# taz.de -- die wahrheit: Asket mit Monokel
       
       > Wie ein Türsteher rechter Gedanken wirkt Christian Kracht wahrlich nicht,
       > denn deren vierschrötige Körperlichkeit könnte der noch immer
       > ephebenhaften Erscheinung...
       
 (IMG) Bild: Es geht Christian Kracht nicht um koloniale Stereotype, sondern um Kokosnüsse, wie er betont.
       
       ...des Schriftstellers kaum fremder sein: Ein von tiefem Ernst umflorter
       Geistesmensch wie du und ich entsteigt der Sänfte, die, von acht
       samtfüßigen Malaien getragen, alsbald wieder geräuschlos im traumlosen
       Dunkel der tropischen Nacht verschwindet.
       
       Höflich lüpft der dezidierteste und demonstrativste Kosmopolit unter den
       deutschsprachigen Schriftstellern den Tropenhelm, verbeugt sich
       kratzfüßelnd und geleitet den Besucher höchstselbst in die rauchverhangenen
       Katakomben einer traditionsreichen Opiumhöhle, die untertags auch als
       Botschaft der "Schweizer Sowjetrepublik (SSR)" fungiert, als deren
       Kulturattaché Kracht sich jüngst eingesetzt hat. Dort legen wir beide die
       Monokel und die bislang lässig unter die Achsel geklemmten ledernen Gerten
       ab, während ich mich als Herausgeber eines elitären, aber politisch
       unverfänglichen Magazins für Sphärenklang und angewandte Dekadenz
       vorstelle, das in einer Auflage von lediglich fünf Exemplaren, dafür aber
       in feinster Bütte erscheine.
       
       Zu den Vorwürfen, in seinem neuen Roman "Imperium" rassistisches
       Gedankengut zu verbreiten, mag Kracht sich aber auch mir gegenüber nicht
       äußern. Mit stillem Lächeln merkt er lediglich an, dass es in dem Buch
       hauptsächlich um Kokosnüsse gehe, und vertieft sich sogleich wieder in
       einen scheinbar absichtslos hingeraunten Monolog, der allerlei Wissenwertes
       zur Welteislehre, einige originelle Cocktailrezepte von Aleister Crowley
       sowie eine kritische Würdigung der melanesischen Cargo-Kulte enthält und
       demnächst, zu einem Essay verdichtet, in einem möglichst obskuren Verlag
       erscheinen soll.
       
       Ein stattlicher Sikh mit weißem Bart bringt Naschwerk; ich schiebe mir
       zwei, drei Rumkugeln in den Mund, während der asketische Schriftsteller mit
       knapper Geste ablehnt. Ich mag Rumkugeln sehr, aber diese schmecken nach
       essigsaurer Erde. Feinstes Rohopium, bescheinigt der Autor, und da ahne
       ich, dass ich mich mit meinen investigativen Nachforschungen verflucht
       werde beeilen müssen. Zuvor genehmige ich mir aber noch eine Rumkugel,
       während Kracht behauptet, in die argentinische Politik einsteigen zu
       wollen, um den Falklandkrieg neu zu entfachen. Diesen Bären hat er neulich
       schon dem Literaturkritiker Denis Scheck aufgebunden, worauf dieser vor
       Schreck für eine Sekunde zu schwäbeln vergaß.
       
       Krieg, verlange ich streng zu wissen, ist das nicht irgendwie verboten,
       aber Kracht hat bereits das nächste Thema angeschnitten und erzählt von
       einem Bungalow, den er in der Kolonie "Nueva Germania" im Dschungel
       Paraguays erworben haben will, ebendort, wo sich Josef Mengele zwei Jahre
       versteckt gehalten haben soll. Mit dieser Geschichte hat Kracht aber schon
       im russischen Fernsehen für Heiterkeit und Hüsteln gesorgt.
       
       "Ja, wassennun: Fascho oder nich?", bricht es aus mir heraus, denn die
       Rumkugeln beginnen ihre Wirkung zu tun, doch der Autor traktiert mich mit
       einem quälend langen Referat über eine Begonienart, die dem verblichenen
       Geliebten Führer als "Kimjongilia" gewidmet wurde, aber kaum dass ich ihn
       nach seinem Verhältnis zu dessen Unrechtsstaat befragen will, ist der
       quecksilbrige Geist Krachts schon bei Elisabeth Nietzsche angelangt,
       flattert weiter zum Thelema-Orden und besteigt gar den Pik Lenin. Und
       während Kracht freihändig und nicht ohne Eleganz auf den glitschigen
       Stämmen der einschlägigen Obskurantismen herumbalanciert, die unablässig im
       Strom seiner Gedanken Richtung Veröffentlichung geflözt werden, wird mir
       immer schwummriger.
       
       Die Opiumhöhle indes wird immer belebter. Zahlreiche Bekannte des Autors
       werden an den Tisch gerufen oder machen ihrerseits ihre Aufwartung. "Dr.
       Livingstone, I presume", spricht Kracht einen hageren Engländer an, während
       ein blasierter Herr Des Esseintes ob dessen zupackender Hemdsärmeligkeit
       das Näschen kraus zieht. Aber auch eine gewisse Madame Blavatsky oder ein
       distinguiert wirkender Jüngling namens Humphrey van Weyden, der dem Autor
       wie aus dem Gesicht geschnitten scheint, werden in bemüht geistreiche
       Konversationen verwickelt, während Kapitän Haddock mit Corto Maltese um
       einen wertvollen Arumbaya-Fetisch tarockt. Hitler dagegen ist nirgendwo zu
       entdecken.
       
       Als ich wieder zu mir komme, ist mir rechtschaffen übel. Zu viele
       Rumkugeln, zu viele Adjektive. Christian Kracht ist verschwunden.
       Wahrscheinlich gibt es ihn gar nicht.
       
       17 Feb 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Bartel
       
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