# taz.de -- Vergangenheitsaufarbeitung in Litauen: Verbrechen der Sowjetunion vor Gericht
       
       > Ein Litauer wird vom Vorwurf freigesprochen, die Opfer der Zusammenstöße
       > zwischen Roter Armee und Demonstranten am "Blutsonntag" 1991 diffamiert
       > zu haben.
       
 (IMG) Bild: Der letzte Auftritt von Michail Gorbatschow als Präsident der Sowjetunion am 25. 12. 91. Anfang des Jahres hatte er Truppen nach Vilnius geschickt, um die dortigen Demonstrationen zu beenden.
       
       STOCKHOLM taz | Loreta Asanaviit wurde von einem sowjetischen Panzer
       überrollt, der 17-jährige Ignas Simulionis starb an einem Kopfschuss,
       Darius Gerbutaviius wurde von fünf Kugeln getroffen. Als "Blutsonntag" ging
       der 13. Januar 1991 in die Geschichte Litauens ein. Die gerade errungene
       Unabhängigkeit des Landes von Moskau war gefährdet. Am TV-Turm in Vilnius
       kam es zur Konfrontation zwischen sowjetischem Militär und Tausenden
       DemonstrantInnen. 15 Menschen wurden getötet. Darunter ein sowjetischer
       Offizier durch die Kugel eines eigenen Kameraden. Ein Mann starb während
       der Zusammenstöße an einem Herzinfarkt.
       
       Der Vorsitzende von Litauens sozialistischer Volkspartei, Algirdas
       Paleckis, hat Zweifel, ob die übrigen 13 LitauerInnen wirklich Opfer der
       sowjetischen Armee wurden. Diese äußerte er 2010 in einem Radiointerview:
       Sie seien womöglich von eigenen Landsleuten erschossen worden.
       
       Als Belege dafür nannte er angeblich zu steile Schusswinkel und die
       Verwendung von Jagdmunition. Es habe Provokateure in den eigenen Reihen
       gegeben, denen die Konfrontation mit der Sowjetarmee zupass gekommen sei,
       um das sowjetische Feindbild zu bestätigen. Diese Behauptungen waren zwar
       schon vor Jahren in einem Buch geäußert worden, widersprechen aber allen
       bisherigen offiziellen Untersuchungsergebnissen.
       
       Als kontroverser oder unsinniger Beitrag in der öffentlichen Debatte hätten
       Paleckis Äußerungen abgehakt werden können - doch nicht in Litauen. Hier
       hatte das Parlament im Juni 2010 ein Gesetz verabschiedet, das für jedes
       "Unterstützen, Gutheißen oder Verharmlosen von Verbrechen der Sowjetzeit
       oder Nazideutschlands gegen die Republik Litauen" mit Haftstrafen von bis
       zu zwei Jahren vorsieht. Paleckis war der Erste, den die Staatsanwaltschaft
       deswegen anklagte.
       
       ## Bewährung gefordert
       
       Das Gericht in Vilnius tat sich offensichtlich schwer. Das Verfahren
       dauerte mehr als ein Jahr. Paleckis betonte, er habe nie die Verbrechen der
       Sowjetführung bestreiten wollen, die Panzer gegen Volksmassen hätte
       auffahren lassen. Trotzdem müsse es erlaubt bleiben, zu den Vorkommnissen
       eine andere als die offizielle Meinung zu haben. Für Paleckis engagierten
       sich auch Menschenrechtsgruppen, die sich von dessen Bild über die
       Ereignisse des 13. Januar 1991 ausdrücklich distanzierten.
       
       Die Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe auf Bewährung. Nun
       erging das Urteil: Freispruch. Die Begründung: Paleckis habe offenbar keine
       Absicht gehabt, die Opfer des "Blutsonntag" zu diffamieren. Damit seien
       seine Interviewäußerungen durch das in der UN-Menschenrechtserklärung
       verankerte Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt gewesen. Die
       Staatsanwaltschaft kündigte an, in Berufung gehen zu wollen.
       
       29 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reinhard Wolff
       
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