# taz.de -- Debatte Generation 50 plus: Das teure lange Leben
       
       > Die Generation 50 plus erwartet im Ruhestand ein bescheidener Lebensstil.
       > Sind die Rentenreformen ein verstecktes Rentenkürzungsprogramm?
       
 (IMG) Bild: Konsumferner Lebensstil als Konsequenz der Rentenreform?
       
       Die Österreicher haben es konkret festgelegt: Eine "Schwerarbeiterpension"
       bekommen Männer, die während acht Stunden Arbeit 2.000 Kilokalorien
       verbrauchten, für Frauen gilt ein Mindestverbrauch von 1.400 Kilokalorien.
       Wer viele Jahre so hart malocht, hat in Österreich Anspruch auf eine
       frühere Pension.
       
       Über diese Frührente für "Schwerarbeiter", die auch auf
       Nachtschichtarbeiter und Pflegekräfte ausgedehnt wurde, gibt es seit Jahren
       Streit. Kürzlich musste sich sogar der Verfassungsgerichtshof in Wien mit
       dem Vorwurf beschäftigen, die Kriterien seien zu unklar. Der Gerichtshof
       kam dann zu dem Schluss, dass die Regelung verfassungskonform ist.
       
       Die Frage, wer unter welchen Bedingungen wie lange arbeiten kann,
       entwickelt sich auch in Deutschland zur brennenden Gerechtigkeitsfrage. Da
       ab diesem Jahr das Rentenalter schrittweise angehoben wird, drehen sich die
       Gespräche an vielen Abendbrottischen der Generation 55 plus um genau dieses
       Thema: Wie komme ich früher raus aus dem Job, ohne viel Geld zu verlieren?
       Wer sollte eher gehen dürfen, wer nicht?
       
       Einfach nur zurückzuwollen zu den alten frühen Renten, hilft hier nicht.
       Das zeigt schon der Streit über die Rentenabschläge. Fast die Hälfte der
       Neurentner geht mit dauerhaften Abschlägen in den Ruhestand. Die
       sogenannten Reformen seien daher ein reines Rentenkürzungsprogramm, rügen
       die Gewerkschaften. Doch das stimmt nicht, wenn man die steigende
       Ruhestandsdauer betrachtet.
       
       ## Dazu eine schematische Rechnung
       
       Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer beträgt heute 18 Jahre. Wer ein
       Jahr früher als der Durchschnitt in den Ruhestand wechselt, erhöht seine
       Bezugsdauer rechnerisch um ein Jahr. Bezogen auf die Dauer von 18 Jahren
       ist das ein Plus von 5,5 Prozent. Ein Jahr früher als der gesetzliche
       Rentenbeginn aus dem Job zu gehen, zieht aber nur einen Abschlag von 3,6
       Prozent am monatlichen Rentenbezug nach sich. Die monatlichen Abschläge
       sind zwar für die Betroffenen belastend, aber eine vorzeitige Rente wird
       damit rein statistisch nicht voll kompensiert.
       
       Mit allgemeiner Empörung über die monatlichen Rentenkürzungen kommt man
       also nicht weiter, auch wenn die Angst, mit dem gesetzlichen
       Einkommensniveau im Alter möglicherweise unterhalb der gewohnten
       Mittelschichtschwelle zu landen, erst mal verarbeitet werden muss.
       
       Den Generationen im Alter ab 50 Jahren dämmert allmählich, dass sie im
       Rentenalter womöglich genau den konsumfernen Lebensstil haben könnten, den
       sie früher als spießiges Rentnertum verachteten. Wandern, im Chor singen,
       irgendeinem Vereinsleben frönen: Solche Aktivitäten waren auch deswegen bei
       RentnerInnen schon immer beliebt, weil sie wenig kosten und trotzdem die
       Endorphine anregen.
       
       Die Gerechtigkeitsfrage bleibt dennoch offen, denn die sozialen Risse
       vertiefen sich mit der Rente mit 67. Die Berufe verschleißen
       unterschiedlich. Bei den Krankenschwestern und -pflegern geht jedeR Dritte
       vorzeitig in eine Erwerbsminderungsrente mit hohen Abschlägen, von den
       Ingenieuren im Maschinenbau scheidet hingegen nur jeder 20. solcherart
       vorzeitig aus. Wer ein höheres Einkommen hat, lebt außerdem im Durchschnitt
       zehn Jahre länger als ein Bürger, der zur Armutsrisikogruppe gehört, hat
       die Hans-Böckler-Stiftung mal zusammengefasst.
       
       ## Neue Kluften
       
       Der ehemals Gutverdienende, der vielleicht noch einen kreativen Job hatte,
       bezieht also nicht nur mehr monatliches Ruhegeld, sondern dieses auch noch
       erheblich länger als der frühere Lagerarbeiter, der schon nach kurzer
       Bezugsdauer seiner Kleinrente verstirbt. Da tun sich neue Kluften auf. Wer
       aber nun beispielsweise auf die Idee käme, Rentenbeiträge nach der
       statistischen Lebenserwartung zu bemessen, müsste auch von den Frauen
       höhere Abgaben verlangen. Sie leben im Schnitt länger als die Männer. Und
       sind gleichzeitig besonders von Altersarmut bedroht.
       
       Die Gerechtigkeitsfragen zur Rente sind heikel - weil sie nicht von den
       Personen und deren Körper und Psyche zu trennen sind. Stressverarbeitung
       etwa hängt immer auch von der Gesundheit und Persönlichkeit der
       Erwerbstätigen ab. Und der Verschleiß differiert nicht nur von Beruf zu
       Beruf, sondern auch von Betrieb zu Betrieb. Unfähige Vorgesetzte mit einem
       hohen Krankenstand erzeugen oftmals genau diesen Krankenstand wieder, wenn
       sie in einen anderen Betrieb wechseln, haben Studien ergeben.
       
       Angesichts der differenzierten Jobwelt ist es schwer, einen breiten Konsens
       zu schaffen zu den zwei wichtigsten Fragen: Wer soll früher in Rente gehen
       dürfen und wer soll gegebenenfalls einen steuerfinanzierten Ausgleich zur
       Kleinrente bekommen? Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU)
       wagte sich mit ihrem Konzept einer "Zuschussrente" schon überraschend weit
       vor.
       
       Danach sollen Mütter, die in Teilzeit jobbten und später keinen
       wohlhabenden Mann an der Seite haben, eine staatliche Aufstockung ihres
       gesetzlichen Altersruhegeldes erhalten. Schnell aber meldete sich Protest,
       weil damit Teilzeitjobberinnen mit Steuerzahlers Hilfe am Ende genauso viel
       Altersruhegeld bekämen wie ehemals Vollzeitbeschäftigte auf schlecht
       bezahlten Stellen.
       
       ## Garantierente à la Schweden
       
       Eine gleitende Aufstockung zur kleinen gesetzlichen Rente wie die
       "Garantierente" in Schweden wäre ein besseres Konzept. Mit dieser
       Aufstockung haben Niedrigverdiener am Ende umso mehr Einkommen, je länger
       und je mehr sie in die gesetzliche Rente zuvor einzahlten.
       
       In Schweden arbeiten zudem viele Ältere in einer Mischung aus Teilzeit und
       Teilrente. Damit öffnen sich zwei Lösungswege der Rentenproblematik auch in
       Deutschland: Kleinrenten werden gleitend aufgestockt; die über 60-Jährigen
       bekommen - eventuell unterstützt von gesundheitlichen Gutachten - mehr
       Möglichkeiten, ihre Arbeitszeit für ein paar Jahre drastisch zu reduzieren.
       
       Beides geht nicht ohne Zuschüsse aus Steuergeldern, was wiederum neue
       Verteilungsdebatten nach sich zieht. Diese spielen sich dann vor allem
       zwischen den oberen und unteren Mittelschichten ab. Und erfordern daher
       politischen Mut. Durch die Rente mit 67 sinken zwar die monatlichen Renten
       - doch der politische Handlungsdruck wächst.
       
       15 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
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