# taz.de -- Patent 0745254 und das Ehepaar Bednarski: Die teure Lizenz des Philips-Konzerns
> Rund 8.000 Euro Anwaltskosten, 220 zerstörte DVDs und ein Jahr Schikanen.
> Wie der Philips-Konzern die Existenz eines Händlerpaars zerstörte.
(IMG) Bild: Zweimal die falsche DVD verkauft: Einmal ausgerechnet an einen Philips-Prüfer.
BERLIN taz | Pigasus, die "Polish Poster Gallery" in der Berliner Torstraße
62, ist eine Ausgliederung des Clubs der polnischen Versager. Der Laden in
Berlin-Mitte gehört Joanna und Mariusz Bednarski, die dort seit 2003
polnische Plakate, Musik-CDs und DVDs von klassischen Filmen aus dem
Ostblock verkaufen. 2010 schickte ihnen der Hauseigentümer eine
Mieterhöhungsforderung: Statt sechs Euro sollten sie zukünftig 25 Euro pro
Quadratmeter zahlen.
Das war schon schlimm, aber kurze Zeit später, im November 2010, kam es
noch dicker: Da bekamen sie eine Abmahnung vom holländischen Elektrokonzern
Philips. Der hatte in ihrem Laden zehn russische Filme des Brüssler
DVD-Verlags Russian Cinema Council (RussCiCo) gekauft – und dabei eine DVD
erworben, die angeblich ohne Lizenzgebühr für ein Philips-Patent gepresst
worden war.
Dafür verlangte die vom Konzern beauftragte Anwaltskanzlei 1.700 Euro,
außerdem sollte das Ehepaar Bednarski eine Unterlassungserklärung
unterschreiben und alle im Laden und zu Hause liegenden DVDs – etwa 750 –
herausgeben und zur Vernichtung freigeben. Diese Filme stammten von allen
möglichen Vertrieben, Verlagen und Presswerken.
Das Ehepaar schrieb dem Philips-Anwalt in Hamburg, dass sie seit 2003 nur
zwei DVDs (mit dem sowjetischen Film "Die kleine Vera"), bei denen
angeblich keine Lizenzgebühr vom Presswerk bezahlt worden war, verkauft
hätten: eine an privat und die andere eben an den Philips-Konzern. Außerdem
hätten sie alle anderen Filmtitel von RussCiCo zurückgeschickt, damit sie
überprüft werden können.
Einen Tag vor Weihnachten 2010 erschien dessen ungeachtet ein
Gerichtsvollzieher mit einem Lastwagen und fünf Arbeitern. Er hatte eine
einstweilige Verfügung vom Landgericht Hamburg dabei und nahm alle 703 DVDs
im Laden mit.
Bei der Gerichtsverhandlung in Hamburg am 31. 3. 2011 machten die
Philips-Anwälte dann einen Vergleichsvorschlag: Das Ehepaar Bednarski
sollte 6.004 Euro zahlen, alle Rechnungen, Speditionsbriefe und
Lieferscheine herausrücken, alle beschlagnahmten DVDs zur Vernichtung
freigeben und keine weiteren Schritte gegen Philips unternehmen. Im Übrigen
behauptete der Konzern vor Gericht, "dass er täglich große Verluste erleide
wegen unserer illegalen Aktivitäten", berichtet Joanna Bednarska.
## Philips schweigt
"Wir waren mit dem Vergleich nicht einverstanden - und ich habe daraufhin
recherchiert, wer bei der Herstellung unserer DVDs eventuell ein
Philips-Patent verletzt hat." Auf der Internetseite von Philips fand sie
eine Liste von DVD-Presswerken, die von Philips lizensiert wurden.
Diese Firmen erstellen für jede einzelne Pressung ein sogenanntes
LSCD-Dokument. "Als wir die Presswerke um diese Dokumente baten, sagten
sie, das müssten die Verlage bei ihnen anfordern, und sie würden das an
Philips weiterleiten. Das haben wir auch in die Wege geleitet. Aber bis
heute haben wir von Philips nichts bekommen - sie seien dazu nicht
verpflichtet, teilten sie uns mit."
Dafür bekamen die Bednarskis jedoch von drei Presswerken, die etwa 95
Prozent ihrer DVDs hergestellt hatten, eine Bestätigung, dass sie die
Lizenzgebühr für die Pressung ihrer DVDs bezahlt hätten. Über die
restlichen DVDs informierte sie der Verlag, von dem sie stammten, in
jeweils welchem Presswerk sie hergestellt worden waren. Diese Werke gab es
jedoch nicht mehr.
Die gesammelten Unterlagen schickten die Bednarskis an den Philips-Konzern,
"damit sie nicht unsere ganzen DVDs vernichten, die legal hergestellt
wurden". Sich gegen Philips zur Wehr setzen konnten sie nicht, da der
Streitwert auf 100.000 Euro festgelegt worden war, was für die Bednarskis
mehrere Zehntausend Euro Anwalts- und Gerichtskosten hätte bedeuten können:
"So viel Geld haben wir nicht. Unser Jahreseinkommen beläuft sich nur auf
etwa 10.000 Euro."
## 5.000 Euro Strafe als Vergleichsangebot
Im Juni 2011 kamen einige Philips-Leute nach Berlin und prüften die
beschlagnahmten 707 DVDs. 46 behielten sie ein, "die anderen bekämen wir
wieder zurück, sagten sie, wenn wir 5.000 Euro Strafe zahlen, die
Unterlassungserklärung unterschreiben und unserer Auskunftspflicht
nachkommen würden. Im Weigerungsfall drohten sie uns ein Strafverfahren und
Zwangsvollstreckung an."
"Also haben wir den ,Vergleich' unterschrieben und sie um Ratenzahlung
gebeten. Danach haben wir die restlichen 660 DVDs abgeholt - und dabei
festgestellt, dass die Prüfer von Philips etwa 220 kaputt gemacht hatten,
sie waren damit unverkäuflich geworden."
Zu den einbehaltenen 46 DVDs teilte Philips dem Ehepaar Bednarski mit, dass
sie zwar in einem von ihnen lizensierten Presswerk hergestellt wurden,
diese Lizenz sei aber im September 2010 ausgelaufen. "Wir hatten die DVDS
aber bereits 2009 gekauft. Dazu schrieb uns Philips: Da das Presswerk ihnen
noch Lizenzgebühr schulde, seien auch die DVDs, die ,vor diesem Zeitpunkt
ohne Lizenz' gepresst wurden, illegal."
Zusammengefasst: Man hat bei Pigasus eine verdächtige DVD gefunden – und
dafür mussten die Ladenbesitzer insgesamt 8.000 Euro an Anwalts- und
Gerichtskosten zahlen, außerdem konnten sie sieben Monate keine DVD
verkaufen. Wegen der bei der Prüfung zerstörten 220 DVDs reduzierte Philips
zuletzt seine Anwaltskosten in Höhe von 5.000 Euro auf 1.000 Euro – diese
Summe müssen die Bednarskis nun in Raten abbezahlen. Bei dem ganzen
Verfahren handelt es sich um eine Verletzung des europäischen Patents EP
0745 254. Dieses sogenannte EFM-Patent betrifft die "Kanalmodulation des
Datenstroms von optischen Datenträgern", konkret geht es dabei um einen
Algorithmus.
## Landgericht warnt vor 250.000 Euro Strafe
Ob der in der Software des Presswerks gegen Zahlung einer Lizenzgebühr zur
Anwendung kam, darüber klärt bei jeder Pressung einer DVD das oben genannte
LSCD-Dokument auf: "Diese Unterlage bräuchten wir, um zu wissen, womit wir
überhaupt handeln, es ist aber weder von Philips noch von den Presswerken,
noch von den DVD-Verlagen beziehungsweise -Vertriebsfirmen zu bekommen."
Das Hamburger Landgericht, bereits berühmt-berüchtigt für seine restriktive
Einstellung zu "Diebstahl von geistigem Eigentum", hatte sie gewarnt: Wenn
sie noch einmal eine illegal gepresste DVD verkaufen würden, dann müssten
sie bis zu 250.000 Euro Strafe zahlen oder bis zu zwei Jahre ins Gefängnis
gehen.
Jetzt versteht man vielleicht, warum sich weltweit Millionen Menschen dafür
einsetzen, dass solche oder ähnliche Algorithmen Allgemeinbesitz werden.
Bei der Internetallmende Wikipedia heißt es dazu: "Algorithmen für Computer
sind heute so vielfältig wie die Anwendungen, die sie ermöglichen sollen.
Vom elektronischen Steuergerät für den Einsatz in Kraftfahrzeugen über die
Rechtschreib- und Satzbaukontrolle in einer Textverarbeitung bis hin zur
Analyse von Aktienmärkten finden sich Tausende von mehr oder minder
tauglich arbeitenden Algorithmen."
Und weiter: "Als Ideen und Grundsätze, die einem Computerprogramm zugrunde
liegen, wird Algorithmen in der Regel urheberrechtlicher Schutz versagt. Je
nach nationaler Ausgestaltung der Immaterialgüterrechte sind Algorithmen
der Informatik jedoch dem Patentschutz zugänglich, sodass urheberrechtlich
freie individuelle Werke, als Ergebnis eigener geistiger Schöpfung,
wirtschaftlich trotzdem nicht immer frei verwertet werden können."
## Nicht an die Presse gehen, warnt der Anwalt
Dies war beziehungsweise ist der Fall beim Philips-Algorithmus. Das letzte
Wort dazu soll deswegen das dadurch schwer geschädigte und gedemütigte
Ehepaar Bednarski haben: "Unser Anwalt riet uns, diese Geschichte nicht an
die Presse zu geben. Philips könnte das als eine neuerliche
Geschäftsschädigung begreifen – und dann würde das richtig teuer werden."
Ein Sprecher der Piratenpartei Berlin, um eine Stellungnahme gebeten,
meinte: Der springende Punkt an der Geschichte sei der, dass der
Philips-Konzern nur die eine DVD hätte einkassieren dürfen, bei der sich
nach seinem Testkauf von zehn DVDs der Verdacht erhärtet hatte, dass sie
ohne Lizenzgebühr für ein Philips-Patent gepresst wurde.
"Die Philips-Anwälte haben da mit gerichtlicher Hilfe eine Art
DVD-Sippenhaft praktiziert. Das ist so, als würde man bei einem Buchladen,
der ahnungslos einen Raubdruck verkauft, gleich alle Bücher konfiszieren."
Die Betreiber der Postergalerie Pigasus hätten auf der anderen Seite den
Vergleich nicht unterschreiben dürfen.
Das Ehepaar Bednarski hat inzwischen eine Klage beim Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht: Da sie nicht genug Geld haben,
hätten sie keine Chance auf ein unabhängiges Gerichtsverfahren gehabt.
Zudem fühlten sie sich als polnische Händler, die russische Filme
verkaufen, diskriminiert – immer wieder bekamen sie zu hören: "Ja, wenn Sie
mit der russischen Mafia zusammenarbeiten … Kein Wunder."
30 Dec 2011
## AUTOREN
(DIR) Helmut Höge
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