# taz.de -- THEATER: Ground Control to Don Quijote
       
       > Wenn Religion und Politik nicht mehr helfen, dann hilft radikaler
       > Subjektivismus. Zu erfahren ist das in der "Don Quijote"-Inszenierung,
       > die das Hamburger Thalia-Theater auf die Bühne gebracht hat - kurz
       > nachdem in einer anderen Sache ein Proteststurm losgebrochen war
       
 (IMG) Bild: Don Quijote (Jens Harzer, links) und Sancho Panza (Bruno Cathomas) am Hamburger Thalia Theater.
       
       HAMBURG taz | Das Theater ist voll bis auf den letzten Platz, die
       Premierengäste sitzen da und warten, aber das Licht geht nicht aus. Um 20
       Uhr hätte es losgehen sollen und es vergehen gut zehn Minuten, bis vorne
       auf der Bühne etwas passiert. Der Intendant kommt auf die Bühne, die Arme
       verschränkt, der Gesichtsausdruck ernst. "Wir haben ein technisches Problem
       und die schlechte Nachricht ist: Wir haben es noch nicht gelöst. Wir wissen
       nicht, ob wir das Stück zeigen können. Es kann sein, dass wir während der
       Vorstellung abbrechen müssen. Aber wir wollen es versuchen."
       
       Das technische Problem bei der Premiere von "Don Quijote. Trip zwischen
       Welten" bestand darin, dass das Pult des Inspizienten ausgefallen war. Um
       es vorwegzunehmen: Die Premiere am vergangenen Wochenende musste nicht
       abgebrochen werden, das Hamburger Thalia-Theater hatte Glück.
       
       Dafür steht das nächste Problem bereits fest: Fundamentalistische Christen
       haben Proteste gegen die Aufführung des Stücks "Gólgota Picnic" am
       kommenden Montag angekündigt. Auf der Internetseite [1][kreuz.net] etwa
       bezeichnet eine Margareta-Maria Huebner die Theatermacher als "Lumpen" und
       kündigt für die Aufführung indirekt "Störmaßnahmen" an - mit Stinkbomben,
       Tränengas und Alarmsignalen. Ferner hat die traditionalistische
       Piusbruderschaft zum Protest gegen das aus ihrer Sicht gotteslästerliche
       Stück aufgerufen.
       
       Auch Don Quijote hat zum Thema Religion einiges zu sagen, allerdings sind
       seine Gedanken weit weniger plakativ und für die [2][kreuz.net]-Brüder
       vermutlich zu komplex. Die Religion gebe ihm keinen Halt mehr, sagt Don
       Quijote, ebenso wenig wie die Politik oder das Geld oder sonst ein externes
       Angebot zur Daseinsbewältigung. Seine Lösung ist nicht nur ein radikaler
       Subjektivismus, der Windmühlen wie Drachen erscheinen lässt. Der Thalia-Don
       Quijote hat auch erkannt, dass die Realität ein Konstrukt ist und er alles
       Recht dazu hat, seine Welt selbst zu konstruieren. "Ich bin ein absoluter
       Verfechter der Anti-Realität", sagt er. "An der Realität bin ich zu
       nullkommanull Prozent interessiert."
       
       So konstruiert wie Don Quijotes Weltsicht ist auch die Inszenierung von
       Regisseur Stefan Pucher. Eine Geschichte wird nicht erzählt, dafür gibt es
       Beiträge von acht Autoren, die größtenteils eigens für diese Aufführung
       geschrieben und als szenisches Patchwork zusammengefügt wurden. Der rote
       Faden sind die beiden sehr guten Hauptdarsteller Jens Harzer (Don Quijote)
       und Bruno Cathomas (Sancho Panza). Außerdem halten die beiden Musiker
       Carsten "Erobique" Meyer und Ben Schadow den Abend mit ironischen
       musikalischen Kommentaren zusammen.
       
       Don Quijote und Sancho Panza starten mit halbwegs werktreuen Kostümen und
       befinden sich doch von Anfang an in einer Welt der Spiegelungen. Auf der
       Bühne steht eine Konstruktion aus Gaze-Vorhang und Spiegeln, die mal unten
       und oben vertauscht, mal das Geschehen ins Traumhafte entrückt. Dazu gibt
       es diverse Video-Einspielungen und regelmäßige Drehungen der Konstruktion
       um sich selbst.
       
       In dieser Installation macht dann unter anderem eine Wutbürgerin ihrem
       Ärger über einen geplanten Windpark Luft: Die Schriftstellerin Juli Zeh hat
       den Kampf gegen die Windmühlen wörtlich genommen und unschwer in der
       Gegenwart entdeckt. Diedrich Diederichsen hat ein kleines Dramolett über
       altbräsige Hamburger geschrieben: Die nämlich hießen "Udo" oder "Uwe"
       anstatt "Don" und trügen ihren Vornamen wie einen Titel. Am besten gelungen
       aber ist die Reflexion Ginka Steinwachs über Don Quijote und das Potenzial
       der Literatur, Realität herzustellen.
       
       Szenisch wird Steinwachs Reflexion unter anderem aufgegriffen von Sancho
       Panza, der die schöngeistige Realitätsflucht seines Herrn irgendwann nicht
       mehr aushält. In einem wuchtigen Solo zählt er auf, was so ein Gedicht
       alles nicht hergibt, redet sich in Rage, wird zum geerdeten Gegenpol des
       Don Quijote - der wiederum durch seine traurigen Augen und seine
       langgezogenen Vokale wirkt wie ein ebenso charmanter wie autistischer
       Aristokrat.
       
       Und über allem hängt während dieser Aufführung das Damoklesschwert einer
       Technik, die jederzeit Fiktion und Realität dieses Premierenabends zunichte
       machen könnte. Nachher ist zu erfahren, dass das technische Problem durch
       eine große Teamleistung aufgefangen wurde. Der Inspizient, der das
       Bühnegeschehen koordiniert, indem er über sein Pult Einsatzkommandos an die
       einzelnen Abteilungen schickt, kommunizierte an diesem Abend über Funk -
       und alles klappte wunderbar.
       
       17 Jan 2012
       
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