# taz.de -- Kolumne Blagen: Angewandte Angstpädagogik
       
       > Faschismusfernsehen, bei dem Millionen Menschen zusehen: Haben die
       > RTL-"Dschungelcamp"-Teilnehmer eigentlich Abitur?
       
       Es sind diese unguten Wortwechsel, die uns die letzten gemeinsamen Monate
       versauen. Die Situation ist bis auf minimale Abweichungen immer dieselbe.
       Die Einssechzigblondine liegt wie festgenagelt auf der Fernsehcouch, Laptop
       auf dem Bauch, Fernbedienung eng am Körper.
       
       Ich wiederum betrete als ihre werktätige Feierabendmutter das Wohnzimmer
       und stelle eine dieser unsinnigen Wie-war-dein-Tag-Fragen. Das genuschelte
       Wassollschongewesensein der Einssechzigblondine geht unter in dem Lärm, den
       irgendwelche Scripted-Reality-Tussis im RTL-Schreifernsehen veranstalten.
       
       Ist ja auch egal, was die Tochter antwortet, sie ist volljährig und kann,
       sooft und solange sie will, die gemeinsame Couch okkupieren und ihren
       Abiturprüfungen entgegendämmern. Danach aber, das weiß sie, ist Schluss. Da
       muss sie ausziehen, irgendwohin, wo ich nicht länger mitansehen muss, wie
       sie unter Privatfernsehbeschuss verkümmert.
       
       Bis es so weit ist, koche ich mir einen Abendtee, setze mich neben sie in
       den Sessel und denke laut darüber nach, was man alles Tolles mit einem
       Dreier-Abi anstellen kann. Zumal in Berlin. Auf keinen Fall nämlich möchte
       die Hochschulanwärterin die Hauptstadt verlassen - in anderen Städten
       scheint ihr das Freizeitangebot nicht adäquat.
       
       Ich hole meinen Laptop raus und suche bei [1][hochschulkompass.de] was
       Hübsches für sie raus. Aha. Dirigieren ist an der Universität der Künste
       NC-frei. Wer sagts denn? Auch der Bachelor als Harfenistin wird angeboten.
       Mathe gibts an der TU, aber das wäre ja Folter für mein kleines Matheass.
       
       Es interessiert sie eigentlich auch überhaupt nicht, dass ich direkt neben
       ihr versuche, sie mit ein bisschen Angstpädagogik dazu zu bewegen, doch
       noch für ihre Prüfungen zu lernen. Denn im Fernsehen läuft jetzt
       "Dschungelcamp". Gerade wird eine fast nackte Frau in ein dunkles, feuchtes
       Verlies gesperrt, mit Stroboskoplicht beschossen und mit Maden übergossen.
       Guantánamo-Sause im Privatfernsehen.
       
       Wenn die junge Frau fertig ist mit dem Zappeln und nicht am Madenschleim
       erstickt, muss sie - statt zu weinen - lächeln und irgendeinen flotten
       Spruch klopfen, damit ihre Wärter - ein Giftzwerg und eine blonde Hexe -
       sie weiter demütigen können.
       
       Es ist jedes Jahr das Gleiche. "Dschungelcamp" ist Faschismusfernsehen, bei
       dem Millionen Menschen zusehen. Dass die Einssechzigblondine eine von ihnen
       ist, ist schlimm. Noch schlimmer aber ist, dass ich ebenfalls sitzen
       bleibe. Diese Demütigungsscheiße zu goutieren ist wie Unfallgucken auf der
       Autobahn: Das Böse starrt dich an, du starrst zurück. Und du weißt: Das
       macht was mit dir.
       
       Nämlich, dass du dich von einer Sendung zur nächsten mental auf die Ebene
       von Folterknechten begibst. Und dich entsolidarisierst von pleitegegangenen
       D-Promis, die sich erniedrigen lassen, bloß um ins Fernsehen zu kommen …
       
       Ob die wohl Abitur haben, frage ich mich. Und wenn ja, was für eins? Ein
       Dreier? Da hätten sie doch Harfenistin werden können. Oder Mathematiker.
       Oder einfach weiterhin bei Mutti wohnen bleiben. Da passt jemand immer auf,
       schmiert schön Abendbrotstüllchen. Und versteckt ganz diskret das
       Antennenkabel, wenns mal drauf ankommt.
       
       15 Jan 2012
       
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