# taz.de -- Wegen zu intensiver Betreuung: Sozialer Einsatz mit Knast bestraft
       
       > Pflegerin hat Demente intensiver betreut als vorgesehen. Nach einem
       > Lohnstreit soll sie nun ins Gefängnis.
       
 (IMG) Bild: Lieber allein stehenlassen? Wohl kaum.
       
       Angelika-Maria Konietzko hat schon ihre kleine Tasche gepackt, in der
       wichtige Utensilien verstaut sind. Denn sie muss im kommenden Jahr ins
       Gefängnis. Der Haftbefehl ist schon ausgefertigt. Konietzko soll in
       Erzwingungshaft, die bis zu sechs Monate andauern kann, weil sie einen
       Offenbarungseid verweigert, aber auch nicht bereit ist, die Kosten eines
       Rechtsstreit von über 2.200 Euro zu tragen. Sie sind bei einem Streit vor
       dem Arbeitsgerichts entstanden, der sich um die Bezahlung ihrer Tätigkeit
       als Nachtwachenbereitschaft in einer WG für Demenzkranke drehte.
       
       Sie habe bei der Nachtschicht nur zehn Stunden vergütet bekommen, obwohl
       ihr eigentlich als Nachtwache elf Stunden zustünden, ist Konletzko
       überzeugt. "Die BewohnerInnen der Seniorenwohngemeinschaft waren schwerst
       pflegebedürftig. Sie haben eine Überwachung und Pflege rund um die Uhr
       benötigt", betont die 43-jährige. Sie habe laufend Kontrollgänge machen
       müssen und daher keine Pausen gehabt.
       
       Der Pflegedienst Hauskrankenpflege widerspricht dieser Darstellung. "Die
       Senioren befanden sich in Wohngemeinschaften und nicht in einem Heim oder
       einer medizinischen Einrichtung, wo eine Pflege der Senioren rund um die
       Uhr notwendig ist." Das Arbeitsgericht gab dem Pflegedienst in mehreren
       Instanzen recht und verwies auf den Arbeitsvertrag, in dem eine pauschale
       Vergütung des Nachtbereitschaftsdienstes festgelegt ist. Zudem sei in der
       Stellenausschreibung eine Arbeitsleistung von zirka drei Stunden und ein
       Bereitschaftsdienst von acht Stunden pro Nacht festgelegt. Dabei ließ das
       Gericht offen, ob Konietzko tatsächlich elf Stunden gearbeitet hat. "Es ist
       nicht Aufgabe des Arbeitnehmers, Pflegestandards selbst festzulegen", heißt
       es im Urteil.
       
       Dieser Satz empört die Klägerin besonders. "Hätte ich die Pflegearbeiten
       nicht gemacht, hätte ich meine Arbeit enorm vernachlässigt und unter
       Umständen sogar wegen fahrlässiger Tötung angeklagt werden können",
       behauptet sie. So habe zu ihren Tätigkeiten das Absaugen der Mundhöhle bei
       den demenzkranken PatientInnen gehört, da sonst die Gefahr bestanden hätte,
       dass diese im Schlaf ersticken.
       
       Diese Auffassung wird von verschiedenen Organisationen bestätigt. Thomas
       Birk vom Verein Selbstbestimmtes Wohnen im Alter erklärt, dass in
       Demenz-Wohngemeinschaft eine durchgängige 24-Stunden-Betreuung notwendig
       sei. "Das bedeutet für die Nachtstunden eine Nachtwache und keine
       -bereitschaft." Auch Gabriele Tammen Parr von Pflege in Not bekräftigt,
       dass ein nächtlicher Bereitschaftsdienst in einer Demenz-WG nicht nur
       völlig unzureichend ist, sondern auch grob fahrlässig sein kann. Diese
       Stellungnahmen sind vom Arbeitsgericht nicht berücksichtigt worden.
       
       Ihre Weigerung, den Offenbarungseid zu leisten, sieht Konletzko als Akt des
       Widerstands. "Dabei geht es mir nicht in erster Linie um Lohnforderungen.
       Ich will auf die Zustände im Pflegebereich aufmerksam machen." Mittlerweile
       hat sie von einer Kollegin Unterstützung bekommen: Brigitte Heinisch, die
       2005 vom Pflegekonzern Vivantes gekündigt wurde, weil sie Missstände im
       Pflegebereich gemeldet hatte, will ihren ehemaligen Solidaritätskreis für
       sie aktivieren. Heinisch hat nicht nur den Whistleblowerpreis, sondern auch
       eine Entschädigung erhalten, weil die in Deutschland von sämtlichen
       Instanzen bestätigte Kündigung vom Europäischen Gerichtshof für
       Menschenrechte aufgehoben wurde.
       
       Auch Konietzko hat schon was erreicht: Der Pflegedienst Mitte hat für seine
       Demenz-WG nun Nachtwachen statt Bereitschaftsdienste eingeführt. Gegenüber
       der taz war er zu keiner Stellungnahme im Fall seiner Exmitarbeiterin
       bereit.
       
       29 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Nowak
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA