# taz.de -- Österreich bei der Vierschanzentournee: Unangefochtener Marktführer
       
       > Die Österreicher dominieren beim Skispringen nach Belieben. Im
       > Mittelpunkt des Erfolgs steht ein tragfähifges Netzwerk und die
       > Konzentration auf sich selbst.
       
 (IMG) Bild: Austrias Nationalcoach Alexander Pointner lässt nicht nur die Körper, sondern auch das Gehirn seiner Athleten trainieren.
       
       INNSBRUCK taz | Diese Österreicher. Sie müssen ein großes Geheimnis haben.
       Mindestens Wunderskier, aber bestimmt auch noch Wunderanzüge, Wunderhelme
       und Wunderschuhe. Wie sonst ist es möglich, dass sie seit Jahren die
       Skisprungwelt dominieren? Seit 2005 haben Österreichs Springer alle
       Mannschaftstitel bei Weltmeisterschaften und Olympischen Winterspielen
       gewonnen.
       
       Sie haben Einzelolympiasieger und Weltmeister hervorgebracht, dazu die
       Sieger der vergangenen drei Vierschanzentourneen: Wolfgang Loitzl, Andreas
       Kofler, Thomas Morgenstern. Jetzt schickt sich Gregor Schlierenzauer an,
       der vierte im Bunde zu werden. Zwei Einzelsiege hat er schon vorzuweisen,
       sogar die Wiederholung von Sven Hannawalds legendärem Vierfachsieg aus der
       Saison 2001/2002 scheint möglich.
       
       Österreich ist unangefochtener Marktführer. Und wie reagiert die
       Konkurrenz? Sie versucht sich das Know-how des Spitzenreiters anzueignen
       und Wissensträger abzuwerben. So trainiert der Österreicher Werner Schuster
       den deutschen Nationalkader, Alexander Stöckl übernahm vor dieser Saison
       das Ruder in Norwegen, und Richard Schallert versucht sein Glück als
       Trainer in Russland.
       
       Als Auszeichnung für "unsere Trainerkultur" wertet Ernst Vettori,
       zuständiger Direktor im Österreichischen Skiverband ÖSV, diese Personalien.
       Schuster und Stöckl haben vor ihrem Wechsel ins Ausland als Jugendtrainer
       beim ÖSV gearbeitet. Schuster betreute damals einen gewissen Gregor
       Schlierenzauer.
       
       ## Lassen sich Begabungen herbeitrainieren?
       
       Und genau das ist der entscheidende Punkt: Trainer kann man an andere Orte
       transferieren und dort arbeiten lassen, aber lassen sich Begabungen
       herbeitrainieren? Schlierenzauer und Morgenstern sind außergewöhnliche
       Talente. In so einem Team, das tagtäglich Spitzenleistungen bringt, kann
       auch jemand wie Wolfgang Loitzl, dessen Karriere schon als
       durchschnittlicher Springer zu enden schien, zum Vierschanzentourneesieger
       werden.
       
       In Deutschland hat Werner Schuster bislang kein Wunderkind gefunden.
       Österreich hat eine kompakte und zentralistische Struktur, wenn es um das
       Skispringen geht. So etwas in dem kleinen Land durchzusetzen ist nicht
       allzu schwer, die Zahl der Athleten, Trainer und Stützpunkte ist
       überschaubar. "Es wird jetzt noch vernetzter gearbeitet", hat Cheftrainer
       Alexander Pointner zum Tourneestart betont. Stöckl und Schuster tun sich da
       schwerer.
       
       Norwegen ist eine Nation, in der das Skispringen eine riesige Tradition
       hat. Es gibt enorm viele aktive Athleten und Schanzen. Wer soll da den
       Überblick behalten? Der bislang letzte norwegische Tourneesieger, Anders
       Jacobsen, wurde zufällig bei einem Wald-und-Wiesen-Springen entdeckt. Und
       in Deutschland haben sich Zentren herausgebildet, die nicht selten eher
       rivalisieren als kooperieren: Erzgebirge, Thüringer Wald, Schwarzwald,
       Bayerischer Wald, Allgäu und so weiter.
       
       Die Österreicher haben es bislang geschafft, der Konkurrenz meist einen
       Schritt voraus zu sein. Pointner ist ein Typ, der über den Schanzentisch
       hinausblickt und lernfähig bleibt. Dass in der Einzelsportart Skispringen
       auch eine negative Gruppendynamik entstehen kann, hat er in der Tournee
       2007/2008 gelernt: Sowohl Schlierenzauer als auch Morgenstern waren als
       hochdekorierte Favoriten nach Oberstdorf angereist.
       
       ## Neurocoaching
       
       "Aber sie standen sich damals so sehr im Weg, dass Janne Ahonen der
       lachende Dritte war." Der Finne gewann die Tournee. Nun sagt Pointner:
       "Diese Erfahrung war wichtig und hat den Grundstein für die drei folgenden
       Gesamtsiege gelegt." Sie wissen nun: Wenn ihre Rivalität überhandnimmt,
       hemmt das, und die Konkurrenz profitiert.
       
       Aus dieser Erkenntnis resultiert wohl auch der Satz, den alle
       österreichischen Spitzenspringer vor Wettbewerben häufig verwenden: "Ich
       muss bei mir bleiben", sagen sie gern. Das heißt: Konzentration auf sich
       selbst. Pointner lässt nicht nur die Körper der Athleten trainieren,
       sondern auch deren Gehirn. Neurocoaching heißt die Methode, die auf den
       Deutschen Ulrich Conrady zurückgeht.
       
       An der Schanze, so weiß Pointner, "kämpft jeder mit den gleichen Mitteln".
       Aber das mentale Training ist für ihn "eine neue Tür, die wir aufgemacht
       haben". Nach vier Jahren Arbeit sei gerade einmal die Hälfte des Potenzials
       ausgeschöpft. Also braucht es anscheinend gar keine Wunderskier oder
       Wunderanzüge. Die Spielräume beim Material sind durch das Reglement ohnehin
       eng geworden.
       
       Die in den vergangenen Jahren einzig nennenswerte und erfolgreiche
       technische Innovation kam ja auch nicht von den Österreichern, sondern vom
       Schweizer Simon Ammann, dem es gelang, mit seiner neuartigen Bindung den
       favorisierten Kollegen aus dem Nachbarland beide olympische Einzeltitel
       2010 in Vancouver streitig zu machen. Sie haben sich damals mächtig
       geärgert. Jetzt haben sie den Spieß wieder herumgedreht.
       
       3 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kathrin Zeilmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Skispringen
       
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