# taz.de -- Autobiografie eines Kriegsreporters: "Arglos-achtlos und selbstzerstörerisch"
       
       > Lutz Kleveman war erfolgreicher Kriegsreporter. Bis er sich fragte, woher
       > sie eigentlich kommt, die Begeisterung für Krieg und Gewalt, die dem
       > allem zugrunde liegen musste.
       
 (IMG) Bild: Der Druchbruch gelang Klevemann mit Berichten aus Sierra Leone: Britische Truppen landen November 2000 in Freetown, um den Bürgerkrieg zu beenden. Sie brauchten 14 Monate.
       
       Auf einem idyllischen Landsitz zwischen Elbe und Weser fängt alles an: Lutz
       Kleveman soll mit 24 Jahren das Erbe seines Vaters antreten und das
       herrschaftliche Gut übernehmen. Doch anstatt sich der Familientradition zu
       beugen, geht er nach London, um sein Studium zu beenden. Zehn Jahre hat die
       Mutter ihm gegeben, dann rufen Moor und Pflicht. Kleveman nutzt die ihm
       gewährte Zeit: Was der rastlose junge Mann erlebt, genügt für mehrere
       Menschenleben.
       
       Journalist will er werden, und bald zieht er nach Budapest. Dank einem
       Zufall kann er für den Daily Telegraph arbeiten. Wie man sich als freier
       Berichterstatter durchschlägt, hat er schnell heraus. Mit einem klapprigen
       Citroën im Balkan unterwegs, jagt er dem Scoop hinterher. Der
       journalistische Durchbruch kommt 2001 in Sierra Leone. Unerschrocken, fast
       naiv dringt er oft als erster Reporter überhaupt ins Innerste
       lebensgefährlicher Konflikte vor.
       
       Was er, bald auch für deutsche Medien unterwegs, aus Afghanistan,
       Tschetschenien, Russland oder über die Favela-Drogengangs in Brasilien
       berichtet, ist so informativ und spannend, dass man die Lektüre kaum
       beiseite legen mag. Den trockenen Humor und die Selbstironie hat der Autor
       von den Engländern gelernt.
       
       Wie er etwa als vermeintlicher tschetschenischer Terrorist mit einem
       Untersuchungsbeamten des russischen Staatssicherheitsdienstes um die Wette
       säuft, um seine Haut zu retten, dann von dessen Frau bekocht und bebügelt
       wird, ist eine der vielen obskuren Geschichten, die Kleveman zu erzählen
       weiß.
       
       ## "Arglos-achtlos und selbstzerstörerisch"
       
       Bordelle, Alkohol und Drogen gehören zu seinem Alltag - das ist mitunter
       harter Lesestoff. "Arglos-achtlos und selbstzerstörerisch", wie er selbst
       sagt, gefährdet er sein eigenes Leben. "Ich war wie ein Schwamm, der sich
       vollsog mit den Reizen des Reporterdaseins … Irgendwann dachte ich, die
       Welt existiere nur für mein privates Vergnügen. Ob Not oder Krieg, für mich
       war das alles nur ein großes Spiel."
       
       Als sein erstes Buch über die Ölinteressen der Weltmächte am Kaspischen
       Meer herauskam, habe er unterdessen das verloren, was einen guten
       Journalisten ausmache: Neugier und Mitgefühl. Neben aller Selbstkritik
       schont Kleveman jedoch auch die deutsche Journaille nicht – viele seiner
       Kollegen betrachtet er als selbstgefällig, weltfremd und dilettantisch.
       
       ## Mehr sein wollen
       
       Parallel zu seinen Reportageberichten beschreibt Kleveman seine lange Reise
       mit der transsibirischen Eisenbahn 2008. Er ist auf den Spuren seines
       Großvaters, der sich während des Ersten Weltkrieges als russischer
       Kriegsgefangener auf dieser Route befand.
       
       Der Enkel notiert: "Hans-Heinrich und seine Brüder sind damals wie
       Deutschland an sich: Sie wollen mehr sein, als sie sind." Vom
       "militaristisch-nationalistischen Virus" befallen, wird der Großvater ein
       hoher Wehrmachtsoffizier, der aufs Gut heimgekehrt, über das Schicksal der
       umliegenden Höfe entscheidet und deren Söhne in den Krieg sendet.
       
       Die Folgen dieser Taten sind bis heute spürbar. Sein Großvater sei vom
       Krieg fasziniert gewesen, so Kleveman, und er erkennt auf seiner Reise zu
       sich selbst, dass auch er "kriegsgefangen" war. Er hatte sich lange als
       "Louis" der Engländer ausgegeben: Er hasste seine Identität als Deutscher.
       
       Im Laufe seiner Journalistenlaufbahn habe er sich aber immer häufiger
       gefragt, was er an diesen Orten von Zerstörung eigentlich suche? Kleveman
       bereiste rund hundert Länder in acht Jahren, um zu erkennen, dass er ein
       "Kriegsjunkie" geworden war, auf der Flucht vor sich selbst.
       
       Herausgekommen ist dabei ein mutiges und unterhaltsames Buch von großem
       Erkenntnisgewinn.
       
       Lutz Kleveman: "Kriegsgefangen. Meine deutsche Spurensuche". Siedler
       Verlag, München 2011, 480 Seiten, 22,99 Euro
       
       8 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexandra Senfft
       
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