# taz.de -- Delikatessen: Last exit: Hummer
       
       > Das Schalentier ist Massenware - zumindest in Neuschottland. Und für die
       > Fischer eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten, seitdem die
       > Kabeljaubestände kollabiert sind.
       
 (IMG) Bild: David Hoskin, der Hummerhändler, hält das Prachtstück hoch.
       
       Dave Hoskin kriegt den Prachtkerl gerade so zu fassen. Mit Mühe zieht er
       ihn aus dem Becken mit 2 Grad kaltem Salzwasser, denn er wehrt sich. Dann
       hält der Händler das Wesen mit dem rotbraunen Panzer in die Höhe. Die
       Scheren des Krustentiers haben in etwa die Ausmaße von Daves Kopf.
       
       "Dieser Hummer ist 25 Jahre alt, wiegt 7 Kilo und ist unverkäuflich." Ein
       paar Blitze, und die beiden Kunden im Verkaufsraum von Ryer Lobsters Ltd.
       in Indian Harbour haben zumindest den Snapshot vom Riesenkrebs sicher.
       
       Seit 2007 vertreiben die Hoskins als Groß- und Einzelhändler Hummer. Sie
       sind Gewinner einer Fischereikrise, in der Hummer boomt. Gleich hinter dem
       Verkaufsgebäude sind die Kaimauern des Dorfhafens. Frischer als hier
       bekommt man das Schalentier nicht, aber frisch ist beim Hummer so eine
       Sache. Denn er wird lebendig in den Kochtopf geworfen - fast überall.
       
       Hummer ist eine hochpreisige Delikatesse. Das ist ein Allgemeinplatz und
       stimmt - bedingt. Denn während in anderen Teilen der Welt für einen meist
       vorgeknackten Hummer in Restaurants horrende Preise anfallen, ist das Tier
       im Osten Kanadas Massenware. Schon am Flughafen von Halifax führt kein Weg
       am Hummer vorbei. Im Gang neben der Haupthalle hat die große Seafood-Kette
       Clearwater ein zwei mal drei Meter großes Becken installiert.
       
       Gedrängt im Wasser liegen Dutzende der Schalentiere, lebendig und mit
       gefesselten Scheren, ansonsten würden sie sich kannibalisieren. "12 Dollar
       kostet der hier", sagt der Verkäufer und nimmt das gekochte Exemplar wieder
       von der Waage. Der Preis für das Pfund: 9,89 kanadische Dollar, gut 7 Euro.
       Das ebenfalls angebotene treu-traurig dreinblickende Hummerstofftier als
       Mitbringsel ist mit umgerechnet 13 Euro dagegen teurer.
       
       1992 verhängte Kanada ein Fischereimoratorium. Der Grund: der Kollaps der
       Kabeljaupopulationen - maßgeblich wegen Überfischung und des ungeheuren
       Fischhungers der Robben. Rund 40.000 Fischer verloren ihren Job. "Die
       Stimmung war aggressiv damals", sagt Bettina Saier von der
       Naturschutzorganisation WWF in Halifax. Was damals noch nicht abzusehen
       war, war die Potenzierung des Hummers: "Seit dem Einbruch des Kabeljaus
       sind die Bestände von Hummer, Shrimps und Schneekrabben an der kanadischen
       Atlantikküste explodiert." Was folgte, war der Boom der
       Krustentiervermarktung.
       
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       Die Auswüchse des Hummerreichtums sind teilweise absurd. Fluggäste können
       lebendigen Hummer in Transportboxen erwerben. Clearwater wirbt mit dem
       Slogan aus der Perspektive des Meeresbewohners: "Heading home? Mind if I
       tag along?" (Gehts nach Hause? Was dagegen, wenn ich mitkomme?).
       
       Nach dem letzten Lebensabschnitt im Handgepäckfach einer Boeing gleiten die
       Tiere dann zum letzten Geleit, das sie selbst miterleben: ins kochende
       Wasser auf dem heimischen Herd.
       
       Auf den fliegenden Gourmet hat sich auch Hoskins eingestellt. "Fünf Stunden
       überlebt ein Hummer an der Luft", sagt der Geschäftsmann. "Wenn Sie ihn in
       nasses Zeitungspapier wickeln, sogar 48 Stunden." Die Verpackungen liegen
       auf einem Regal hinter ihm bereit - für die Transkontinentalkundschaft.
       
       "Bis ins 19. Jahrhundert hinein galt Hummer als Armeleuteessen und Fraß für
       Zuchthäusler", schreibt der US-amerikanische Autor und Literaturprofessor
       David Foster Wallace in seinem subversiven Essay "Am Beispiel des Hummers"
       über ein großes Hummerfestival im US-Staat Maine. "Den Verzehr von Hummer
       (vergleichbar mit dem von Ratten) hielt man schlicht für menschenunwürdig."
       In solchem Überfluss gab es das Scherentier an den neuenglischen Küsten,
       dass man die zuhauf angeschwemmten Exemplare zermahlte und als Dünger
       unterpflügte.
       
       Diesem landwirtschaftlichen Zweck wird der Hummer heute nicht mehr
       zugeführt. Als zeitgeistliches Äquivalent aber kann die Entdeckung und
       Verarbeitung durch die Fast-Food-Industrie gelten. "Its McLobster season",
       wirbt McDonalds in seinen Restaurants in Halifax und anderen Städten. Für 7
       Dollar und 12 Cent inklusive Tax bekommt der geneigte Kunde ein weiches
       Sandwich mit mehr oder minder geschreddertem Fleisch aus Dosen in einer
       transparenten Plastikverpackung aufs Tablett geworfen.
       
       Die Verköstigung, abgesehen davon, dass einem die Arbeit des Panzerknackens
       erspart bleibt, erinnert nur entfernt an delikates Speisen. Ähnlich dürfte
       die Erfahrung beim Konkurrenten Subway ausfallen, der mit dem Slogan
       "Lobster is back! … catch one before theyre gone" (Hummer-Sandwich ist
       zurück! … fang dir einen, bevor er wieder weg ist) um Pseudofeinschmecker
       buhlt.
       
       ## Der letzte Pfiff
       
       Das Leid des Hummers indes ist nicht abschließend erwiesen. So manchen
       Pfiff eines sterbenden Hummers hat auch Dave Hoskin schon gehört. "Die
       Leute sagen immer, dieses Pfeifen sei der Todesschrei des Hummers. In
       Wirklichkeit entweicht nur laut zischend die Luft, wenn er in den heißen
       Topf kommt", ist er überzeugt.
       
       Eine Studie der Uni Halifax habe belegt, dass die dick bepanzerten Tiere
       keinerlei Schmerzempfinden hätten. Anderer Ansicht sind die Tierrechtler
       von Peta, die eine Studie mit gegenteiliger Aussage anführen und auf ihrer
       Website Fans bekehren wollen - etwa mit einem Rezept "veganer Hummer",
       Hauptbestandteil Seitan.
       
       Männer wie Donald Manuel schütteln angesichts solcher Diskussionen nur den
       Kopf. Seine Sorge: "Man sollte die Robben jagen dürfen in Neuschottland,
       sie fressen uns noch den restlichen Fisch weg." Für den ehemaligen Fischer
       im Dorf Peggys Cove, ebenfalls an der neuschottischen Südküste gelegen,
       sind die hundeartigen Schwimmtalente der Quell des Übels. "Sogar am Hummer
       vergreifen sie sich", schimpft der 81-Jährige. "Und nur den fangen die
       Fischer hier noch."
       
       Manch einer bietet Hummertouren an. Denn die eigentlichen Schwärme, die
       hier in Massen vorkommen, sind die Reisebusse. Unterhalb des
       Leuchtturm-Originals entlassen sie ihre Insassen, die sofort die
       pittoresken Felsen wie Mohnsamen einen Donat besprenkeln, um die
       Naturgewalt des anbrandenden Atlantiks zu spüren.
       
       Laut einem Artikel des Magazins Nature erholen sich die Kabeljaubestände
       vor der kanadischen Ostküste wieder. Doch bis auf Weiteres bietet der
       Hummer den lokalen Fischern in Peggys Cove und anderswo den letzten Ausweg.
       Die Tagesgäste auf den geschliffenen Felsrücken bekommen davon nichts mit.
       
       24 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Robert Weissenborn
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Reiseland Kanada
       
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