckend.
       
       Ein Lachen, das immer auch eine Kampfansage war. Ein "Russenkind" war
       Michael Unger, uneheliches Kind eines sowjetischen Soldaten, in den
       Nachkriegsjahrend verhöhnt, verspottet und verachtet. Mit 17 Jahren dann
       das Coming-out im hinterwäldlerischen Erzgebirge der Sechzigerjahre -
       Homosexualität war in der DDR bis in das Jahr 1968 strafbar, "aber den Sex,
       den habe ich im Wald gelernt, mit Bauernburschen aus der Nachbarschaft".
       
       Die erste Schwulenbar entdeckte er durch Zufall in der Berliner
       Friedrichstraße: "Kalte Biere für warme Gäste" trötete der Kellner, "und
       ich war doch in NVA-Uniform. Die G.-Bar stand zudem auf der Liste jener
       Lokalitäten, in die man als Soldat nicht gehen durfte. Hätte ich auch
       gleich auf die Idee kommen können, dass lauter Homobars auf dieser Liste
       stehen. Dort habe ich dann auch noch einen Dänen kennengelernt, jemanden
       aus einem Nato-Staat! Alle Todsünden auf einmal." Regeln und Bevormundungen
       nicht allzu ernst zu nehmen, das hatten Michael Unger schon seine Eltern
       gelehrt. "Ich hatte so einen Lehrer, der war ein glühender Nazi und wurde
       nach dem Krieg ein hundertprozentiger Genosse - mein Adoptivvater hat mir
       klargemacht, dass ich mir von solchen Leuten gar nichts gefallen lassen
       muss".
       
       Nichts gefallen lassen. In den Siebzigern machte Unger bei der HIB mit, der
       "Homosexuellen Interessengemeinschaft Berlin. Bürgerrechtsgruppe zur
       Erreichung der Emanzipation für Lesben, Schwule und Trans in der DDR",
       gemeinsam mit Charlotte von Mahlsdorf, in deren legendärer Kellerbar
       diskutiert und organisiert wurde. "Wir hatten genug davon, uns zu
       verstecken. Zogen uns schrill an und waren auch auf der Straße
       unübersehbar". Unger hatte keine Lust, eine jener tragischen Existenzen zu
       werden, wie man sie aus dem Film "Die Konsequenz" von Wolfgang Petersen
       (1977) kannte, "es gab ja damals genug Schwule, die total defätistisch
       waren. Es gibt keine Liebe unter Männern … Ich hatte in meinem Leben drei
       langjährige Partnerschaften."
       
       Der sperrige Klarname des Kürzels HIB deutet an, mit wem es die Bewegung zu
       tun hatte: mit einem bürokratisch-autoritären, pädagogischen Staatswesen,
       Kürzel DDR. Entsprechend war die Staatssicherheit von Anfang an mit im
       Boot, sie bereitete dem Treiben der HIB Ende der Siebziger ein Ende. Aber
       die Aktivisten machten weiter. Man traf sich einmal die Woche an
       verschiedenen Orten, zum Beispiel dem Jugendclub Veteranenstraße - immer
       wieder sonntags, daher der Name "Sonntags-Club". Seine Stasiakte hat
       Michael Unger erst angefordert, als er eine Ausstellung für das Schwule
       Museum erarbeitete. Es ging um die Geschichte der Ostberliner
       Schwulenbewegung, und da er ein Teil davon war, konnte er sich nicht mehr
       drücken: "Das war schon sehr verletzend, zu sehen, wer da Geschichten vom
       eigenen Sofa weitergetragen hat. Manchen konnte ich verzeihen, sie wurden
       erpresst, Knast oder Mitarbeit - wer wäre da schon ein Held?"
       
       Nicht im Zorn zurückschauen, vielmehr mit Liebe. Michael Unger bietet
       regelmäßig Stadtführungen durch den historischen Schwulenkiez zwischen
       Schönhauser Alle und Eberswalder Straße an. Im Original erhalten ist nur
       noch die "Schoppenstube". "Du liebe Güte, da sind wir früher immer durchs
       Küchenfenster rein, weil vorne lange Schlangen waren." Schräg gegenüber
       wurde auf einem Parkplatz "gecruised", zum Teil nutzte man die
       Treppenhäuser als provisorischen Darkroom. "Als Schwuler muss man ja viel
       laufen", erklärt Unger lachend. Café Schönhauser, Burgfrieden, die Klappe
       im Park an der Erich-Weinert-Straße - "irgendwer saß dann ja auf der Bank
       und wartete". Schöner ficken in der Großstadt? "Ehrlich gesagt, meine
       Gefühle haben mir da oft im Weg gestanden. Diese knallharte Trennung
       zwischen Sex und Liebe, das hat mir oft Schwierigkeiten bereitet. Ich
       musste das erst lernen - aber diese Praxis stammt ja noch aus der
       Unterdrückungszeit. Die Jungen heute, die sprechen viel über Monogamie und
       die romantische Liebe."
       
       Der Kampf der zweiten deutschen Schwulenbewegung, er war immer auch der
       einer Selbstabschaffung - die Jungen, sie sollten es in Zukunft besser
       haben, frei sein. Für Michael Unger kam die Freiheit zunächst im Jahr 1989.
       "Mit meinem Begrüßungsgeld bin ich erst mal am Wittenbergplatz essen
       gegangen, Lachs und Radicchiosalat, so was kannten wir ja gar nicht. Und
       die Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung haben wir in einer schwulen
       Hotelanlage auf Ibiza angeschaut und mit Sekt angestoßen. Das war so ein
       tolles Gefühl, endlich frei." Von einer zu reformierenden DDR hatte er nur
       kurz geträumt - und verlor seine Arbeit beim Rundfunk und Fernsehen in
       Adlershof, als dieser abgewickelt wurde. "Den MDR, den findet meine Mutter
       gut. Und das sagt doch wohl alles", sagt er und lacht den totalen
       beruflichen Absturz einfach weg. "Damals sind ja dann viele PR-Berater
       geworden oder Versicherungsvertreter, aber ich wurde gefragt, ob ich für
       den Sonntags-Club arbeiten wolle". Er wurde hauptberuflich bewegt, half
       mit, den Berliner CSD zu der Großveranstaltung zu machen, die er heute ist.
       Organisierte mit der ILGA die erste internationale Queer-Konferenz in
       Berlin - die Stadt war nun offen für die Welt und Unger mittendrin.
       
       ## Alt? Erst mit Mitte 50!
       
       Noch immer leitet Michael Unger die Gruppe "Zweite Halbzeit" für ältere
       Schwule. "Die hieß früher mal "40+", aber Schwule fühlen sich heute erst
       Mitte 50 alt. Müssen sie übrigens gar nicht. Einer aus der Gruppe ist jetzt
       78 und hat eine Affäre! Man darf sich nicht aus Angst vor Zurückweisung zu
       Hause verkriechen. Wenn man selbstbewusst an der Bar steht, offen ist, dann
       kommen die Leute doch alleine auf einen zu" sagt er zwinkernd. Ein Kind von
       Traurigkeit ist Unger nicht.
       
       Im Jahr 2008 bereits hatte ihm der Berliner CSD den "Preis für
       Zivilcourage" verliehen - wohl verdient für jemanden, der den "aufrechten
       Gang" schon lange vor dem Jahr 1989 gelernt hatte. Er nahm und nimmt den
       Preis jedoch nicht als Grabplatte für ein Lebenswerk. Er will weiter dem
       Sonntags-Club verbunden bleiben, vielleicht wieder ein Buch schreiben. Und
       natürlich reisen: Malaga, Gran Canaria und Marokko stehen auf der
       abzuurlaubenden Liste.
       
       16 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Reichert
 (DIR) Martin Reichert
       
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 (DIR) Denkmal
       
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