# taz.de -- Tagung der Heinrich-Böll-Stiftung: Auf der Suche nach Europa
       
       > Die europäische Demokratie kommt zu kurz. Auf einer Tagung der
       > Heinrich-Böll-Stiftung wurde gefordert, das Parlament mittels
       > transnationaler Listen zu stärken.
       
 (IMG) Bild: Europa mal anders.
       
       Kommt derzeit die Rede auf Europa, geht es um Schuldenbremsen,
       Sparkommissare oder Sonderkonten. Zumeist entspringt diese technokratische
       Verordnungssprache der Fantasie deutscher und französischer
       Spitzenpolitiker. Sie geben, sehr zum Unmut vieler Europäer, den Ton an bei
       den Bemühungen um die Bewältigung der Eurokrise.
       
       Über die europäische Demokratie wolle in "der Stunde der Experten" niemand
       so recht reden, beklagt auch der Staatsrechtler Ulrich K. Preuß. Die
       politischen Akteure geben Notfallmaßnahmen den Vorzug und versäumen es, auf
       die vorhandene Politisierung der Krise zu reagieren, die Preuß in der
       Rebellion gegen "das deutsch-französische Direktorium" ausmacht. Damit
       dieses Aufbegehren nicht nationalistische Züge annimmt, komme es darauf an,
       die Demokratie aus einer transnationalen Perspektive zu stärken.
       
       Wie das aussehen könnte, darüber debattierten vergangenen Freitag
       Wissenschaftler und Grünen-Politiker in einem Fachgespräch in Berlin. Sie
       waren einer Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung gefolgt, in deren Auftrag
       Preuß und sein Kollege Claudio Franzius eine Studie mit Vorschlägen zur
       Belebung der Demokratie erarbeitet hatten.
       
       Einig waren sich die Teilnehmer in ihrer Kritik an der Krisenbewältigung.
       Den Griechen, befand die ehemalige EU-Kommissarin Michaele Schreyer, werde
       "ganz nach der Methode des Paten ein Angebot gemacht, das sie nicht
       ablehnen können". Gefährlich sei zudem, dass aktuell zentrale Beschlüsse
       zwischen den Regierungschefs ausgehandelt werden. Das verschaffe einzelnen
       Staaten potenziell eine hegemoniale Stellung in der EU.
       
       Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold sekundierte, der kürzlich
       beschlossene Fiskalpakt sei "ein offener Angriff gegen die
       Demokratisierungstendenzen im Lissabon-Vertrag". Mit ihm hatte das
       EU-Parlament mehr Befugnisse erhalten. Jetzt nutzen die Regierungschefs die
       Gelegenheit, es in die Schranken zu weisen, indem sie es bei der
       Eurorettung schlicht übergehen.
       
       ## Parlament soll künftig Kommissionspräsidenten wählen
       
       Die Autoren der Studie Preuß und Franzius wollen daher das Europaparlament
       stärken, etwa mittels eines europäischen Wahlrechts. Auch sollten die
       Bürger einen Teil der Abgeordneten über transnationale Listen bestimmen
       können, die Kandidaten aus mindestens einem Drittel der Mitgliedsstaaten
       umfassen. Überdies soll das Parlament künftig den Kommissionspräsidenten
       wählen.
       
       All das, so hofft man, werde einen bislang als zweitrangig geltenden
       Urnengang aufwerten. Denn die Bürger verzichten bei Europawahlen oft auf
       die Stimmabgabe, sagt der Politikwissenschaftler Markus Jachtenfuchs, weil
       in ihren Augen ein Mangel an politischen Alternativen besteht. Das ändere
       sich, sobald sie mit ihrem Votum Einfluss auf das Machtgefüge, etwa in der
       Kommission, ausüben können.
       
       Ein gestärktes Parlament allein, das betonten mehrere Diskutanten,
       garantiert noch keine lebendige Demokratie. So beklagte die grüne
       Europapolitikerin Annalena Baerbock das Fehlen von "zivilgesellschaftlichen
       Gegenparts" auf europäischer Ebene. Viele Debatten wanderten in die
       nationalen Öffentlichkeiten ab, weil Gewerkschaften und Verbände dort
       stärker Präsenz zeigten. Eine europäische Öffentlichkeit bildet sich in
       Auseinandersetzungen heraus, die länderübergreifend geführt werden,
       unterstrich Giegold. Der Mitgründer von Attac benannte zugleich die enormen
       logistischen Hürden, vor denen europäische Kampagnen stehen, und forderte,
       die Kommission solle solchen Aktivismus finanziell fördern.
       
       Am Rande der Debatte erinnerte Ulrich K. Preuß an die sozialen
       Voraussetzungen der Demokratie. Gerade die Unterschicht bleibe den
       Europawahlen oft fern, weshalb das Parlament stärker die Mittelschicht
       repräsentiere. Diese soziale Selektivität schmälere seine Bedeutung. Mit
       Blick auf die drastischen Sparprogramme hätte dieser Hinweis mehr Beachtung
       verdient gehabt. Denn lässt sich die Demokratie erweitern, wenn
       gleichzeitig Armut und Ungleichheit ihr Fundament schwächen?
       
       12 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steffen Vogel
       
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