# taz.de -- Liebeshändel unterwegs: Die Liebe in Zeiten pauschaler Reisen
> Die Russinnen kommen! Und führen schwarze Listen über glutäugige
> Beznesser.
(IMG) Bild: Romantik unter Palmen? Die Beziehungen mit einem Hotelportier, einem Tuareg oder Kellner enden oft mit Enttäuschung.
Auf dem Höhepunkt ihrer Blüte hat die russische Revolution viele Blumen
hervorgebracht, vor allem viele blumige Sprüche: dass alle Arbeiter Brüder
sind, Solidarität der höchste Wert ist, dass unser Schicksal in unseren
Händen liegt, es unsere Pflicht ist, uns selbst zu ändern, und dass die
Liebe allein die Welt rettet, sobald sie von den Zwängen der
kapitalistischen Gesellschaft befreit wird. Es wurde nicht so sehr an den
Kopf, sondern mehr ans Herz der Genossen appelliert. Heute scheint es, als
wären unsere Gefühle eine vergängliche Requisite.
Als würde jedem von uns ein bestimmtes Maß an Solidarität und Liebe gewährt
und manchmal reicht der Vorrat nicht für das ganze Leben. Die Liebe ist mit
dem Sozialismus perdu gegangen, sie ist nur noch selten im Leben und in der
Folklore zu finden, die Sehnsucht nach ihr ist umso größer geworden. Aus
irgendeinem Grund können die Menschen einander nicht mehr leiden. Sie
fahren ins Ausland, in der Hoffnung, dort vielleicht die Liebe zu treffen.
Die russischen Frauen fahren bevorzugt nach Ägypten, Tunesien und in die
Türkei, sie lernen dort tatsächlich heiße Jungs kennen und werden
regelmäßig in ihren Erwartungen enttäuscht. Im Internet kursieren
zahlreiche Berichte von betrogenen Russinnen über ihre misslungenen
Liebesaffären mit Männern. Für jedes Land wurde im Netz eine sogenannte
Erkennungstafel angelegt, ein schwarzes Brett, auf dem die ägyptischen,
türkischen, tunesischen und marokkanischen Liebhaber mit Foto, Namen und
Arbeitsplatzadresse ausgestellt werden. Die dazugehörigen Geschichten lesen
sich wie ein endloser herzzerbrechender Frauenroman. Der Grund, die eigene
Geschichte niederzuschreiben, ist gut nachvollziehbar: um die anderen
Frauen vor den Typen zu warnen. "Haltet euch von ihm fern, Schwestern", so
endet fast jede zweite Geschichte. Doch hinter dem vernünftigen Grund
versteckt sich eine unvernünftige, eigene Enttäuschung: Luft abzulassen
über den Mangel an Liebe auf der Welt.
Die Männer, um die es geht, lassen sich, grob gesagt, in zwei Kategorien
einteilen. Die meisten sind Gigolos, sie haben es auf das Geld der Frauen
abgesehen. Sie arbeiten als Reiseführer, Barkeeper, Tanzlehrer oder, noch
schlimmer, als Hotelunterhalter. Sie lernen Frauen "professionell" kennen,
nach einer Methodik, die in jedem Buch übers Kennenlernen beschrieben wird.
Sie dosieren das Interesse und die Gleichgültigkeit so lange miteinander,
bis sie die Frau völlig desorientieren. Zuerst tun sie demonstrativ kalt,
dann wollen sie sofort gemäß dem heimischen Brauch heiraten. Die Frau
schmilzt dahin, der Gigolo klärt sie über sein Problem auf.
Zwar sind es verschiedene Jungs, doch alle scheinen die gleichen Probleme
zu haben. Entweder ist der Vater todkrank und braucht dringend eine teure
Niere, oder der Bruder hatte einen Autounfall und muss zahlen, oder ein
Geschäft läuft krumm, auf jeden Fall wird Geld gebraucht. Die Frau muss für
ihre Liebe zahlen. In der Regel beglücken die Gigolos drei bis vier Frauen
gleichzeitig.
Die andere Kategorie sind Kavaliere, die nicht in erster Linie an Geld
interessiert sind, sondern mit möglichst vielen Frauen vögeln wollen. Sie
sehen in jedem Massentouristenhotel einen möglichen Harem. Diese Männer
verstehen es sehr gut, einer Frau den Kopf zu verdrehen, sie werden
allerdings als unglaublich narzisstisch beschrieben, erkundigen sich
fünfmal am Tag, ob sie auch wirklich gut im Bett sind.
Die Russinnen mögen leichtgläubig sein, blöd sind sie nicht. Früher oder
später finden sie heraus, dass ihr Liebster nicht nur bei ihnen
übernachtet, sie kontaktieren einander, hängen das Foto des Mannes auf das
schwarze Brett im Internet, es ist schon vorgekommen, dass Frauen, die auf
den gleichen Leim gegangen sind, darüber anschließend zu besten Freundinnen
werden. Trotzdem beschreiben die Frauen ihre misslungenen Liebschaften
nicht bösartig. Es fallen Wörter wie "sehr sympathisch", "ein toller
Tänzer", "großartiger Schauspieler", "geschmackvoll, humorvoll,
bescheiden", als wären sie den Männern eigentlich gar nicht böse.
In Ägypten ist unter den Einheimischen der Aberglaube stark verbreitet,
alle Russen sind wegen ihres ausufernden Alkoholkonsums impotent, deswegen
würden sich die russischen Frauen so auf ihren Urlaub an fremden Gestaden
mit fremden Männern freuen. Russische Männer sind aber überhaupt nicht
impotent, ganz im Gegenteil. Sie sind bloß misstrauisch und zynisch
geworden. Deswegen fliegen sie gerne im Urlaub nach Thailand.
Für Thailand brauchen die Russen kein Visum, und die Preise sind sogar
niedriger als zu Hause, kein Wunder, dass Phuket und besonders Pattaya
schon so gut wie russifiziert sind. Es erscheinen dort russischsprachige
Zeitungen, es werden russischsprachige Transvestitenshows angeboten, und es
gibt sogar eine russische Fabrik zur Produktion von Quark und Sahne.
Die Russen nennen Thailand mit Stolz ihre erste ausländische Kolonie. In
Wirklichkeit ist das eine starke Übertreibung, es sind gerade mal zwei
Städte teilkolonialisiert. Bei jeder Reise ist die Transvestitenshow mit im
Preis inbegriffen, die Russen gehen mit Neugier dorthin, wer weiß, wo sich
die Liebe versteckt.
Die meisten Shows gehen 24 Stunden nonstop, wobei die Zuschauer nur einmal
Eintritt zahlen müssen. Das Programm besteht aus einer Reihe von Nummern,
die sich wie im Zirkus abwechseln, mal kommen die Gymnastiker, dann die
Jongleure, später die Clowns und die Athleten. Der einzige Unterschied zum
üblichen Zirkus besteht darin, dass in der thailändischen Manege stets
gevögelt wird. Wenn die Zuschauer merken, dass sie die Nummer schon gesehen
haben, heißt es, sie haben die Show durch. Nun stehen sie vor der Wahl, den
Zirkus zu verlassen oder weiter sitzen zu bleiben und sich auf ein zweites
Mal zu freuen. Und weil die Russen nicht gerne aufstehen, bleiben sie in
der Regel sitzen. Sie ziehen sich die Show mehrmals hintereinander rein.
Die Jungs trommeln entschlossen mit ihren männlichen Gliedern, sie spielen
auf dem Klavier damit und sogar Billard. Nackte Mädchen springen vom Trapez
direkt in die erste Reihe, freiwilligen Zuschauern werden die Augen
verbunden, sie sollen die Artisten abtasten und raten, ob ein Mann oder
eine Frau oder beides bei ihnen auf dem Schoß sitzt. Ein Magier zaubert
sich die Geschlechtsteile weg und findet sie bei einem Zuschauer zwischen
den Beinen wieder. Ein Mädchen schießt in der Dunkelheit leuchtende
Pingpong-Bälle aus ihrem Hintern ins Publikum, sie werden mit Begeisterung
aufgefangen. Jungs können eine große Flasche Coca-Cola mit ihren Penissen
heben. Das ist im Großen und Ganzen alles.
Früher, erzählen die Alteingesessenen, haben sie noch mit der Vagina auf
der Bühne Zigaretten geraucht. Jetzt habe aber die Antiraucher-Kampagne
Thailand erreicht und die Nummer wurde aus dem Programm genommen.
Am meisten amüsieren sich bei diesen Shows die Chinesen, die Inder und die
Pakistaner. Die Russen kommen oft mit ihren Frauen in die Show, sehen
nachdenklich ernst aus, schauen sich alles genau an, applaudieren selten
und wenn, dann nur bei eindeutiger Hetero-Erotik.
Ohne Liebe zu leben ist schwierig, aber mein Gott! Es geht trotzdem weiter,
und nichts währt ewig auf Erden. Ob sie die Shows zu Hause dann
nachzumachen versuchen, weiß ich allerdings nicht.
17 Dec 2011
## AUTOREN
(DIR) Wladimir Kaminer
## ARTIKEL ZUM THEMA