# taz.de -- Homosexuelle Seelsorger: "Gott ist auch im Darkroom dabei"
       
       > Zwei katholische Priester heiraten und machen sich als Seelsorger
       > selbstständig. Sie wollen nicht das Schwulsein zum Selbstzweck machen –
       > sondern den Beruf ausüben.
       
 (IMG) Bild: Nur die Liebe zählt: links ist Norbert Reicherts, rechts Christoph Schmidt.
       
       Nie kommt der Satz "Bis dass der Tod euch scheidet" vor, wenn Norbert
       Reicherts und Christoph Schmidt ein Paar trauen. Warum nicht? "Warum soll
       man nicht heiraten, um herauszufinden, dass man nicht zueinanderpasst?",
       antwortet Schmidt, ein Katholik und gelernter Priester.
       
       Er sagt noch andere Sätze, etwa den: "Von Ratzinger wird die Freiheit des
       Menschen nicht geachtet." Und den: "Gott ist auch im Darkroom dabei." Echt?
       "Jeder ist verantwortlich dafür, dass er Liebe in die Welt gibt. Überall."
       
       Bis dass der Tod euch scheidet! Es gibt Menschen, denen solche Sätze aus
       dem Fundus der Kirche gefallen. Die kirchliche Trauung durch einen
       geweihten Priester, die der Liebe zweier Menschen den Segen Gottes
       verleiht, auf dass sie bombenfest säße und niemand mehr weglaufen könnte,
       das hielten auch nichtchristliche Menschen für ein gutes Prinzip. Doch das
       Leben verläuft oft ganz anders.
       
       Christoph Schmidt und Norbert Reicherts wissen darum, weil das Leben – die
       beiden würden sagen: Gott – ihnen beschieden hat, anders zu sein. Sie
       lieben einander und sind doch von gleichem Geschlecht. Sie sind
       verheiratet. Anders aber als die unzähligen unsichtbaren Homosexuellen in
       den Reihen des katholischen Klerus haben sich die beiden gegen den Zölibat
       und auch gegen die Lüge entschieden.
       
       Im Jahr 1998 legten sie ihr Priesteramt nieder und machten sich als
       Seelsorger selbstständig. Ihre kleine Firma heißt "Lichtblicke der Seele"
       und ist ein "Zentrum für Theologie und Seelsorge" mit eigener Kapelle, die
       früher mal ein Carport war und im Kölner Problembezirk Ostheim steht. Es
       ist ein spirituelles Zentrum am anderen Ufer – auf der gegenüberliegenden
       Rhein-Seite entfaltet sich derweil die ganze Pracht des internationalen
       Großkonzerns aus Rom. Der Kölner Dom. Die sechzehn romanischen Kirchen.
       
       ## Schöne Gewänder
       
       Im Garten des Ostheimer Domizils steht nur eine kleine verrostete
       Kirchenglocke, in der winzigen Kapelle eine alte Kirchenbank. Und das weiße
       Gewand, das an der Tür hängt? "Das hat Norbert genäht", sagt Christoph
       Schmidt lachend, "er stand schon immer auf Gewänder." Norbert Reicherts
       bestätigt das: "Früher habe ich immer die alten Bassgeigen aufgetragen,
       schwarze Priestergewänder, aber dann kam der Vaticanum-II-Look."
       
       Heute wird Schmidt das Gewand tragen, er hat eine Trauung, während
       Reicherts zu einer Beerdigung muss. Ein ganz normaler Samstagvormittag im
       Leben der beiden, die Theologisches im Angebot haben: Taufen, Segensfeiern,
       Gottesdienste, Exerzitien, Telefonseelsorge und vieles mehr.
       
       All das müsste längst für eine Exkommunikation gereicht haben, aber die
       beiden sind immer noch Mitglied der katholischen Kirche. Sie tun, was sie
       tun, weil sie es können, und lassen den Papst Papst sein.
       
       Richtig Ärger hatte es zuletzt nur gegeben, als die beiden anlässlich des
       Papstbesuchs in Berlin eine Messe halten wollten – zuvor zugesagte
       Räumlichkeiten wurden abgesagt. Im Hintergrund wurde ordentlich, aber doch
       auch nicht zu viel Druck ausgeübt. Die Lust an der Auseinandersetzung mit
       dem Großkonzern – begonnen hatte sie in den "schwulen Priestergruppen"
       Anfang der Neunziger – ist ihnen keineswegs abhandengekommen. Womöglich ist
       es auch ein Schutz, dass sie relativ bekannt sind.
       
       Dennoch haben sie keinen Bedarf, ihre Opposition oder das Schwulsein zum
       Selbstzweck zu machen, sondern sie wollen den Beruf ausüben, den sie einmal
       gelernt haben. Und ihn noch besser ausfüllen: "Seelsorge, das lernt man
       nicht im Theologiestudium, man muss sich fortbilden", erzählt Schmidt, der
       sich das Prinzip der "integrativen Therapie", einen ganzheitlichen
       seelsorgerischen Weg, angeeignet hat. "Ich muss jedes Mal weinen, wenn
       jemand zu sich findet", bekennt er, "ich bin Seelsorger und eben kein
       spiritueller Führer. Ich führe nicht. Die Menschen, die zu uns kommen,
       kennen ihren Weg."
       
       Die Seelen der Menschen, sie sind dennoch nicht immer im Bestzustand. Zum
       Beispiel dann, wenn eine Liebe gescheitert ist, Verzweiflung, Angst,
       Zweifel fröhliche Urstände feiern. Aber was ist die Liebe eigentlich? Alles
       nur systemisch? Alles chemisch? Alles eine kapitalistisch verformte
       Schimäre, Warenwelt?
       
       Priester und Seelsorger werden dafür bezahlt, Antworten zu haben. Und
       solche, die der Liebe wegen so viel wagen, müssten auch viel wissen: "Gott
       ist die Liebe und das Nichts", sagt Christoph Schmidt, und "Die Liebe ist
       ein Geschenk. In einer Partnerschaft muss man sich gegenseitig fragen: Kann
       ich die Liebe des anderen so annehmen, wie er sie gibt?"
       
       Wenn Gott aber die Liebe ist und das Nichts, dann wäre auch das Nichts, das
       Ende der Beziehung, Gott und somit die Liebe. Das ist logisch, wenn man
       glaubt. Mit der Idee des Geschenks kann man zumindest die Gesetze der
       Warenwirtschaft aushebeln – und es bleibt doch die Option der Freiheit,
       weil man sich auch dafür entscheiden kann, das Geschenk notfalls
       abzulehnen.
       
       ## Patchworkreligion
       
       Die Theologie von Reicherts und Schmidt, sie erfordert ein Mindestmaß des
       Mitdenkens, und womöglich grätschen die beiden damit genau in die
       Marktlücke zwischen römischem Großkonzern und moderner Patchworkreligion.
       
       "Die Menschen kommen ja auf uns zu", sagt Norbert Reicherts, "es sind in
       der Regel erfahrene Menschen, die sich sehr bewusst für uns entscheiden".
       Es gibt eine Klientel, auch wenn die beiden nur entspannt leben können,
       weil Christoph Schmidt durch die Arbeit mit psychisch Kranken ein
       regelmäßiges Einkommen hat. Selbstständig zu sein ist nicht leicht, auch
       nicht für Priester.
       
       Der Golf, mit dem Schmidt sich nun in Richtung der geplanten Hochzeit
       aufmacht, wäre ein Dienstwagen, wenn er noch im Amt wäre. Im Stau, in dem
       er allerdings stecken bleibt, helfen keine notorischen Wunder, sondern am
       Ende eine Kombination aus Navigationssystem und Verkehrsmeldungen aus dem
       Radio. Schmidt ist aufgeregt: "Das bin ich immer im Vorfeld. Ohne Spannung
       ist man aber auch nicht gut."
       
       In der Tasche auf dem Rücksitz sind das Gewand und ein paar Stücke
       Marzipanstrudel; Schmidt muss trotz Aufregung vorher dringend etwas essen.
       Im Kofferraum liegt eine Kerze nebst schwerem Metallständer. Mehr braucht
       es nicht, um einer Liebe den Segen Gottes zu verleihen.
       
       Die Liebe, um die es hier gehen soll, sie geht nicht auseinander, sondern
       steht noch am Anfang. Die Kunden wollen gar keine Orgel, keinen Weihrauch,
       kein Mittelalter. Als sich das Brautpaar dem von Christoph Schmidt
       liebevoll selbst gestalteten Altarbereich nähert – es ist ein Tisch,
       daneben die Kerze auf ihrem Ständer –, erklingt "Hijo de la Luna", gesungen
       von Montserrat Caballé.
       
       Die Brautleute entstammen zwei verschiedenen Kontinenten, die Farbe ihrer
       Haut ist nicht die gleiche, die Sprache ihrer Mütter unterscheidet sich.
       Doch beider Familien sind gekommen. "Öffentlichkeit verdichtet die Liebe",
       hatte Schmidt eben am Frühstückstisch in Ossenheim erzählt.
       
       Er, der selbstständige Priester, erklärt nun dem Brautpaar, dass die Liebe
       ein Geschenk sei und Gottes Segen nun mal keine Garantie. "Schenkt euch
       Liebe in der Fülle", ruft er den beiden zu. Er wirkt dabei erfüllt,
       begeistert. So ähnlich muss es sein in den Momenten, wenn jemand in seiner
       Anwesenheit zu sich findet.
       
       Schmidt ist kein Versicherungsvertreter aus Rom und will es auch nicht
       sein. Die Brautleute küssen sich, und ob es der Tod ist, der sie einst
       scheiden wird, das werden sie selbst entscheiden.
       
       28 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Reichert
       
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