# taz.de -- Regionalwahlen in Indien: Kampf um die niedrigen Kasten
       
       > Bei der Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh testen
       > die Kongress-Partei und die Erben des Nehru-Gandhi-Clans eine neue
       > Strategie.
       
 (IMG) Bild: Wahlkampf in Uttar Pradesh: Der Kandidat Rahul Gandhi kommt mit dem Hubschrauber.
       
       DELHI taz | Es sind nur Regionalwahlen, doch für Rahul Gandhi geht es ums
       Ganze. "Ihr habt an meine Großmutter geglaubt und an meinen Vater. Jetzt
       glaubt an mich!", rief der jüngste Erbe der Nehru-Gandhi-Dynastie am
       Wochenende im Pilgerort Varanasi am heiligen Ganges seinen Anhängern zu.
       
       Tausende in einfacher Bauernkleidung unter weißen Zeltdächern lauschen dem
       Hoffnungsträger der in Delhi regierenden Kongress-Partei. Der 42-jährige
       Nehru-Urenkel will Indiens größten Bundesstaat Uttar-Pradesh zurückerobern.
       
       Vom 8. Februar bis 3. März finden hier an sieben Tagen Wahlen statt. Es ist
       der aufgrund erhöhter Sicherheitsvorschriften bisher längste Urnengang in
       Indien. Aufgerufen zur Wahl sind 112 Millionen Bürger in dem 200 Millionen
       Einwohner zählenden Bundesstaat, der – allein betrachtet – nach Indien, den
       USA und Indonesien die viertgrößte Demokratie der Welt wäre. Fast
       zeitgleich wird auch in den Bundesstaaten Punjab, Uttarakhand, Goa und
       Manipur gewählt.
       
       Uttar-Pradesh, UP genannt, ist alles andere als Indiens Vorzeigedemokratie.
       UP zählt mit Ausnahme der Gegend nahe Delhis zu den ärmsten des Landes und
       weist in den Dörfern eine der welthöchsten Kindersterblichkeitsraten auf.
       Viele Landarbeiterfamilien hungern.
       
       Zudem hat sich der Bundesstaat ins politische Abseits manövriert. Früher
       war UP Hochburg der Kongress-Partei, deren Gandhi-Familie hier nach wie vor
       bei nationalen Wahlen kandidiert. Doch seit den 90er Jahren geben zwei
       große Kastenparteien den Ton an - ohne vorzeigbare Erfolge.
       
       ## Eine Unberührbare an der Parteispitze
       
       Dabei galt Ministerpräsidentin Behenji Mayawati mal als künftige
       Premierministerin des ganzen Landes. Sie hatte Charisma. Mayawati war seit
       der indischen Unabhängigkeit die erste Unberührbare, die es an die Spitze
       einer eigenen Partei und eines Bundesstaates schaffte. Die von ihr geführte
       BSP (Bahujan Samaj Partei) gewann 2007 bei den letzten UP-Wahlen mit 30
       Prozent der Stimmen dank des Wahlrechts die absolute Mehrheit.
       
       Fünf Jahre konnte Mayawati seither unangefochten regieren – und verschliss
       ihr Image. Berühmt wurde sie nur für den Bau von Statuen von sich und ihrem
       verstorbenen Parteigründer und Geliebten. Im Wahlkampf hagelt es nun
       Korruptionsvorwürfe gegen sie. Umfragen prophezeien ihr eine Wahlschlappe.
       
       Nutznießerin könnte die Samajwadi Partei (SP) von Mulayam Singh sein. So
       wie die BSP die Unberührbaren repräsentiert, die in UP ein Viertel der
       Bevölkerung stellen, vertritt die SP die Kasten der Yadavs und Kurmi, armer
       Handwerker und Landarbeiter, die 35 Prozent der Bevölkerung bilden.
       
       Die SP gewann 2007 als zweitstärkste Partei 25 Prozent der Stimmen und
       könnte die BSP nun überholen. Veränderungen verspricht das kaum. Denn auch
       SP-Chef Singh war als UP-Ministerpräsident schon erfolglos. Wie Mayawati
       beschränkte er sich auf Klientelpolitik.
       
       Perspektivisch wichtiger ist der Wahlkampf Rahul Gandhis. Zum zweiten Mal
       nach 2007, als die Kongress-Partei mit unter 10 Prozent der Stimmen eine
       fürchterliche Niederlage erlitt, zieht er durch UP. Damals war er noch ein
       Anfänger. Jetzt will er mit einem Achtungserfolg, der seine Partei zum
       unentbehrlichen Koalitionspartner machen soll, sein Gesellenstück
       abliefern.
       
       ## Mehr Unberührbare in der Partei
       
       "BSP und SP haben euch nach Kasten aufgeteilt, aber Entwicklung ist nur
       möglich, wenn die Regierung für alle Teile der Gesellschaft arbeitet", sagt
       Gandhi immer wieder. Er hat hart daran gearbeitet, dass nun auch die
       Kongress-Partei, die bisher fest in der Hand der höchsten Kaste war, nicht
       mehr als Brahmanen-Club erscheint. Über die Hälfte ihrer Kandidaten
       rekrutieren sich nun aus Unberührbaren, Yadavs und Kurmi.
       
       "Die Kongress-Partei zeigt ihren traditionellen Wählern der höheren Kasten
       die kalte Schulter, um mit BSP und SP um die unteren Kasten zu
       konkurrieren", schreibt die Times of India. Gandhi will so auch den Ansturm
       der Kasten- und Regionalparteien auf das Parlament in Delhi abwehren.
       
       Bisher machte die Kongress-Partei dafür auf regionaler und lokaler Ebene
       wenig und vertraute auf ihren nationalen Ruf. Nun entscheiden die Wähler in
       UP, ob die Gandhis Politik auch im Kleinen können.
       
       8 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Georg Blume
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Korruption im Gandhi-Clan: Angriff auf das Herrscherhaus
       
       Eine neue Antikorruptionspartei erschüttert die Verhältnisse in der
       Herrscherfamilie. Die Reformversuche der Regierung verblassen.
       
 (DIR) Korruption in Indien: Kohleminen zum Schleuderpreis
       
       In Indien sind Kohleminen ohne Ausschreibung an Milliardäre verscherbelt
       worden. Verantwortlich soll Premier Singh sein. Verlust und Empörung sind
       groß.
       
 (DIR) Regionlawahlen in Indien: Niederlage für den Gandhi-Clan
       
       Die Kongresspartei bleibt weit hinter den selbstgesteckten Erwartungen
       zurück. Die Gandhi-Partei errang bei den Wahlen nur den vierten Platz.
       
 (DIR) Wahlkampf in der indischen Provinz: Gandhi bleibt unberührt
       
       Im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh kämpft Rahul Gandhi um die Stimmen
       der unteren Kasten. Er verspricht Reis. Wählen werden ihn die Unberührbaren
       dennoch nicht.
       
 (DIR) Völlige Marktöffnung in Indien verschoben: Freier Handel macht arm
       
       Die Vertragsabschluss zwischen der EU-Kommission und der indischen
       Regierung zum Freihandelsabkommen wird vertagt. Der Widerstand in Südasien
       ist immens.
       
 (DIR) Kulturaustausch in Indien: Im Zentrum der Welt
       
       Die Kulturszene in Indien hat Oberwasser. Galerien, Bollywood und
       Subkulturen boomen. Besonders beeindruckend ist aber der alltägliche
       Culture Clash in Mumbai.
       
 (DIR) Indiens größtes Literaturfestival: Rushdie sagt nach Protestdrohung ab
       
       Nach Protestdrohungen von Islamisten sagte Salman Rushdie seine Teilnahme
       am Jaipur Literature Festival ab. Der umstrittene Autor der "Satanischen
       Verse" hat Angst vor einem Mordanschlag.
       
 (DIR) Indischer Aktivist Anna Hazare: Weiterhungern gegen Korruption
       
       Anna Hazare, der im Sommer mit einem Hungerstreik die größte
       Protestbewegung seit Jahrzehnten in Indien initiierte, hungert wieder. Er
       lehnt den Gesetzesvorschlag gegen Korruption ab.
       
 (DIR) Atomtechnik: Deutsches Geld für Reaktoren in Indien?
       
       Nach der Zusage an Brasilien hoffen nun weitere Schwellenländer auf
       Exportkreditgarantien. Die Anfragen beziehen sich auf weitere AKW-Projekte
       in Indien und China.
       
 (DIR) Zensur in Indien: Maulkorb fürs Internet
       
       Indiens Kommunikationsminister will beleidigende Inhalte von Webseiten
       filtern lassen. Internetnutzer und traditionelle Medien fürchten jetzt
       chinesische Verhältnisse.