# taz.de -- Vergangenheitsbewältigung in der Türkei: Putschisten vor Gericht
       
       > Zwei Juntamitgliedern, die für den militärischen Umsturz 1980
       > verantwortlich sind, soll jetzt der Prozess gemacht werden. Für eine
       > politische Katarsis ist das zu spät.
       
 (IMG) Bild: Kenan Evren (l.) und Premier Erdogan 2005 bei einer Gedenkveranstaltung für ein verstorbenes Junta-Mitglied.
       
       ISTANBUL taz | Gut 30 Jahre nach dem letzten blutigen Militärputsch im
       September 1980 in der Türkei müssen die Putschisten jetzt vor Gericht. Von
       den damals fünf Juntamitgliedern leben allerdings nur noch zwei: Juntachef
       Kenan Evren, 94 Jahre alt, und der damalige Chef der Luftwaffe, Tahsin
       Sahinkaya. Die Anklage war möglich geworden, nachdem durch eine
       Verfassungsänderung im Herbst 2010 die Immunität der Putschisten aufgehoben
       worden war. Seitdem bereiteten Staatsanwälte gegen Evren und Sahinkaya eine
       Anklage vor, die das Gericht für Schwere Straftaten in Ankara nun
       angenommen hat.
       
       Beide Putschisten sollen jeweils lebenslänglich ins Gefängnis. Angeklagt
       werden sie wegen der gewaltsamen Absetzung der Regierung und der
       gewaltsamen Auflösung des Parlaments. Die jetzige Anklage beinhaltet noch
       nicht die Verbrechen, die im Namen der Junta in den Jahren nach dem Putsch
       begangen wurden.
       
       Dabei hat dieser Putsch das gesamte Land über Jahre traumatisiert und wirkt
       bis heute nach. Mehr als 650.000 Menschen wurden inhaftiert, 517 zum Tode
       verurteilt und 50 von ihnen auch tatsächlich hingerichtet. Rund 300 weitere
       Gefangene starben darüber hinaus an Folter und Mißhandlungen in der Haft.
       
       Es ist ein historischer Schritt, dass Evren, der nach dem Putsch auch noch
       5 Jahre als Präsident eine zivile Regierung kontrollierte, und Sahinkaya
       jetzt angeklagt werden. Doch für eine politische Katharsis kommt der
       Prozess wahrscheinlich zu spät. Evren ist heute ein Greis, dessen
       Verhandlungsfähigkeit erst noch geprüft werden muss. Es ist ohnehin
       unwahrscheinlich, dass er, selbst wenn er verurteilt wird, noch ins
       Gefängnis müsste.
       
       Außerdem hat das politische Klima in der Türkei sich mittlerweile gedreht.
       Das Militär ist nicht mehr die allmächtige und unantastbare Institution,
       die es jahrzehntelang war.
       
       Trotzdem kann der Prozess eine sinnvolle Funktion erfüllen. Wenn er die
       damaligen Opfer rehabilitiert und wenn klar wird, welche gesellschaftlichen
       Gruppen, angefangen von wichtigen Unternehmern bis hin zu religiösen
       Führern, die Putschisten damals unterstützt haben.
       
       11 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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