# taz.de -- die wahrheit: Unter Schwermetallgalliern
       
       > Heavy Metal ist das kleine gallische Dorf, das sich standhaft der
       > römischen Okkupation widersetzt, die militante Provinz im Pop mithin.
       > Nicht umsonst gibt es ...
       
 (IMG) Bild: Früher musste man eine Piraten-Dau versenken, heute werden die Seeräuber einfach totgequatscht.
       
       Heavy Metal ist das kleine gallische Dorf, das sich standhaft der römischen
       Okkupation widersetzt, die militante Provinz im Pop mithin. Nicht umsonst
       gibt es in der Bundeshauptstadt keine Szene, die den Namen verdient. Man
       muss schon nach Dortmund, Essen, Oberhausen, Wolfsburg oder Braunschweig
       fahren, dahin also, wo die Neue Berliner Mitte herkommt, um jener sehr
       jungen Menschen, Kinder fast, ansichtig zu werden, die aussehen, als hätte
       man sie Anfang der Achtziger schockgefrostet und eben gerade aufgetaut, nur
       mal so zur Probe, um zu sehen, ob da noch Leben drin ist.
       
       Ist da noch Leben drin? In Braunschweig jüngst, als auf dem "Thrashfest
       classic" die alten Recken Mortal Sin, Heathen, Destruction, Sepultura und
       Exodus allen Anwesenden mal wieder so richtig die Flöhe aus dem Sack
       husteten, sah es fast danach aus. Jedenfalls am Anfang dieses langen
       Abends. Die mit erlesenen, aber unlesbaren Aufnähern getunten Kutten haben
       frisches Moos angesetzt. Die mit Clearasil gebeizten Kinne glänzen wie
       Speckseiten. Der Spliss der langen Loddeln knistert im dichten
       Zigarettenqualm. Ja, hier sind die Vitalfunktionen der Probanden so was von
       im Gange, man kann es förmlich riechen. Später jedoch, nach zwölf,
       schleichen die Zeitreisenden so zombiemau durchs Gebäude, als sehnten sie
       sich schon wieder nach ihrem kryonischen Kühlhaus, in dem sie dann die
       nächsten Jahrzehnte wegdämmern können - bis zum "Thrashfest vintage" 2040.
       
       Aber das ist natürlich alles gar nicht wahr und die Jungs und Mädchen sind
       einfach müde, weil sie heute morgen in Bio den Brenztraubensäurezyklus
       eingebimst bekommen haben und die Anfangsgründe der Infinitesimalrechnung,
       und vielleicht auch noch in den letzten vier Stunden eine Klausur über den
       boring ol fart Werther schreiben mussten. Das sind wirklich Teens des
       Jahrgangs Mitte neunzig hier, die sich den guten alten Thrash Metal
       draufschaffen, als wärs der heißeste Scheiß auf Gottes großer Festplatte.
       Sie müssen nicht mal die Sachen ihrer Alten auftragen, dafür ist das Moos
       einfach zu frisch.
       
       Ein geschätzt 18-jähriger Flaumbart mit Nickelbrille öffnet weltumspannend
       beide Arme beim Gang aus der Halle, um nach dreistündiger Dauerbeschallung
       zu Atem zu kommen, und bekundet lautstark: "Für mich ist heute
       Reichsparteitag." Als uns die zufällige Peristaltik der Masse irgendwann
       zusammenstehen lässt, erzählt er mir Geschichten von Bands, deren Karrieren
       bereits doppelt so lang dauern wie sein Leben, die er aber in einer
       Vollständigkeit herunterpsalmodieren kann, dass ich, gelb vor Neid, geneigt
       bin, ihm zu raten, die Nase mal lieber in die Schulbücher zu stecken.
       
       Keine Frage, der Metalhead prägt auch in der Provinz nicht gerade das
       Straßenbild, aber man drucke nur ein furchtbar fieses Motiv aufs Plakat,
       ein grinsendes Skelett mit blutigem Messer zum Beispiel, und schon kommen
       hunderte Gullyratten aus ihren Löchern, und für ein paar Stunden kann man
       sich der wunderschönen Illusion hingeben, Heavy Metal sei immer noch die
       absolut dominierende Jugendkultur. Beim Teutates!
       
       10 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Schäfer
       
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