# taz.de -- Debatte Zukunft der Bildung: Vom Server lernen
       
       > Der geplante "Trojaner" der Schulbuchverlage beweist, dass die
       > Bildungskartelle wenig verstanden haben. Denn die Zukunft liegt nicht im
       > Buch, sondern in der Cloud.
       
 (IMG) Bild: Unterricht ohne Schulbuch? Die Angst der Verlagsbranche ist groß.
       
       Seit Neuestem steht ein trojanisches Pferd vor deutschen Schulen herum. Es
       ist kein Holzpferd wie einst vor den Toren Trojas, sondern ein
       Computerprogramm, eine Software.
       
       Erfinder dieses Schultrojaners sind die Schulbuchverlage. Sie haben
       gemerkt, dass die deutschen Lehrer sich ihren Unterricht nicht nur aus
       Büchern zusammenkopieren, sondern auch per "copy and paste" aus digitalen
       Lehrwerken. Die Verlage wollen Geld für solche Kopien.
       
       Manche behaupten von dem Schultrojaner, dass er in Rechnern verbotene
       Kopien von Schulbüchern ausfindig machen und gewissermaßen zählen solle.
       Und sonst nichts. Allerdings kann das trojanische Pferd der Verlage viel
       mehr als wir denken. Niemand weiß, welche kleinen datenfressenden Soldaten
       es in seinem Bauch trägt.
       
       ## "Vollkommen ungefährlich!"
       
       Die Lehrerverbände denken nun, sie hätten das Pferd verscheucht. Kein
       Troja. Keine fremden Spione in Mailprogrammen, PC-Tagebüchern oder
       getarnten Ordnern von Lehrern und Schulen. [1][Was sich die organisierten
       Lehrer vorstellen, ist naiv.] Sie meinen, ihr empörter Ruf "Lehrer sind
       keine Raubkopierer!" habe die Akteure zivilisiert. Unsinn. An dem
       Schultrojaner wird selbstverständlich weitergebaut.
       
       Der Trojaner, genauer die Plagiatssoftware der Verleger, wird wohl erst
       2013 auf Rechnern in deutschen Schulen installiert. Aber die Verzögerung
       hat nichts mit den Muskeln der Lehrerverbände zu tun. Es hängt an der
       Komplexität der Sache. Was die Plagiatssoftware ganz genau untersucht und
       herausleitet, das wissen nur ein paar Nerds. Die Schulbuchverleger selbst
       wissen es jedenfalls nicht. "Eine sehr komplexe Angelegenheit", so raunen
       sie und versichern: "Es ist vollkommen ungefährlich!"
       
       Diese Haltung ist ein starkes Stück. Nicht wissen, was gespielt wird - aber
       behaupten, es sei ungefährlich. Niemand könnte sich so etwas erlauben - nur
       die beiden Kartelle von Kultusministern und Schulbuchverlegern. Die
       Kultusminister ermächtigen private Unternehmer, eine Kontrollsoftware zu
       schreiben, die sich gegen Lehrer öffentlicher Schulen richtet. George
       Orwell ist ein Kobold, der uns ausspäht und sich obendrein über uns lustig
       machen will.
       
       Beim Schultrojaner geht es aber um viel mehr als um ein paar unbezahlte
       Kopien. Auf der Tagesordnung steht (erstens) ein immer noch lukrativer
       Schulbuchmarkt und (zweitens) die Zukunft des Lernens.
       
       Zum Ersten: Wie alle Verlage, die Bücher nach Gutenbergscher Art drucken,
       hat auch die Schulbuchbranche Angst vor der Zukunft. Wie lange kann das
       Buch in Zeiten von Internet und E-Book überleben? Nur die Schulbuchbranche
       hat als einzige Zugriff auf den Staat. Also versucht sie, ihr Quasimonopol
       zu konservieren.
       
       Zweitens geht mit dem Schulbuch auch das Leitmedium der alten Schule
       verloren. Die ganze Lehrplanschule fußt auf dem Satz: Wir schlagen Seite 37
       auf, alle! Die Schule ist um diesen Satz herum gebaut: ein Lehrer, der
       durch kanonisches Buchwissen navigiert; einer, der vorne steht und den Sinn
       des Ganzen vermittelt - leider oft auch ziemlich viel Unsinn.
       
       ## Endlich liquides Lernen
       
       Die Schule von morgen aber wird eine andere sein. Sie setzt nicht mehr auf
       frontale Wissensverklappung. Es wird nicht mehr monopolisiert, sondern in
       Teams nach besten Lösungen gesucht. Jeder Einzelne muss so kreativ sein,
       wie es nur geht - und er muss dabei mit anderen kooperieren. Kurz:
       Lernen1.0 ist frontal, autoritativ sinngebend und starr. Lernen2.0 ist
       dezentral, kollaborativ sinnstiftend und fluid. Liquid, wie die Piraten so
       gern sagen.
       
       Das Buch als zentrale Basiseinheit unseres Wissens, es löst sich auf in die
       Cloud, es verflüssigt sich in Häppchen, Bits, Tröpfchen von Wissen. Wir
       stehen vor einem digitalen Klimawandel, wie der Web2.0-Denker Martin
       Lindner jüngst in der taz schrieb. Und wie beim richtigen Klimawandel
       stemmen sich auch bei diesem die alten Mächte gegen die Wirklichkeit. Sie
       krallen sich am Buch fest, die einen, weil es noch Geld abwirft (Verleger),
       die anderen, weil sie das Fundament ihrer alten Lernvorstellung ist
       (Kultusminister).
       
       Um zu verstehen, wie absurd das alles ist, muss man nochmals einen Moment
       zum Schultrojaner zurück: Um das Buch zu schützen, errichten die Verleger
       nun eine riesige Datenbank, in der ein digitaler Zugriff auf alle
       Schulbücher besteht. Das ist der Vergleichspool, den die Plagiatssoftware
       im Kopf hat, wenn sie durch Schulrechner wuselt und nach verbotenen Kopien
       sucht.
       
       Der Bau dieser gigantischen virtuellen Schulbibliothek aller
       Schulbuchverlage enthält zugleich eine ironische Wendung: Er zeigt uns die
       Zukunft. Denn das Wissen ist dann ja nicht mehr wie in einer Ecoschen
       Geheimbibliothek von Mönchen bewacht, nein, es befindet sich auf einem
       Server. Es steht anschlussfähig in einer Clowd bereit. Wenn Angriffspläne
       der US-Armee geknackt werden können, wieso sollte ausgerechnet der Schatz
       der Schulbuchverlage sicher sein? Ein Education-Hacker oder, am besten, ein
       findiger Achtklässler könnte ihn anbohren - und den Plagiatswurm in die
       andere Richtung fressen lassen.
       
       ## Steinbruch des Wissens
       
       Aus dieser Perspektive betrachtet ist der virtuelle Bücherturm keine
       Datenbank mehr, sondern die Grundlage offen zugänglicher Lernmaterialien,
       "open educational resources". Sie dienen nicht mehr als Metternichscher
       Zensurkanon, um andere zu bestrafen. Sondern aus ihr wird: ein Steinbruch
       des Wissens. Aus ihm teilen die Verleger nicht mehr vorformatierte Wissens-
       und Kontextpakete namens Buch zu. Nein, die Lehrer, letztlich alle
       Lernenden schürfen dort Schäufelchen des Wissens, das sie in neuem Kontext
       der Welt zur Verfügung stellen wollen.
       
       Dieser Turm des Wissens ließe sich nicht nur anders anzapfen, sondern auch
       anders befüllen. In ihm stellen Lehrer anderen Lehrer aufbereitete
       Lernbausteine zu Verfügung: Aufgabensammlungen, Wochenpläne, Projektideen.
       Aber sie täten das eben nicht mehr auf Papier, sondern online.
       
       Das ist die Zukunft des Lernens: Baut nicht den Schultrojaner, sondern eine
       Plattform, die als offener Wissensspeicher dient - für das Lernen von
       morgen.
       
       27 Dec 2011
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Bildungslobbyist-ueber-Schultrojaner/!83631/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Füller
       
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       Die Plagiatssoftware wird unkontrolliert Buchkopien, Mails und Notenspiegel
       ausspähen. Sie wird die Privatheit der Schulen zerstören und ihre Freiheit.
       Bit für Bit.
       
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