# taz.de -- die wahrheit: Das Radaumaul
       
       > Die Resozialisierung von Heiner Geißler vom Oberfiesling der CDU zum
       > Überschlichter der Nation nimmt immer absurdere Züge an...
       
       ... Seine historische Rolle als rhetorischer Wadenbeißer in Diensten des
       Kanzlers Helmut Kohl scheint fast vergessen. Nicht nur haben die
       Globalisierungskritiker von Attac dem 82-Jährigen Asyl gewährt; nicht nur
       darf er in Talkshows den Charakterkopf geben und in Stuttgart die Wutbürger
       sedieren - nein, nun traut man ihm auch noch zu, als Juror über das "Unwort
       des Jahres" zu entscheiden. Ausgerechnet er, der einstige Demagoge, der
       1983 im Bundestag den Pazifismus der dreißiger Jahre für Auschwitz
       verantwortlich machte und der jüngst im Bahnhofskonflikt von Stuttgart
       fragte: "Wollt ihr den totalen Krieg?".
       
       Die "Aktion Unwort des Jahres" hat nämlich beschlossen, dass jährlich
       wechselnd immer auch eine Person "aus dem Bereich des öffentlichen Kultur-
       und Medienbetriebes", vulgo TV-Promi, mitentscheiden darf. Der soll die
       Jury, die aus vier Sprachwissenschaftlern und einem Journalisten besteht,
       ergänzen. Und in diese Kategorie fällt Heiner Geißler als
       Medienbetriebsnudel ja auf jeden Fall. Die Promigeilheit allein wäre noch
       zu verschmerzen. Doch ist Geißler nun wirklich der Falsche für die
       Unwortwähler, die von 1991 ("ausländerfrei") bis 2010 ("alternativlos")
       wacker ideologiegeladene Wortkreationen anprangerten. Was für ein Fehlgriff
       - hier noch mal Geißlers üble Provokation von 1983, dem Jahr des Protests
       gegen neue Atomraketen, in voller Länge: "Der Pazifismus der dreißiger
       Jahre, der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem
       unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur
       Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus der dreißiger Jahre hat
       Auschwitz erst möglich gemacht."
       
       Kein Wunder, dass damals Tumulte ausbrachen im Parlament. Der
       SPD-Abgeordnete Ernst Waltemathe, dessen pazifistische Verwandte in
       Auschwitz getötet wurden, wollte von Geißler wissen, ob die Opfer demnach
       an ihrer Vernichtung selbst schuld waren. "Ossietzky ist im KZ gestorben",
       rief der damalige grüne Abgeordnete Otto Schily, "und Sie wagen es, so
       etwas zu sagen!" Geißler versuchte sich später damit zu rechtfertigen, dass
       er nicht den Pazifismus des KZ-Häftlings Carl von Ossietzky gemeint habe,
       sondern pazifistische Strömungen in Frankreich und England, die eine
       "Appeasement-Politik" gegenüber dem NS-Regime ermöglicht hätten. Dies habe
       Hitler zu Krieg und Massenmord ermutigt.
       
       Doch auch Geißlers Selbstverteidigung geht auf infame Weise fehl, denn für
       Auschwitz waren Deutsche verantwortlich. Aber damit nicht genug, er hat
       seine Worte bis heute nicht zurückgenommen, das sei eine richtige
       Beurteilung gewesen, sagte Geißler noch 25 Jahre später, im Jahr 2008. Die
       Demokratie sei ihm wichtiger gewesen als "ein reiner Kirchhofsfrieden". Und
       sein Goebbels-Zitat vom "totalen Krieg" in der Stuttgarter Schlichtung hat
       er so gerechtfertigt: Es sei eine Zuspitzung gewesen. "Man muss gehört
       werden, sonst schlafen die Leute ein."
       
       Mal sehen, welches "Unwort des Jahres 2011" der Lautsprecher Heiner Geißler
       demnächst verkünden wird. Am 17. Januar ist es so weit.
       
       9 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philip Kahle
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA