# taz.de -- Montagsinterview mit Georg Mendler: "Wir Bauern nutzen die Nähe zur Stadt aus"
       
       > Eigentlich war ein Treffen mit dem Bruder geplant, doch der sitzt auf dem
       > Trecker. Also muss Georg Mendler ran. Auch gut! Die Brüder machen ohnehin
       > alles gemeinsam: Kühe melken, Pferde halten, Milch verkaufen auf dem Hof
       > in Rudow. Nur Urlaub nicht.
       
 (IMG) Bild: "Wir Berliner Landwirte haben immer eng zusammengehalten": Georg Mendler auf seinem Hof in Rudow
       
       taz: Herr Mendler, müssen Sie sich angesichts der europaweiten Finanzkrise
       Sorgen machen? Sie haben doch einen festen Investitionswert: mehr als 35
       Milchkühe. 
       
       Georg Mendler: Egal ist mir die Krise auf keinen Fall. Wir haben einen
       landwirtschaftlichen Betrieb und leben hauptsächlich von der
       Direktvermarktung. Aber das heißt nicht, dass mich im Umfeld nichts
       interessiert.
       
       Immerhin können Sie schlecht pleitegehen. 
       
       Na ja, am Ende würden mir die Kühe auch nichts nutzen. Wenn die Währung
       zusammenbricht, kriege ich nichts mehr dafür. Und wenn die Leute nicht mehr
       bei mir einkaufen gehen, weil sie kein Geld mehr haben, bin ich ebenfalls
       betroffen.
       
       Merken Sie konjunkturelle Schwankungen in Ihrem Hofladen? 
       
       Bis jetzt nicht, toi toi toi. Das läuft. Da die Leute immer mehr Wert
       darauf legen, zu wissen, wo etwas herkommt, ist die Nachfrage sehr stabil.
       
       War das schon immer so? 
       
       Na, das hat sich entwickelt. Den Hofladen gab es ja immer, selbst als der
       Hof noch in Schöneberg war. Schon meine Großeltern hatten einen
       Direktverkauf, als sie so um 1925 herum nach Berlin gekommen sind. Mit der
       Internetseite, die wir in den 90er-Jahren eingerichtet haben, wurde es noch
       mal mehr. Außerdem sind wir öfter mal in der Zeitung, und unser Erntefest,
       das ist die größte Werbung für uns.
       
       Wer kauft bei Ihnen Milch und Fleisch? 
       
       Manche kommen weit hergefahren, die kaufen dann gleich 20, 30 Liter. Auch
       türkische Familien kommen viel, sie machen Käse aus der Milch. Die meisten
       sind immer noch ältere Stammkunden aus der Gegend hier.
       
       Wie war das vor der Wende? 
       
       Im Grunde genommen auch nicht anders. Die Leute aus der Stadt sind da auch
       schon zum Einkaufen gekommen. Die Wende war für uns nur positiv: Wir
       arbeiten jetzt mit mehreren Agrargenossenschaften im Umland zusammen, was
       die Futtergewinnung betrifft; wir verkaufen im Laden Eier und Geflügel aus
       Brandenburg. Dieses breitere regionale Angebot ist ein Vorteil, die Kunden
       fragen danach.
       
       Wo haben Sie denn vor der Wende Ihr Futter hergekriegt? 
       
       Auch von hier, aber wir mussten alles selbst anbauen. Wir hatten Flächen am
       Hof und weiter in Richtung Schönefeld, da steht heute ein Wohngebiet. Heute
       ist das alles nicht mehr so ein Platzproblem.
       
       Waren Sie schon immer auf Milchkühe spezialisiert? 
       
       Bis 1995 hatten wir auch noch Mastschweine, danach sind wir auf
       Pensionspferde umgesattelt.
       
       Wie kommt man auf so eine neue Idee, woher weiß man, dass es funktioniert? 
       
       Also das mit den Mastschweinen ging nicht mehr, weil wir sie nicht mehr mit
       Küchenabfällen füttern dürften. Wir hatten hier eine komplette Kochanlage,
       aber der Gesetzgeber hat diese Art zu Füttern verboten. Das wäre dann alles
       so umständlich geworden, es hätte sich für den Betrieb nicht mehr
       gerechnet. Wir mussten uns etwas Neues überlegen. Also haben wir gesagt,
       komm, weg mit den Schweinen, wir probieren das mit den Pensionspferden.
       Erst mal in ganz kleinem Stil, um zu sehen, wie es ankommt. Es gab gleich
       so einen Zuspruch, dass wir das ausgebaut haben.
       
       Wie hat sich das herumgesprochen? 
       
       Na, wir hatten das Angebot gleich auf unserer Homepage, und wir haben uns
       bei Reiter-Vereinigungen in Berlin listen lassen. Eigene Pferde haben wir
       da gar nicht, ausschließlich Pensionspferde.
       
       Der Liter Milch kostet 80 Cent im Laden. Wie kalkulieren Sie? 
       
       Im Detail möchte ich das nicht sagen. Wir haben eine Verkäuferin im Laden,
       die wir bezahlen müssen. Wir vermarkten direkt, das spart den Lieferweg,
       wobei wir einen Teil auch zur Molkerei nach Prenzlau bringen. Kraftfutter
       wird zugekauft.
       
       Wer sitzt an der Melkmaschine? 
       
       Mein Bruder und ich. Für die anderen Arbeiten auf dem Hof haben wir eine
       Hilfskraft.
       
       Schon mal für höhere Milchpreise demonstriert? 
       
       Nee. Aber klar: Von der Molkerei könnte es etwas mehr geben. Mit dem Preis
       im Laden kommen wir zurecht. Wobei man sagen muss, es sind ja nicht immer
       80 Cent. Wenn Kunden 100 Liter mit einem Schlag holen, kriegen die das
       günstiger. Bisher ist der Preis immer stabil geblieben.
       
       Könnte Ihr Hof überall stehen? 
       
       Nein.
       
       Warum? 
       
       Weil wir die Nähe zur Stadt ausnutzen. Wenn ich irgendwo im tiefsten
       Brandenburg stehen würde, käme doch keiner aus Berlin, um Milch zu holen.
       
       Nutzen Sie im Gegenzug die Stadt und ihre Vorzüge, mal ins Kino gehen oder
       so? 
       
       Jetzt schon eher, spontan halt. Unser Leben ist ruhiger geworden, seit
       meine Frau ihren Hof am Niederrhein nicht mehr aktiv bewirtschaftet. Früher
       sind wir ständig zwischen Westdeutschland und hier hin- und hergefahren.
       Dann kam das Theater mit der Blauzungenkrankheit, da konnten wir die Rinder
       nicht mehr hierherholen. Wir haben dann beschlossen, ein paar Kühe weniger
       zu halten. Jetzt können wir schon ab und zu abends weggehen.
       
       Woher kennen Sie Ihre Frau? 
       
       Wir haben uns auf der Grünen Woche getroffen, lange vor der Wende. Sie
       hatte eben diesen Betrieb am Niederrhein.
       
       Ist das Zusammenleben leichter, wenn beide aus der Branche kommen? 
       
       Ja. Ich habe zwar nie danach getrachtet, unbedingt eine Frau aus der
       Landwirtschaft zu treffen, aber einfacher ist es schon. Die Lebensgefährtin
       meines Bruders kommt aber zum Beispiel nicht aus der Branche.
       
       Und macht trotzdem alles mit: um vier Uhr früh aufstehen, kein Wochenende,
       die körperliche Arbeit? 
       
       Ja, klar.
       
       Wie klappt das überhaupt, wenn zwei Brüder zusammen einen Hof führen? 
       
       Wir entscheiden alles gemeinsam, das funktioniert schon. Größere Probleme
       gab es noch nie. Es hat jeder seine Schwerpunkte, wir rühren nicht alle im
       selben Topf. Mein Bruder und seine Partnerin kümmern sich vor allem um die
       Pferde, meine Frau und ich um die Kühe. Deswegen weiß mein Bruder aber
       trotzdem über alles Bescheid, was die Kühe betrifft, und mir geht es mit
       den Pferden genauso.
       
       Wohnen Sie zusammen? 
       
       Wir haben ein Doppelhaus mit zwei Eingängen.
       
       Fühlen Sie sich als Großstadtmensch oder eher als Landwirt mit dörflicher
       Umgebung? 
       
       Na ja, bei uns war das ja immer anders. Schon weil wir früher
       eingeschlossen waren in Berlin: Wir konnten nicht einfach mal raus. Wir
       Berliner Landwirte haben immer eng zusammengehalten. Es gab ja auch immer
       einen eigenen Landesverband, damals waren wir bestimmt 40 Bauern.
       
       So viel gibt es heute nicht mehr. 
       
       Doch! Das denkt man nicht. Es gibt viele Pensionspferdehalter, Gemüsebauern
       und so, das muss man mitzählen. Wir haben sehr guten Kontakt zueinander, zu
       runden Geburtstagen oder Hochzeiten kommen wir alle zusammen.
       
       Geht das so weit, dass Sie wirtschaftlich kooperieren? Ihr nächster Nachbar
       zum Beispiel, Bauer Mette in Buckow, hat keinen Hofladen. Verkaufen Sie
       seine Produkte mit? 
       
       Das ist schwierig. Wenn er Waren hätte, die es bei uns nicht gibt, wäre das
       kein Thema. Er hat aber zum Beispiel nicht so viele Hühner, als dass er uns
       beliefern könnte. Fleisch haben wir selber. Und Blumen bietet er an zum
       Selberpflücken, das scheidet also auch aus.
       
       Haben Sie jemals überlegt, auf Bio umzustellen? 
       
       Nein, das haut nicht hin.
       
       Warum? 
       
       Flächenmäßig. Sie dürfen nicht so viele Tiere pro Hektar halten. Dann
       müssen Sie anderes Getreide beziehen und so, Sie müssten alles komplett
       umwälzen. Wir haben entschieden, dass das bei uns nicht passt.
       
       Ihre Tiere sind auch draußen. 
       
       Ja, das schon, aber nicht immer alle zusammen auf der Weide.
       
       Schlachten Sie selbst? 
       
       Nein, das Vieh kommt zum Schlachthof. Wir dürfen nicht auf dem Hof
       schlachten, allein wegen des Milchverkaufs, wir müssten alles viel strenger
       räumlich trennen. Rindfleisch muss 14 Tage abhängen, sonst ist es zäh wie
       Schuhsohle. Der nächste Schlachthof ist in der Nähe von Kremmen. Wir
       schlachten nur auf Bestellung; in der Regel nehmen wir Anfragen sechs bis
       acht Wochen vorher an.
       
       Wird man als Bauer reich? 
       
       Reich ist ja relativ. Wir können davon leben, aber das hat nichts mit
       Reichtum zu tun.
       
       Sie könnten öfter schlachten lassen, die Nachfrage ist da. 
       
       Klar, das hat sich gut angelassen, aber das hat doch mit Reichwerden nichts
       zu tun. Man kann mal ein bisschen mehr vermarkten. Aber um reich zu werden,
       müsste ich das industriell machen.
       
       Viele in der Branche machen das doch auch, das Streben nach Wachstum ist
       als Bauer ja nicht verboten. 
       
       Das Wachstum ist aber begrenzt. Du kannst nicht sagen, wir nehmen noch mal
       50 Hektar dazu, die sind einfach nicht da. Wir haben auch eine Quote
       auferlegt bekommen und dürfen gar nicht mehr Milch erzeugen, zum Beispiel.
       Es muss alles irgendwie passen, im Gleichgewicht sein.
       
       Oft passt es aber nicht mehr - denken Sie den Dioxinskandal in Eiern und
       ganz aktuell die Antibiotika in Geflügel. 
       
       Das hat für mich nichts mit Wachstum zu tun.
       
       Sondern? 
       
       Mit Profitgier. Dass man Schmierfett ins Tierfutter mischt, damit es
       billiger wird. Für meine Begriffe hat das auch nichts mit Wettbewerb zu
       tun. Wettbewerb für mich ist, dass alle die gleichen Voraussetzungen haben:
       Man kann vermarkten, manche ein bisschen mehr, manche weniger. Aber dass
       man sagt, wenn man erwischt wird, hat man Pech gehabt? Man hat ja auch eine
       Verantwortung den Tieren gegenüber und den Menschen. Wir werden außerdem
       ständig kontrolliert. Die Amtsärzte ziehen regelmäßig Proben, da kann ich
       mir keine Späßchen erlauben und sagen, vielleicht kriegen sie es nicht mit.
       Das kann ich mir nicht erlauben und das will ich auch nicht.
       
       Wie wichtig ist Glaubwürdigkeit? 
       
       Wir haben Urkunden mit Zertifikaten unserer Milch und Milchkühe im Laden
       hängen, das ist schon wichtig. Wir können auch jederzeit nachweisen, dass
       hier Proben gezogen werden. Mehr kann man nicht machen.
       
       Wenn sich herausstellt, dass die im Laden angebotenen Freilandeier nicht
       von frei laufenden Hühnern sind? 
       
       Das ist bis jetzt nicht passiert. Wir haben ein Zertifikat, dass das
       Freilandeier sind. Das wäre erstmal Betrug uns gegenüber.
       
       Kennen Sie den Betrieb? 
       
       Ja, klar. Wir waren auch schon da, es ist ein Betrieb in Brandenburg. Die
       Hühner laufen herum.
       
       Für einen Landwirt ist meist ja nicht mit 65 Schluss. Trotzdem: Wenn Sie
       nicht mehr wollen, wer übernimmt den Hof? 
       
       Warum soll es für mich keine Rentenzeit geben? Ich habe noch so viele
       Sachen, die ich dann machen möchte.
       
       Zum Beispiel? 
       
       Reisen, dahin, wo ich noch nicht war.
       
       Können Sie denn derzeit überhaupt wegfahren? 
       
       Klar, wir fahren regelmäßig weg, entweder mein Bruder und seine Familie
       oder wir. Im Winter und im Sommer.
       
       Übernimmt Ihr Sohn den Hof? 
       
       Im Moment ist die Tendenz: eher nicht.
       
       Und dann? 
       
       Es wird sich eine Lösung finden. Notfalls wird der Hof verkauft. Das ist ja
       bei anderen Betrieben auch so, wenn keiner da ist, der weitermacht.
       
       15 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristina Pezzei
       
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