# taz.de -- Forschendes Lernen: Nofretete ohne Maske
       
       > Oberschüler recherchieren, wie die schönste Büste der Welt nach Berlin
       > gekommen ist. Dabei erproben sie eine uralt-neue Lernform: das forschende
       > Lernen.
       
 (IMG) Bild: Die inszenierte Nofretete in der Rotunde des Neuen Museums.
       
       Allein dieser Raum. Inmitten einer Rotunde steht eine Glasvitrine. Darin
       ein Kopf, schmales hochwangiges Gesicht, die Haare unter einer grazilen
       Kopfbedeckung. Eine Schönheit, die alle Gäste des Neuen Museums in ihren
       Bann schlägt. Andächtig bleiben sie stehen. Im Dunkeln. Nur die schönste
       Frau Berlins steht im Licht. Obwohl … Enno zögert einen Moment. "Na, man
       sieht ja nur das Gesicht", grient er.
       
       Frecher Kerl. Oberschüler, 16 Jahre alt. Später wird sich herausstellen,
       dass kaum einer seiner zehn Mitstreiter aus dem Philosophiekurs der
       Sophie-Scholl-Schule Nofretete schon mal gesehen hat. Jedenfalls nicht in
       der Rotunde, deren grobe, unverputzte Wände die Büste nur noch ebenmäßiger
       erscheinen lassen.
       
       Bénédicte Savoy erschrickt, als so wenige der Schüler den Arm heben. "Ich
       dachte, Nofretete gehört allen Berlinern!", sagt sie, ein bisschen ratlos
       jetzt, die Leiterin der Expedition in die Vergangenheit.
       
       Dabei sind das die Themen, die die exzellente Forscherin mit den Schülern
       besprechen will, genauer: recherchieren. Warum steht Nofretete in Berlin,
       nicht in Ägypten? Savoy gehört der Akademie der Wissenschaften an, sie ist
       eine bedeutende Kuratorin und Autorin, Professorin der TU Berlin. Und eine
       von einem halben Dutzend Spitzenforschern, die an diesem Tag die
       milliardenschweren Berliner Museen begehen.Zusammen mit Schülern wollen die
       Kultur- und Altertumswissenschaftler des Exzellenzclusters Topoi
       herausfinden, wem die Antike gehört.
       
       ## Kooperation zwischen Schulen und Forschungseinrichtungen
       
       Exzellenz und Berlins Schulen? Wie geht das zusammen? Das Cluster gehört zu
       den besten deutschen Forschungseinrichtungen. Die Schulen an der Spree
       hingegen werden zum Miserabelsten gerechnet, was man in der Republik finden
       kann: dumm und kein bisschen sexy. In der Pisa-Bundesliga haben die
       Berliner Schüler die Abstiegsplätze abonniert. Einerseits.
       
       Andererseits - beim Kooperieren von Spitzenforschern und Schülern sind die
       Berliner gut drauf. Das Matheon, ebenfalls ein Eliteforschercluster, hat
       gerade im Osten der Stadt traditionell enge Bindungen zu Schulen. Und die
       Altertumswissenschaftler machen nun also ebenfalls mit. Sie kooperieren mit
       Schülern von sieben verschiedenen Schulen, Gymnasien, Gesamtschulen und der
       Evangelischen Gemeinschaftsschule ESBZ.
       
       Inzwischen taut die Elfte der Sophie-Scholl-Schule auf. Karolina sagt,
       Nofretete sehe so lebendig aus, "dass man denkt, sie steht jeden Augenblick
       auf und geht herum". Wenn die Professorin Savoy aber nun erklärt, dass
       diese Figur 3.400 Jahre alt ist, dass sie, vital, wie sie scheint, fast so
       viel Zeit vor Christi Geburt wie danach erlebt hat, weicht der coole
       Berliner Alltag langsam aus den Teenies. Savoy zeigt ihnen, dass es eine
       ganze Serie von Köpfen und Grabgaben war, die man Anfang des 20.
       Jahrhunderts ausgegraben hatte.
       
       Langsam beginnen die Schüler zu verstehen, an welch unschätzbar wertvollem
       Material sie arbeiten dürfen. "Wir werden immerzu manipuliert", sagt Savoy.
       "Versuchen Sie die Inszenierung zu verstehen, mit der die Nofretete hier
       platziert ist."
       
       ## Mitreißende Quellenarbeit
       
       Jetzt ist die Forscherin in ihrem Element. Sie reißt die Schüler mit, die
       sonst vor Büchern sitzen, um vorgekautes Wissen zu konsumieren. Die Schüler
       beugen sich über die Fotos der Grabungen. Savoy hat ihnen originale
       Dokumente vorgelegt. Der Fund musste hälftig geteilt werden zwischen den
       deutschen Grabräubern des Kaiserlich Deutschen Instituts für Ägyptische
       Altertumskunde und der Ägyptischen Altertumsverwaltung. Eigentlich.
       
       Die Schüler lesen nun, wie freundlich-säuselnd der Leiter der deutschen
       Expedition Borchardt seinem ägyptischen Kollegen schreibt, "mir zu
       gestatten, die Funde für eine Ausstellung in Deutschland vorläufig alle
       dorthin zu senden - natürlich unter der Voraussetzung, dass die dem Kairoer
       Museum zugefallenen Stücke möglichst bald nach Ägypten zurückkommen". Die
       Schüler erkennen, dass der ägyptische Kollege ein Franzose ist, wie also
       das Land unter vielfacher europäischer Observation stand.
       
       Das ist auch auf den Grabungsfotos gut zu sehen, wo sich die Deutschen
       allenfalls dann mal unter ihren Tropenhelmen in Bewegung setzen, wenn die
       Büste der Nofretete oder andere Preziosen gefunden werden. Vorher kratzen
       bettelarme Ägypter, darunter Kinder, die Stücke aus dem Boden, fotografiert
       von einem deutschen Prinzen, der 5.000 Aufnahmen anfertigt.
       
       "Normaler Unterricht ist nicht so anschaulich wie die Briefe und
       Originaldokumente, die man hier interpretieren kann", sagt Jonas, 17. Er
       bestätigt so, was der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der
       Wissenschaften, Günter Stock, erwartet: "SchülerInnen auf kreative Weise
       Lust am selbst organisierten wissenschaftlichen Arbeiten zu vermitteln."
       
       Was Enno so alles herausgefunden hat über Nofretete, wird sich am 9. März
       zeigen. Denn da findet der Kongress statt, den die Schüler selbst
       organisieren - in der Akademie der Wissenschaften. Er trägt den Titel
       "Zukunftsportal: Antike".
       
       1 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Füller
       
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